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Von der DNA-Sequenz zum Impfstoff  
  Die Unterscheidung zwischen körperfremden und körpereigenen Substanzen ist eine der grundlegenden Aufgaben des Immunsystems. Ist die Differenzierung einmal gelungen, dann bleibt sie im molekularen Gedächtnis des Immunsystems gespeichert. Zwei österreichische Biotech-Firmen haben nun einen Weg gefunden, diese Informationen verfügbar zu machen: Damit lassen sich in kürzester Zeit jene Proteine von Krankheitserregern aufspüren, die als Impfstoffkandidaten in Frage kommen.  
Schnittstelle von Biologie und Informatik
Die Ergebnisse der beiden Wiener Firmen "Intercell" und "emergentec" zeigen, wie bei der modernen Impfstoffentwicklung die Methoden von Biologie und Informatik ineinander greifen:

Mittels eines neuartigen experimentellen Verfahrens sowie der Lernprinzipien von neuronalen Netzen ist es den Forschern der beiden Unternehmen gelungen, eine Lösung zum schnelleren Auffinden von "immunogenen" Protein-Bereichen für die Impfstoffentwicklung zu finden.
Neue Methode für Suche nach Impfstoffen
Bereits im Mai 2002 ließ eine Veröffentlichung einer Arbeitsgruppe von Intercell aufhorchen, in der eine neue Methode zum Aufspüren von Impfstoff-Kandidaten vorgestellt wurde.

Die Vorgehensweise: Man nehme einen typischen Krankheitserreger, z.B. das Bakterium Staphylococcus aureus, isoliere dessen DNA und schneide sie mit Enzymen in viele kleine Bruchstücke. Man transferiere diese wiederum in ein anderes Bakterium, welches die DNA-Fragmente in kleine Eiweißstoffe, so genannte Peptide, übersetzt.
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"Identification of vaccine candidate antigens"
Die Arbeit "Identification of in vivo expressed vaccine candidate antigens from Staphylococcus aureus" von A. Meinke und Mitarbeitern wurde in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (Band 99, Nr. 10, S. 6573-6578, DOI: 10.1073/pnas.092569199) veröffentlicht.
->   Zum Original-Abstract
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Suche nach Nadel im Heuhaufen der Peptide
Soweit entspricht das Procedere den Standardmethoden der Molekularbiologie. Der Gruppe gelang nun folgender Kniff: Das als "Übersetzungsmaschine" gebrauchte Bakterium wurde genetisch manipuliert.

Und zwar dergestalt, dass es die Peptide an seine Oberfläche transportiert - und dort gleichsam wie einen Wimpel präsentiert.

Auf diese Weise produziert man die Zahl von einer Million verschiedener Peptide, die im Infektionsfall theoretisch als - körperfremde - Antigene erkannt werden könnten.
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Antigene und Antikörper
Als Antikörper bezeichnet man spezielle vom Immunsystem gebildete Proteine, die in Blut, Lymphe und Körpersekreten vorkommen und eine bestimmte Schutzfunktion erfüllen. Im Rahmen dieser treten sie mit Oberflächenstrukturen von Erregern, den so genannten Antigenen, in Wechselwirkung und bilden einen unlöslichen Komplex. Die Bindung von Antikörpern an Antigene ist sehr spezifisch. Daher versucht man bei der Herstellung von Impfstoffen (Vakzinen) genau jene Oberflächenstrukturen zu finden, die für einen Erreger typisch sind.
->   Mehr zu Informationen zu diesem Thema (biorama.ch)
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Der Trick: Immunsystem von Patienten "befragen"
Ein Vakzin (Impfstoff) ist im Grunde nichts anderes als eine Vorab-Information für das menschliche Immunsystem über die Antigene eines Krankheitserregers. Doch angesichts der immensen Zahl möglicher Peptide stellt sich die Frage: Wie findet man die passenden Antigene, die der sprichwörtlichen Nadel im biochemischen Heuhaufen gleichen?

Die Antwort ist - im Prinzip - nahe liegend. Man befragt einfach das Immunsystem von Patienten, die bereits an einer Staphylococcus aureus-Infektion gelitten haben: Durch die vorhergehende Infektion wurden spezifische Antikörper gebildet, welche die Oberflächenstrukturen des pathogenen Bakteriums erkennen.

Die Bakterien mit ihren molekularen Wimpeln werden daher mit dem Blut-Serum der Patienten in Kontakt gebracht, worauf die Antikörper aus dem Serum mit den gesuchten Antigenen reagieren.

 


Die experimentelle Methode von Intercell
Aus 1.000.000 mache 100
Mit dieser Methode kann man aus den theoretisch möglichen Millionen Peptid-Typen die rund 100 praktisch relevanten Impfstoffkandidaten auswählen.

Mittlerweile haben die Intercell-Forscher das Procedere auch bei vielen anderen Erregern durchgespielt - und können daher auf einen stattlichen Datensatz potenzieller Impfstoffkandidaten verweisen. Die Ergebnisse werden bereits in klinischen Studien getestet.
Mittels Bioinformatik das Immunsystem verstehen
Im Rahmen einer vom Wiener Wirtschaftsförderungsfonds (WWFF) unterstützten Kooperation zwischen Intercell und emergentec folgte nun der zweite Schritt. Bernd Mayer (emergentec) und Uwe von Ahsen (Intercell) gingen mit den Methoden der Bio-Informatik folgender Frage nach:

Welche generalisierbare Information steckt in diesem Datensatz? Oder anders ausgedrückt: Haben die verschiedenen Antigene eine Gemeinsamkeit, die Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Immunsystems zulässt?
Neuronales Netz lernt am Datensatz
Bekannt waren zunächst die Aminosäure-Sequenzen der vorhandenen Peptide. Mayer, von Ahsen und ihr Team versuchten nun aus dem Intercell-Datensatz die physiko-chemischen Eigenschaften der Impfstoff-Kandidaten (z.B. räumliche Struktur, Löslichkeit etc.) vorauszusagen:

"Die eigentliche Kunst dabei war, von den unzähligen berechenbaren Eigenschaften genau jene zu finden, die uns Aufschluss über die Arbeitsweise des Immunsystems geben", erklärt Bernd Mayer.

Das Team konnte schließlich 95 typische Eigenschaften pro Antigen dingfest machen, die für die weitere Vorgehensweise nützlich waren. Mit dieser Information fütterten sie wiederum ein lernfähiges neuronales Netz, das die gesuchte generalisierbare Information finden sollte.
"EpiScore" findet auf Knopfdruck Impfstoffkandidaten
Die Suche war erfolgreich: Das neuronale Netz spuckte eine so genannte Klassifizierungs-Funktion aus, anhand derer abgelesen werden kann, ob das Immunsystem eine gegebene Struktur als körperfremd erkennt - oder nicht.

So kann z.B. mit dem - "EpiScore" genannten -Programm untersucht werden, welche Peptide des HI-Virus (AIDS) geeignete Impfstoffkandidaten sind.

Die Ergebnisse sind frappant: Die Klassifikations-Funktion findet auf Knopfdruck genau jene Bereiche, die in den letzten Jahren von internationalen Forschergruppen in mühsamer experimenteller Arbeit herausgefiltert wurden. Diese Methode wird daher die Laborversuche unterstützen und beschleunigen.

 


Das Auffinden von Antigenen mittels "EpiScore"
Pro Nacht einen Erreger komplett durchleuchtet
Damit ergeben sich einige wichtige Anwendungen: Zum einen können bei bekannter Basensequenz des Erreger-Genoms umgehend mögliche Impfstoff-Kandidaten vorausgesagt werden.

Bernd Mayer: "Zur Zeit benötigen wir etwa eine Nacht, um das komplette Erbgut von einem Krankheitserreger durchzurechnen". Daran sind wiederum all jene Unternehmen interessiert, die Impfstoffe für Mensch und Tier oder diagnostische Tests herstellen. Dazu zählen auch einige in Wien ansässige Firmen.
Biotech-Cluster Wien: Kritische Masse erreicht

Die Forschungsergebnisse von Intercell und emergentec stimmen nicht nur in medizinischer, sondern ebenso in wirtschaftlicher Hinsicht optimistisch: Am Wiener Biotech-Standort scheint jedenfalls die kritische Masse an vorhandenen Firmen erreicht, welche aus guten Ideen auch marktfähige Produkte entstehen lässt.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Intercell AG
->   emergentec business analytics GmbH
->   WWFF
->   www.innovatives-oesterreich
 
 
 
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01.01.2010