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Künstliches Blut nach dem "Packerlsuppen-Prinzip"  
  Blutkonserven sind unverzichtbare Lebensretter bei Unfällen, doch Mediziner mit Hang zur Unbescheidenheit träumen bereits von künstlichem Blut, das um einige Hightech-Features verbessert wurde. Zum Beispiel Blutzellen, die nicht nur Sauerstoff, sondern auch Medikamente transportieren können - oder solche, die sich wie Fertigsuppen aus Trockenpulver herstellen lassen. Letzteres wurde von amerikanischen Biotechnologen bereits realisiert: Sie konstruierten künstliche Zellmembranen, die problemlos pulverisiert werden können.  
Dies gelang einer Abeitsgruppe um Daniel A. Hammer von der University of Pennsylvania mittels so genannter Polymerosomen - künstliche Zellstrukturen, deren chemisches Verhalten nach Belieben verändert werden kann.

Die Forschungsergebnisse wurden im Rahmen einer Kooperation mit der NASA erreicht, die Interesse an lagerfähigem sowie gewichtsreduziertem Blutersatz hat. Denn: Übergepäck ist in der bemannten Raumfahrt naturgemäß streng verboten.
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"Microscale Soft Materials"
Ein Thesenpapier der "Interdisciplinary Research Group" um Daniel Hammer mit den grundlegenden Konzepten des Forschungsbereichs "Microscale Soft Materials" ist auf der Website des "Laboratory for Research on the Structure of Matter" (University of Pennsylvania) erschienen.
->   Zum Original-Artikel (pdf-Datei)
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Wunschtraum: Körper nach Belieben verbessern
Das Ziel, die Leistungen des menschlichen Körpers durch künstliche Eingriffe zu verbessern, ist vermutlich so alt wie die Medizin selbst. Die technologischen Voraussetzungen für zielgerichtete Modifikationen der menschlichen Organe sind freilich erst seit dem 20. Jahrhundert gegeben:

So könnte man etwa auf die Idee verfallen, dass die menschlichen Körperzellen, welche ihre physiologischen Aufgaben zwar recht ordentlich erledigen, durchaus einen Relaunch vertragen könnten.
Die fragile Zellmembran könnte ersetzt werden
Zum Beispiel die Zellmembran: Natürlicherweise sind Körperzellen von einer Doppelschicht aus so genannten Phospholipiden umgeben. Diese Schicht ist allerdings sehr fragil und zudem wasserdurchlässig.

Kein Problem für den amerikanischen Biotechnologen Daniel A. Hammer: Bereits im Jahr 1999 zeigten er und seine Mitarbeiter, dass das künstliche Molekül "OE-7" (in der chemischen Nomenklatur mit dem monströsen Namen "Polyethyleneoxid-Polyethylethylen" versehen) die Leistungen seines menschlichen Gegenstücks bei weitem übertrifft.
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"Polymersomes: Tough Vesicles"
Die Studie "Polymersomes: Tough Vesicles Made from Diblock Copolymers" von Daniel A. Hammer und Mitarbeitern erschien im Wissenschaftsmagazin "Science" (Band 284, Seiten 1143-46).
->   Zum Original-Artikel in "Science" (kostenpflichitg)
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Molekül OE-7 bildet spontan Zellstrukturen
Bild: University of Pennsylvania
OE-7 hat mit den Phospholipiden folgende wichtige Eigenschaft gemeinsam: Es handelt sich um ein so genanntes amphiphiles Molekül. Das heißt, seine Bausteine besteht aus einem "wasserliebenden" und "einem "wasserabweisenden" Ende.

Das führt dazu, dass sich OE-7 in wässriger Lösung spontan zu zellartigen Strukturen formiert. Diese Strukturen, im Fachjargon "Polymerosomen" genannt, sind im Vergleich zu natürlichen Membranen zehn mal weniger wasserdurchlässig. Zudem weisen sie ein ungleich höheres Molekülgewicht auf und widerstehen viel höheren mechanischen Belastungen.

Bild rechts: Zwei bis 20 Millimeter große Polymerosomen in einer Pufferlösung.
Polymerosomen: Robust durch Vernetzung
Wie eine solche Robustheit mit biochemischen Tricks zu erlangen ist, erklärt Dan Hammer in einem jüngst auf der Website der NASA erschienen Artikel: Bei Polymerosomen sind nämlich nicht nur die einzelnen Bausteine der Polymerketten verbunden, es gibt auch Quervernetzungen zwischen den Ketten.
->   Zum Artikel auf der NASA-Website
Künstliche Zellen überstehen Pulverisierung
Bild: University of Pennsylvania
Dies führt wiederum zu einer bemerkenswerten Eigenschaft: "Die künstlichen Zellen überstehen den Vorgang der Entwässerung, bis nur mehr Pulver übrigbleibt", so Hammer.

Für die NASA ist das äußerst wünschenswert: Pulverisierte Zellen können einfach und ohne großen Platzverbrauch aufbewahrt werden. Mit anderen Worten: Dies wäre eine ideale Möglichkeit, Blut für medizinische Notfälle für Raumfahrten über lange Distanzen zu transportieren.

Bild rechts: Die Polymerosomen mit den Quervernetzungen zwischen den einzelnen Polymerketten (links oben rot eingezeichnet) überstehen problemlos Entwässerung und Rehydrierung.
Polymerosomen für Immunsystem unsichtbar
In Polymerosomen schlummern allerdings noch andere vielversprechende Potenziale: So könnte man etwa eine Vielzahl verschiedener Moleküle mit den künstlichen Zellen in den Körper einschleusen. Da die Außenseite der Polymerosomen nicht mit Körperzellen interagiert, sind diese für das Immunsystem gewissermaßen unsichtbar.
Als molekulare Brieftauben einsetzbar
Hammer und sein Team sind auch in der Lage, das exakt gegenteilige Verhalten bewusst herbeizuführen. Mittels spezieller Moleküle, die sie den Polysomen hinzufügen, können sich die künstlichen Vehikel an ausgewählte Körperzellen anhaften. Auf diese Weise erreichen sie über den Blutstrom ihr Ziel innerhalb von 18 Stunden.
Zielgerichtete Therapien möglich
Damit könnte in Hinkunft das Problem von kollateralen Schädigungen umgangen werden: Beispielsweise könnten Medikamente gegen Arthritis nur zu den geschwollenen Fingern des Patienten geschickt werden - und zwar ohne irgendwo anders Reaktionen auszulösen.

Eine weitere Anwendung ergibt sich etwa für die Krebstherapie: Polymerosomen könnten auch direkt zu Tumoren gesendet werden, um deren Wachstum ohne unerwünschte Nebenwirkungen einzudämmen.
->   Homepage von Dan Hammer
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01.01.2010