News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung .  Gesellschaft 
 
Ein Toter, der noch lebt: Schuberts posthume Karriere  
  Franz Schubert zählt zu den "großen toten Söhnen" Wiens. Bis es zur Anerkennung seines Talents und der Ehrung durch seine Heimatstadt kam, vergingen jedoch einige Jahrzehnte nach seinem Tod. Die Musikwissenschaftlerin T. Elizabeth Cason, Junior Fellow am IFK in Wien, beschäftigt sich mit Franz Schuberts posthumer Karriere.  
Ein Gedenkstein ...

Von T. Elizabeth Cason

Am 16. August 1858 - 30 Jahre nach Schuberts Tod - erging in der "Volksschrift" im Wiener Dialekt ein Aufruf von Hans Jörgel von Gumpoldskirchen, Alter Ego des Herausgebers Anton Langer: "I komm heut mit einer Kuriosen, i komm als Setzer, aber nit als Schriftsetzer, sondern als Steinsetzer, i will ein Denkstein für ein¿ Todten, der noch lebt."
... 30 Jahre nach seinem Tod
Der "Todte, der noch lebt", war Franz Schubert (1797-1828), an dessen Geburtshaus eine Gedenktafel angebracht werden sollte. Das Haus wurde gerade renoviert und Jörgel fragte sich: "Sollen wir die Geburtsstätte Schuberts so zu sagen verschwinden lassen, ohne ein Erinnerungszeichen an den Mann, der unserm Vaterland so viel Ehre macht? Nein! das thun wir nicht!"
...
Vortrag am IFK in Wien
Am Montag, 19. Mai 2003, 18.00 Uhr sprach T. Elizabeth Cason am IFK über "Monumentalizing Schubert: Vienna's (Re-)Construction of its Musical Legacy".
...
Plan mit Anfangsschwierigkeiten
Er appellierte an den Hausbesitzer um die Erlaubnis, kündigte eine Spendenaktion an und ließ die Steinmetze der Stadt Voranschläge für einen einfachen Stein legen. Nach einer Woche gab es 24 Florin zu verbuchen - von nur drei Spendern. Doch in der Woche darauf hatte Hans Jörgel Grund zur Freude:

Der Hausbesitzer hatte zugestimmt; der Wiener Männergesangsverein hatte von seinem Plan gehört und übernahm die Finanzierung; und ein Steinmetz, der ein Mitglied des Vereins war, entwarf den Stein und stellte ihn her.
1858: Beginn der Monumentalisierung
Am 7. Oktober 1858 wurde die Gedenktafel an Schuberts Geburtshaus - damals "Am Himmelpfortgrund", heute Nussdorferstraße 54 - feierlich enthüllt.

Weder die Tafel noch die kleine Porzellanbüste, die kurz danach aufgestellt wurde, sind heute noch an ihrem Platz. Dennoch: mit diesen kleinen Schritten begann Wien, Franz Schubert zu monumentalisieren.
Der einzige echte Wiener der "Musikstadt Wien"
Von allen Komponisten, auf denen Wien seinen Ruf als Hauptstadt der Musik aufbaut, ist Franz Schubert - Sohn eines einfachen Lehrers, zu Lebzeiten populär als Komponist von Liedern und Tanzmusik, dessen Nachlass so umfangreich war, dass die Herausgabe Jahrzehnte in Anspruch nahm - der einzige, der in Wien geboren wurde, in Wien lebte und in Wien starb.
Zwei Gleise der Anerkennung
In den Jahren nach seinem Tod verlief Schuberts Anerkennung als einer der "großen" Komponisten in einem zweigleisigen Prozess.

Erstens wurde das Lied langsam als "großes" Genre anerkannt - und Schubert wurde als sein Urheber angesehen. Zweitens wurden Schuberts "seriösere" Werke langsam zu einem Teil des musikalischen Kanons.
Genuiner "Wiener"
Diese beiden Stränge führten dazu, dass Schubert ins Pantheon der Meister erhoben wurde - sie verschleiern jedoch Schuberts einzigartige Position als genuiner "Wiener" und die Tatsache, dass viele seine Werke für den Ausdruck des Geistes der Musik Wiens hielten.

Oder - in Leon Botsteins Worten: "Bald nach Schuberts Tod gaben sich seine Wiener Zeitgenossen alle Mühe, die Wurzeln seiner Größe gerade in Wien zu lokalisieren."
...
Image-Änderung ab den 1860er Jahren
Franz Schubert war zeit seines Lebens ein Wiener - und wurde von Wien als "eingeborener" Komponist in einer Weise in Anspruch genommen, die für Beethoven, geboren in Bonn, nie möglich gewesen wäre. Eine Veränderung von Schuberts Image begann in den 1860er Jahren; sie umfasste sowohl herkömmliche Denkmäler wie auch wissenschaftliche - wie zum Beispiel die Gesamtausgabe seiner Werke, die Johannes Brahms herausgab.

1888 wurden Schuberts sterbliche Überreste - 60 Jahre nach seinem Tod - aus seinem Grab am Währinger Friedhof exhumiert und in ein Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof überführt, und es gab einen Konsens, dass Grillparzers ursprünglicher Grabspruch "Die Tonkunst begrub hier einen reichen Besitz, aber noch viel schönere Hoffnungen", auf Schubert nicht länger zutraf. In der Folge traf, wer ins Wien des fin-de-siecle kam, auf ein wohlkonstruiertes Monumental-Image Schuberts - Seite an Seite mit Beethoven liegend diente er als eine der beiden Säulen von Wiens modernem musikalischen Erbe.
...
Denkmäler, Exhumierungen und Feiern
Die Aktivitäten rund um die Enthüllung der ersten Denkmäler und die beiden Exhumierungen, die zwischen 1858 und 1888 stattfanden, boten zahlreiche Gelegenheiten für Feiern und Zeremonien, für Versammlungen von Schuberts Förderern und Verwandten, für Aufführungen seiner Musik - sehr oft mit neuen, dem Anlass entsprechenden Texten versehen -, für Lobpreisungen Schuberts, für Lobgesänge Schuberts - und das alles unter entsprechender Begleitung der lokalen Medien und des Feuilletons.
Verwurzelung einer Legende
Interessant ist, dass die Wiener auch das Image des verkannten und vergessenen Schubert für sich in Anspruch nahmen - obwohl dies aus heutiger Sicht ganz unwahrscheinlich erscheint.

Der Vortrag am Montag, 19. Mai, am IFK analysiert die ersten Zeugnisse der Monumentalisierung, der die Stadt Wien Franz Schubert während der Ringstraßen-Ära unterzog - in einem Programm von "Ehrenpflicht" gegenüber diesem "großen Sohn" der Stadt, so als ließe sich nachholen, was von der Stadt zu Lebzeiten Schuberts versäumt worden war.

Auf diesem fruchtbaren Boden gewannen die Legenden einen guten Halt und verwurzelten sich in der Stadt und ihrem Selbstverständnis.
...
Information zur Vortragenden
T. Elizabeth Cason, ist derzeit Duke/IFK_Junior Fellow und promoviert an der Duke University im Fach Musikwissenschaft. Sie studierte Europäische Geschichte an der Georgetown University und Musik und Klavier an der Catholic University of America. 1998 M. A. in Musikwissenschaft an der Catholic University of America mit einer Arbeit zum Thema: "Dieser Neue Mann" - The Life and Works of Max Seeboth (1904-1967).
...
->   Weitere Gastbeiträge des IFK
->   IFK
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung .  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010