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ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Der Schimpanse ist ein Mensch - zumindest genetisch  
  Laut der Ansicht amerikanischer Forscher ist der Schimpanse eigentlich als Mensch zu bezeichnen: Genetische Untersuchungen ergaben, dass sich der Mensch und sein behaarter Verwandter derart marginal unterscheiden, dass letzterer der Gattung "Homo" zuzurechnen sei. Gorilla und Orang-Utan seien überdies in die Familie der "Menschenartigen" einzureihen.  
Die Genetiker um Derek Wildman von der Wayne State University in Detroit kommen zu ihrer Schlussfolgerung aufgrund der Analyse von 97 Genen: Gewisse Teile des Erbguts von Mensch und Schimpanse stimmen zu 99,4 Prozent überein, ihre Evolutionslinien haben sich demzufolge vor etwa fünf Millionen Jahren getrennt.
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Die Arbeit "The role of natural selection in shaping 99.4% identity between humans and chimpanzees at nonsynonymous DNA sites: Implications for enlarging the genus Homo" von Derek E. Wildman et al. erschien als Online-Vorabveröffentlichung der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) und wird in Zukunft unter dem DOI "10.1073/pnas.1232172100" auffindbar sein.
->   PNAS
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Wie ordnet man die Vielfalt der Lebewesen?
Zur Frage, wie man die verwirrende Vielfalt der Lebewesen ordnen soll, gab es in der Geschichte der Biologie viele Vorschläge: Einer davon lautete etwa, das Lebensreich in Gruppen von nützlichen und nicht nützlichen Organismen einzuteilen.

Das mag in gewisser Hinsicht sinnvoll sein, sagt aber nichts über die Verwandtschaftsverhältnisse der Tiere, Pflanzen, Pilze etc. aus. Daher bezeichnet man so einen Ansatz als typisch "künstliche Systematik".
Natürliche Systematik bildet Verwandtschaft ab
Die "natürliche Systematik" versucht hingegen mit ihren taxonomischen Schubladen insofern Ordnung in die Natur zu bringen, als diese den Evolutionsverlauf möglichst naturgetreu widerspiegeln sollen.

Dabei bedient man sich der so genannten "binären Nomenklatur", eine Art der Namensgebung, die als erstes konsequent von dem schwedischen Naturforscher Carl von Linne gebraucht wurde.
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Binäre Nomenklatur am Beispiel Homo sapiens
Laut dieser besteht die korrekte Bezeichnung eines Lebewesens aus einem Doppelnamen. Erstens dem Gattungsnamen (z.B. Homo; lat. Mensch) und zweitens einem so genannten Epitheton (meist ein Adjektiv: z.B. sapiens; lat. einsichtig, vernünftig).
->   Mehr dazu (Uni Erlangen)
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Arten sind (fast) objektiv bestimmbar
Was man als eigene Art bezeichnet, darüber herrscht noch relativ große Übereinstimmung zwischen den Taxonomen. Bei Tieren und Pflanzen mit sexueller Fortpflanzung hält man sich an das Goethesche Motto: "Was sich schart und paart - das nenn' ich eine Art".

Freilich gibt es auch hier Fallstricke (etwa beim Auftreten von Hybridformen), aber in erster Näherung ist die gemeinsame Fortpflanzung ein gutes Kriterium für die Zugehörigkeit zur selben Art.
Gattungen: Nur vage Kriterien
Bei Gattungen hat man hingegen nur vage Orientierungshilfen zur Hand: Grundsätzlich stellt man all jene Arten in eine Gattung, die nahe miteinander verwandt sind und gegen andere Artengruppen in irgend einer Form abgesetzt sind. "Abgesetzt" heißt hier: Verschieden in genetischer, morphologischer oder anderer erblicher Hinsicht.
Genetische Studie vergleicht Mensch und Affe
Genau dieses Kriterium erfüllen nun die aktuellen Ergebnisse der Studie von Derek Wildman und seinem Team. Sie untersuchten Teile von 97 Genen bei Mensch und Menschenaffen, die ihrer Ansicht nach von besonderer evolutionärer Relevanz sind.

Konkret handelt es um solche Regionen, bei denen die im Laufe der Zeit angehäuften Mutationen auch tatsächlich zu einer Veränderung im Zellstoffwechsel führten.
Lediglich 0,6 Prozent Unterschiede ...
Wildman und seine Kollegen stellten fest, dass sich das Erbgut von Mensch und Schimpanse in diesem Bereich zu nur 0,6 Prozent unterscheidet. Auf eine Zeitskala umgelegt bedeutet dies, dass sich deren Evolutionslinien vor rund 5,1 Millionen Jahren getrennt haben.

Daher votieren die amerikanischen Genetiker für ein (einige Jahre altes) taxonomisches Konzept, demzufolge der Schimpanse in die Gattung Homo zu stellen sei. Dieser heißt daher nicht mehr Pan troglotydes, sondern Homo troglotydes. Und der Bonobo (Zwergschimpanse) folgerichtig: Homo paniscus.
... verleihen Schimpansen den Namen "Mensch"
Auch die anderen Menschenaffen rücken in taxonomischer Hinsicht auf: Nach Ansicht von Wildman und seinem Team sind Gorilla und Orang-Utan in die Familie der Menschenartigen ("Hominidae") zu stellen. Deren Trennung von der Homo-Linie datieren sie auf vor 6,3 bzw. 13,8 Millionen Jahren.

Ob sich diese systematische Zuordnungen auch in den Lehrbüchern durchsetzten, bleibt freilich abzuwarten. Die rein genetischen Unterschiede zwischen dem Menschen und seinem behaarten Vetter fallen jedenfalls in die Kategorie "minimal".

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Wayne State University
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01.01.2010