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Lymphödeme: Kaum beachtete Gefäßerkrankungen  
  In Österreich sind etwa 60.000 Menschen, 80 Prozent davon Frauen, von Lymphödemen betroffen. Obwohl die Folgen dieser unangenehmen Gewebsflüssigkeits-Einlagerungen bis zur Invalidität reichen können, hat die Schulmedizin diesen Beschwerden bisher nur wenig Beachtung geschenkt. Der Ö1-Radiodoktor beschäftigte sich daher mit einem nur wenig erforschten Teil unseres Körpers: dem Lymphsystem.  
"Man geht davon aus, dass 20 bis 40 Prozent aller Brustkrebspatientinnen nach der Operation an Lymphödemen leiden", so Walter Döller, Vorstand des Zentrums für Lymphologie am LKH Wolfsberg, dem ersten und einzigen Kompetenzzentrum dieser Art in Österreich.

Um den Bedarf an Therapieeinrichtungen in Österreich vollständig decken zu können, müsste es allerdings - laut einer Studie des Österreichischen Bundesinstitutes für Gesundheitswesen, kurz ÖBIG - insgesamt drei Zentren geben.
->   ÖBIG
Das Leid Tausender wird nicht ernst genommen
Neben den offiziellen Schätzungen der Lymphödemerkrankten vermutet man laut dem Dermatologen und international anerkannten Spezialist für Lymph- und Venenerkrankungen, Hugo Partsch, eine erhebliche Grauzone. "Dies sind vor allem Personen, die an einem so genannten latenten Lymphödem leiden und nur leichte bzw. überhaupt noch keine klinischen Symptome aufweisen", meint Partsch.

"In diesen Fällen können bereits banale Traumen wie z. B. eine Blutdruckmessung, eine Blutabnahme am Arm oder ein Insektenstich zum Manifestwerden eines Lymphödems führen. Es ist daher wichtig, das Bewusstsein der Betroffenen zu schärfen, sodass sie schon im Vorfeld auf Risikofaktoren wie die genannten Traumen oder etwa das Auftreten einer Infektionen im betroffenen Bereich achten können."

Trotzdem haben bisher weder die Schulmedizin (Forschung und Behandlung) noch die Sozialversicherung diesem Leiden die entsprechende Bedeutung zugewiesen. Ärzte unterschätzen noch oft die Folgewirkungen bzw. diagnostizieren das Lymphödem nicht als solches. Dies, obwohl ein unbehandeltes Lymphödem mit einem erheblichen Leidensdruck einhergeht, zu verschiedenen Hautveränderungen bis zur Elefantiasis und sogar zur Invalidität führen kann.
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Rätselhaftes Lymphgefäßsystem
Hippokrates sprach von "Gefäßen, die weißes Blut führen", Aristoteles über "Gebilde, die eine farblose Flüssigkeit enthalten" und Ärzte der alexandrinischen Schule vom Ductus lactei bei Mensch und Wirbeltieren. Mittlerweile sind die vielseitigen Funktionen des Lymphgefäßsystems zwar kein völliges Mysterium mehr, dennoch ist der Wissensstand der Bevölkerung über dieses System eher lückenhaft und Erkrankungen des Lymphgefäßsystems werden von der Schulmedizin eher stiefmütterlich behandelt.
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Lymphbahnen durchziehen den Körper
Der gesamte Körper ist von einem System feiner Lymphbahnen durchzogen. Es hat die Aufgabe, eiweißreiche Flüssigkeit, immunkompetente Zellen, aber auch Bakterien und kleine Fremdkörper über die Filterstation der Lymphknoten aus den Zellzwischenräumen in die Blutbahn zurückzuführen.

Im Bereich des Verdauungstraktes werden Nahrungsfette aus dem Darm in Form des so genannten "Chylus" in großen Lymphbahnen abtransportiert.
Reinigungssystem Lymphe
In den Blutkapillaren, also den feinsten Verzweigungen des Blutgefäßbaumes, tritt eiweißreiche Flüssigkeit durch die Poren der Kapillarwand in die Zellzwischenräume aus. 90 Prozent dieser Nährflüssigkeit des Gewebes wird wieder in die venösen Blutgefäße rückresorbiert.

Die restlichen zehn Prozent, welche große Eiweißmoleküle und auch Blutzellen enthalten, wird in den so genannten Lymphkapillaren aufgenommen, die sich zu immer größeren Bahnen vereinigen und letztlich in bis zu bohnengroße Lymphknoten münden.

Dort werden Krankheitserreger, Fremdkörper und Zelltrümmer gefiltert und beseitigt. Durch immer weiter werdende Lymphbahnen gelangt die Lymphe letztendlich in Höhe der oberen Brustkorböffnung im so genannten Venenwinkel zurück in die Blutbahn.
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Kompetenzzentrum für Lymphgefäßerkrankungen in Kärnten
Medizinische Einrichtungen, in denen Betroffene eine individuell abgestimmte Therapie erhalten, sind in Europa rar. Das derzeit einzige Kompetenzzentrum Österreichs hat vor über einem Jahr im Rahmen eines Pilotprojektes in Wolfsberg/Kärnten seine Pforten geöffnet. Es ist leider eher die Regel als die Ausnahme, dass Betroffene, die an Lymphödemen leiden, erst nach jahrelangem Leidensweg eine effektive Therapie erhalten.
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Zart und verletzlich
Durch Operationen, Entzündungen etc. können die äußert feinen und verletzlichen Lymphgefäße und Lymphknoten dauerhaft beschädigt werden. Die Folge sind Flüssigkeitsansammlungen zumeist in den Extremitäten, die anfangs zwar schmerzlos sind, aber häufig zu Komplikationen wie Infekten der betroffenen Körperareale führen können.

Außerdem können diese Schwellungen enorme Ausmaße annehmen und zu einer völligen Entstellung des betroffenen Körperteiles führen.
->   Mehr Informationen über Lymphödeme (medicine worldwide)
Die Behandlung: "Entstauungstherapie"
Als Mittel der Wahl gilt die so genannte komplexe physikalische Entstauungstherapie. Dieses Behandlungskonzept muss individuell abgestimmt sein und setzt sich aus Hautpflege, manueller Lymphdrainage, speziellen Kompressionsbandagen sowie später Kompressionsstrümpfen und einer regelmäßigen Entstauungsgymnastik zusammen. Sie sollte in zwei Phasen verlaufen.
Die Entstauungsphase: Hautpflege, Lymphdrainage ...
Durch tägliche Hautpflege (z. B. Desinfektion von Rissen etc.) und durch Einsatz von PH-neutralen Salben wird die Haut geschmeidig gehalten und saniert. Je nach Grad und Ausmaß der Ödeme werden manuelle Lymphdrainagen (stationär: zwei bis vier mal täglich) durchgeführt. Darüber hinaus werden speziell angefertigte Kompressionsbandagen eingesetzt.

Im Rahmen der so genannten Entstauungsgymnastik lernen die Betroffenen sich so zu bewegen, dass sich die Muskulatur gegen die Bandage "auswalzt" bzw. massiert wird. Dies dient zur Auflockerung bei Verhärtungen.
2. Phase: Den Umgang mit der Erkrankung lernen
In der zweiten Phase müssen die Patienten lernen, wie sie mit ihrer Erkrankung alleine umgehen können (Hautpflege, Entstauungsgymnastik, Kompressionsbandagen etc.).

Je nach individueller Ausprägung der Probleme gibt es im Abstand von drei bis sechs Monaten ärztliche Kontrolltermine, wo Verlauf, Erhaltung und Optimierung des Zustandes beachtet werden. In seltenen Fällen kann auch ein chirurgischer Eingriff in Betracht gezogen werden.

Christoph Leprich und Martina Weigl, Ö1-Radiodoktor
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Eine kostenlose Infomappe zur Sendung vom 2. Juni 2003 kann bestellt werden unter: ORF Redaktion Radiodoktor, Postfach 1000, Kennwort: Erkrankungen des Lymphgefäßsystems, 1040 Wien oder per E-Mail.

Zu Gast waren Walter Döller, Vorstand des Zentrums für Lymphologie am LKH Wolfsberg und Hugo Partsch, Präsident der Welt-Union der wissenschaftlichen Vereinigungen für Phlebologie, stellen.
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->   Das Lymphsystem in www.medizinfo.de
->   Geschichte der Lymphologie in www.lymphologie.ch
->   Die österreichische Lymphliga
 
 
 
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01.01.2010