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Interaktion verbessert das Lallen von Säuglingen  
  Dass Kommunikation mit den Sprösslingen grundlegend ist für die Entwicklung ihrer Fähigkeiten, ist eine Binsenweisheit für alle Mütter und Väter. Wie wichtig soziale Interaktion für das Lallen von Säuglingen auch abseits reiner Imitations-Prozesse ist, haben nun amerikanische Forscher gezeigt - und dabei Parallelen zur Vogelwelt hergestellt.  
Studie der phonologischen Eigenschaften
Der Gesang von Vögeln wird von Sprachpsychologen gerne als ein Modell des Spracherwerbs beim Menschen betrachtet. Direkte Tests, so schreiben der Psychologe Michael Goldstein vom Franklin & Marshall College in Lancaster/Pennsylvania und sein Team in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS), habe es dazu aber bisher kaum gegeben.

Daher testeten sie die Mechanismen der phonologischen Entwicklung bei Kleinkindern, die auf sozialen Interaktionen basieren - selektive Lernprozesse, die laut Goldstein erstmals bei Singvögeln dokumentiert wurden.

Das Ergebnis: Die phonologischen Eigenschaften des Lallens - ihre Lautstrukturen - richten sich nach sozialer Stimulation. Und zwar nicht nur im Sinne des Nachmachens von Gehörtem.
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Die Studie von Michael H. Goldstein, Andrew P. King und Meredith J. West ist unter dem Titel "Social interaction shapes babbling: Testing parallels between birdsong and speech" in der aktuellen Ausgabe der PNAS (3.6.03) erschienen und wird in Zukunft unter dem DOI 10.1073/pnas.1332441100 abrufbar sein.
->   PNAS
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Soziales Feedback - bekannt von Singvögeln
Goldstein und seine Kollegen bemühen in ihrer Studie den Vergleich mit der Welt der Singvögel. Vorangegangene Studien hätten bewiesen, dass viele Vogelarten eine Art soziales Feedback benutzen, um ihre Lieder zu erlernen.

Z.B. benutzten weibliche Kuhstärlinge, die selber nicht singen, Gesten und Körperbewegungen, um die "Song-Qualitäten" ihres Nachwuchses zu beflügeln.
Das Experiment: Baby-Lallen und Mütter-Reaktion
Um herauszufinden, ob diese Art sozialer Interaktionen für die Lernfähigkeit menschlicher Babys eine ähnliche Rolle spielt, setzten Michael Goldstein und sein Forscherteam dreißig Kleinkinder (Durchschnittsalter: achteinhalb Monate) und ihre Mütter einem Experiment aus. Dabei spielten sie 30 Minuten lang unter Video-Beobachtung in einem Raum mit Spielzeug.

Im ersten Teil des Experiments maßen die Forscher, wie oft die Kinder lallten und wie die Mütter darauf reagierten. Danach wurden die Reaktionen der Mütter manipuliert.
Echtes Feedback und "falsches"
Die eine Hälfte wurde dazu animiert, spontan auf die Laute ihrer Kinder mit Lächeln, körperlichem Näherrücken und Berührungen zu reagieren. Die andere Hälfte reagierte zwar ebenfalls auf das Brabbeln der Babys - aber auf Anweisung der Forscher, mit denen sie via Kopfhörer verbunden waren, nicht zeitlich passend zu den Lautmalereien ihrer Kindern.

Die Quantität der Zuwendungen blieb dabei bei beiden Gruppen gleich: die erste Gruppe gab den Zeitraum vor, der auch von der zweiten Gruppe eingehalten wurde. Somit bekamen alle Säuglinge die gleiche Aufmerksamkeit ihrer Mütter, jene der zweiten Gruppe aber nicht synchron zu ihrem Lallen.
Mehr Silben, mehr Vokal-Konsonanten-Wechsel
Die Analyse der Tonaufnahmen ergab, dass sich die Laute der Babys der ersten Gruppe innerhalb der Experimentszeitdauer weit stärker ausdifferenzierten als jene der zweiten.

Sie enthielten signifikant mehr Silben und mehr Wechsel zwischen Konsonanten und Vokalen.
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Phonologische Entwicklung bei Säuglingen
Der Spracherwerb von Kindern hängt aus Sicht der Sprachpsychologie sowohl von erblichen Faktoren (universelle Prinzipien der Grammatik) als auch von umweltbedingten (Imitation der Erwachsenensprache) ab. Die Qualität der frühen Mutter-Kind-Interaktion hat einen bedeutenden Einfluss auf die Weise und die Geschwindigkeit des Spracherwerbs.

Säuglinge unterscheiden schon relativ kurz nach der Geburt zwischen Sprachlauten und nicht-sprachlichen Lauten, mit etwa einem halben Jahr zwischen korrekt und willkürlich segmentierten Spracheinheiten. Die aufnehmende (rezeptive) phonologische Entwicklung besteht aus fünf Schritten: 1) einer Art Gurren im Alter zwischen sechs und acht Wochen; 2) dem Lachen und Nachahmen vorgesprochener Vokale zwischen dem zweiten und vierten Lebensmonat; 3) dem Lallstadium im sechsten bis neunten Monat (Produktion von Konsonant-Vokal-Verbindungen mit satzähnlicher Intonation wie "dada"; 4) ab dem zehnten bis 14. Lebensmonat werden die ersten Wörter gesprochen; 5) um den 18. Monat können Kinder etwa 50 Wörter sprechen, ab diesem Zeitpunkt lernen sie neue sehr viel schneller als zuvor.
->   Mehr über Sprachentwicklung (FH Fulda; doc-Datei)
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Zufällige, aber nicht nicht-zufällige Signale
"Zufällig, aber nicht nicht-zufällig", so fassen die Forscher ihre Studie zusammen, "erleichtert das mütterliche Verhalten komplexeres und reiferes Sprachverhalten." Das soziale Feedback werde von den Babys direkt in ein fortgeschritteneres "Lallen" - das dem späteren Sprechen bereits ähnlicher ist - umgesetzt.

Goldstein und seine Kollegen gehen davon aus, dass Menschen genau wie Vögel dieser sozialen - unterhalb der Ebene der Imitation von Lauten liegenden - Signale bedürfen, um ihre sprachlichen Fähigkeiten zu entwickeln.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Department of Psychology, Franklin & Marshall College
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Mütter können besser mit Babys sprechen als Väter (21.2.03)
->   Studie zum Zweitspracherwerb: Je früher desto besser (5.11.02)
->   Bei Baby-Gebrabbel ist das Sprachzentrum aktiv (29.8.02)
->   Babys "lallen" auch mit den Händen (6.9.01)
 
 
 
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01.01.2010