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Diskriminierung: Warum Schiedsrichter oft ungerecht sind  
  Diskriminierung ist ein schwerwiegendes gesellschaftliches und wirtschaftliches Problem, bei dem eine erschöpfende Datenerhebung oft sehr schwierig ist. Zwei Innsbrucker Ökonomen kamen daher auf die Idee, die Mechanismen systematischer Bevorzugung bzw. Benachteiligung am Thema Fußball zu analysieren: Dabei fanden sie heraus, dass selbst die Fußball-Referees, welche von Berufs wegen Unparteiisch sind, unter Druck einseitig entscheiden. Und zwar nicht nur punktuell, sondern über lange Zeiträume statistisch nachweisbar, wie sie in einem Gastbeitrag schreiben.  
Sport als Feld verfügbarer Daten
von Martin Kocher und Matthias Sutter

Diskriminierung als systematische und ungerechtfertigte Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Personen oder Personengruppen existiert in vielen Bereichen des sozialen und wirtschaftlichen Lebens.

Aus ökonomischer Sicht stellt insbesondere die Diskriminierung bestimmter Gruppen wie Frauen, ethnische oder religiöse Minderheiten auf dem Arbeitsmarkt ein Problem dar, das in vielerlei Hinsicht untersucht worden ist.

Bei einigen wichtigen Fragen haben Forscherinnen und Forscher allerdings mit Problemen bei der Datenerhebung zu kämpfen, weil firmenpolitische Entscheidungen, z.B. über Einstellungen, Kündigungen oder Beförderungen, nur selten öffentlich sind oder zugänglich gemacht werden.

Demgegenüber lässt sich in vielen Sportarten hinsichtlich der zur Feststellung von Diskriminierung notwendigen Daten aus dem Vollen schöpfen.
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"Favoritism of Agents - The Case of Referees' Home Bias"
Die Kernergbenisse der Studie "Favoritism of Agents - The Case of Referees' Home Bias" werden Ende des Jahres 2003 im "Journal of Economic Psychology" erscheinen. Die ausführlichere Diskussionspapier-Version der Studie ist bereits heute einsehbar.
->   Zum Originaltext (pdf-File)
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Berufs-Referees: Diskriminierung unwahrscheinlich?
In ihrer Forschungsarbeit haben die Autoren die Diskriminierung von Auswärtsmannschaften durch Schiedsrichterentscheidungen im Profi-Fußball untersucht. Grundsätzlich werden Schiedsrichter dafür bezahlt, dass sie ein Fußballspiel unparteiisch leiten.

Da Schiedsrichter in den obersten Spielklassen routinemäßig nach jedem Spiel von den zuständigen Standesvertretungen beurteilt werden und bei wiederholten schlechten Leistungen aus den obersten Spielklassen abgezogen werden, gibt es einen starken Anreiz unparteiisch zu pfeifen.

Deshalb erscheint eine systematische Bevorzugung von Heimmannschaften bzw. Diskriminierung von Auswärtsmannschaften auf den ersten Blick unwahrscheinlich.
Dennoch: Heimteam wird von Schiedsrichtern bevorzugt
Dennoch hat - wie in science.ORF.at berichtet - beispielsweise ein Forscherteam um Alan Nevill in einem Experiment gezeigt, dass die akustische Beeinflussung der Unparteiischen zu einer Bevorzugung der Heimmannschaft führen kann, weil Schiedsrichter Foulspiele heimischer Spieler weniger oft ahnden.

In unserer Studie konnten wir nun nachweisen, dass es auch in der Realität, also auf dem Spielfeld, eine systematische Verzerrung von Schiedsrichterentscheidungen zugunsten von Heimmannschaften gibt.
->   Fußball: Schiedsrichter bevorzugen Heimteam
Untersuchung von Nachspielzeit und Elfmetern
Der Nachweis dieser speziellen Form von Diskriminierung erfolgte anhand der Analyse von Schiedsrichterentscheidungen über die Länge der Nachspielzeit in der zweiten Halbzeit und über die Vergabe von Elfmeter.

Im Falle unparteiischer Schiedsrichter sollte die Nachspielzeit in der zweiten Halbzeit unabhängig vom Spielstand nach 90 Minuten sein. In einer ökonometrischen Schätzung auf Basis von Daten für die Saison 2000/01 der Deutschen Bundesliga zeigt sich allerdings, dass die vom Schiedsrichter festgelegte Nachspielzeit systematisch länger ist, wenn die Heimmannschaft zurückliegt.
Liegt Heimteam zurück, wird länger nachgespielt
Im Schnitt werden 40 Sekunden länger nachgespielt, wenn die Heimmannschaft ein Tor zurückliegt, verglichen mit einem Vorsprung der Heimmannschaft von einem Tor bzw. einem unentschiedenen Spielstand nach 90 Minuten.

Für die spanische Primera Division haben Luis Garicano, Ignacio Palacios und Canice Prendergast sogar eine Differenz von zwei Minuten errechnet.

In beiden Studien ist für den Einfluss aller anderen wichtigen Faktoren kontrolliert worden, welche die Nachspielzeit laut Regelbuch beeinflussen (wie Auswechselungen, Verletzungen oder gelbe und rote Karten).
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Verzerrung fällt nicht ins Gewicht
Die nachweisbare Diskriminierung der Auswärtsmannschaften durch eine längere Nachspielzeit bei einem Rückstand der Heimmannschaft nach 90 Minuten fällt jedoch statistisch betrachtet nicht wirklich ins Gewicht, da in der zusätzlichen Nachspielzeit zugunsten der Heimmannschaft nur sehr wenige Tore fallen. Tatsächlich ist der Ausgang von lediglich 5 Spielen (von 306 pro Saison) aufgrund von Toren in der Nachspielzeit verändert worden.
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Spielentscheidende Situationen
Viel entscheidender für den Ausgang eines Spieles sind deshalb Entscheidungen über Freistöße an der Strafraumgrenze, über rote Karten und insbesondere über die Vergabe von Elfmetern. Vor allem letztere können aufgrund der hohen Trefferquote von etwa 85% bei Elfmetern spielentscheidend sein.
Heimteams bekommen mehr Elfer zugesprochen
In der Bundesligasaison 2000/01 wurden insgesamt 55 Elfmeter an die Heimmannschaften vergeben und nur 21 an die Gastmannschaften.

Die größere Häufigkeit an Elfmetern für Heimmannschaften ist allerdings noch kein Indiz für eine ungerechtfertigte Bevorzugung der Heimmannschaften, weil Heimmannschaften in der Regel offensiver agieren und dadurch öfter im Strafraum der Auswärtsmannschaft auftauchen.

Diskriminierung lässt sich dann nachweisen, wenn entsprechend den Regeln gerechtfertigte Elfmeter relativ häufiger an Heimmannschaften als an Auswärtsmannschaften vergeben werden.
Strafstoß: Bevorzugung der Heimteams nachgewiesen
Auf Basis der Spielberichte des wichtigsten deutschen Fußballmagazins, dem Kicker, haben wir ausgewertet, dass Auswärtsmannschaften signifikant seltener einen berechtigten Elfmeter erhalten (nur in etwa 50 Prozent der Fälle) als Heimmannschaften (in etwa 80 Prozent der Fälle).

Zweifellos stellt dieses ungleiche Verhältnis eine massive und ungerechtfertigte Bevorzugung der Heimmannschaften dar, die in vielen Fällen spielentscheidend ist.
Warum agieren Schiedsrichter ungerecht?
Im Rahmen unseres empirischen Modells lässt sich nicht beantworten, warum Schiedsrichter trotz ihrer Ausbildung und trotz eines Anreizsystems, das wiederholte Fehlentscheidungen negativ sanktioniert, systematisch verzerrt entscheiden.
Faktoren: Optische, akustische Reize
Die Kognitionspsychologie hat - wie erwähnt - die akustischen Reize, die durch Pfiffe und Schreie von Fans ausgehen, als einen wichtigen Einflussfaktor identifiziert. Wird etwa ein Spieler der Heimmannschaft gefoult, reagiert das Publikum üblicherweise wesentlich lauter und ungehaltener, als wenn ein Spieler der Auswärtsmannschaft gefoult wird.

Die Kombination von optischem Reiz - dem Zweikampf zweier Spieler - mit dem akustischem Reiz, der abhängig von der Mannschaftszugehörigkeit des angegriffenen Spielers ist, führt erwiesenermaßen zu Fehlentscheidungen zugunsten der Heimmannschaft.

Diese erfolgen allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit unbewusst und liegen in den physiologischen und psychologischen Prozessen der menschlichen Wahrnehmung begründet.
Plädoyer für Videobeweis
In unserer Forschungsarbeit haben wir uns nicht mit der Frage beschäftigt, was gegen eine systematische Verzerrung von Schiedsrichterentscheidungen unternommen werden kann. Abschließend erlauben wir uns auf der Grundlage unserer Ergebnisse dennoch zwei Empfehlungen:

Zum ersten sollten die psychologisch bedingten, meist unbewussten Faktoren, die zu verzerrten Schiedsrichterentscheidungen führen, in der Schiedsrichterausbildung und -weiterbildung vermehrt thematisiert werden.

Zum zweiten wäre die Einführung des Videobeweises in spielentscheidenden Situationen, wie er in vielen anderen Sportarten erfolgreich verwendet wird, eine Möglichkeit, die Anzahl der ungerechtfertigten, die Auswärtsmannschaften diskriminierenden Entscheidungen zu verringern.
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Zu den Autoren:
Martin Kocher und Matthias Sutter sind Mitarbeiter am Institut für Finanzwissenschaft der Universität Innsbruck.
->   Institut für Finanzwissenschaft, Uni Innsbruck
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01.01.2010