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Datenmanipulation und Betrug in den Wissenschaften  
  Vor wenigen Wochen ist in Deutschland wieder ein Verdachtsfall von Wissenschaftsbetrug publik geworden. Ein renommierter Physiologe soll Daten manipuliert haben. Der Beschuldigte wies alle Vorwürfe zurück. Dennoch: Die Fälle von tatsächlichem oder vermutetem Betrug in der Wissenschaft scheinen sich in den letzten Jahren zu häufen. Nun hat sich ein Symposion mit dem Thema befasst.  
Ob es mehr Betrugsfälle gibt oder ob nur die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit größer geworden ist, diese Frage lässt sich schwer beantworten, sagt der Heidelberger Medizinhistoriker Wolfgang Eckart.

Er hat am Wochenende zusammen mit dem Wiener Historiker Mitchell Ash in Heidelberg ein Symposion über Betrug in den Wissenschaften organisiert. Eines ist klar: Je stärker der Druck auf die Wissenschaftler, desto größer die Versuchung zur Datenverfälschung.
->   Informationen zur Tagung in www.uni-heidelberg.de
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Der jüngste Fälschungsvorwurf: Heinz Breer
Der renommierte Physiologe Heinz Breer von der Universität Hohenheim - Träger des Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preises, der höchsten deutschen wissenschaftlichen Auszeichnung - soll Daten manipuliert haben. Der Beschuldigte weist alle Vorwürfe zurück. Es handle sich höchstens um handwerkliche Ungenauigkeiten und keineswegs um Fälschungsabsichten.
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Fälschungs-Fälle in Deutschland
1997/98 hat in Deutschland der spektakuläre Fälschungs-Fall des brillanten Ulmer Mediziners und Krebsforschers Friedhelm Hermann und seiner Kollegin Marion Brach Aufsehen erregt. Hermann wird Manipulation bzw. Mehrfachverwendung desselben Bildmaterials für unterschiedliche Studien vorgeworfen.

Letzten Herbst erregte der Fall des als genial geltenden jungen Physikers Jan Hendrik Schön Aufsehen. Der 32-jährige Deutsche arbeitete an den renommierten Bell Laboratories. Es stellte sich heraus, dass seine in der Elektronik-Fachwelt bestaunten und eifrig in renommierten Fachmagazinen publizierten Experimente nicht reproduziert werden konnten. Ein Star stürzte ab.

Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Nobelpreis-Anwärter als Fälscher entlarvt (27.9.02)
->   "Peer Review" im Kreuzfeuer der Kritik (4.10.02)
Wissenschaftliches System verantwortlich?
Christoph Schneider von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beschäftigt sich mit den Betrugsfällen. Er macht teilweise das wissenschaftliche System für den Betrug verantwortlich, vor allem in der medizinischen Forschung.

Die Ärzte in den Kliniken seien häufig überfordert, schlecht angeleitet und zu wenig kontrolliert. Zudem stünden sie unter enormen Erfolgszwang. Da sei der Weg von der Schlamperei zum Betrug nicht weit.
Vertrauensbonus der Forscher
Auffallend in den drei Fällen - Hermann/ Brach, Schön und Breer - ist, dass es sich um wissenschaftlich hoch renommierte Persönlichkeiten handelt. Das legt die Vermutung nahe, dass die Fälle u.a. deshalb nicht früher diskutiert wurden, weil die Forscher einen hohen Vertrauensvorschuss genossen.

An historischen Beispielen ist belegt, dass ein Vertrauensbonus ein gutes Schutzschild vor - auch gerechtfertigter - Kritik ist. Die Kölner Wissenschaftshistorikerin Ute Deichmann hat das zum Beispiel am Fall Emil Abderhalden und seiner Theorie der Abwehrfermente nachgezeichnet.
Beispiel Abderhalden: Mysteriöse "Abwehrfermente"
Der Biochemiker Abderhalden glaubte 1909 körpereigene Enzyme - damals nannte man sie Fermente - gefunden zu haben, die körperfremdes Serum abbauen und so als "Abwehrfermente" wirken.

Die Idee faszinierte die wissenschaftliche Welt. Die Anwendungsmöglichkeiten der Methode schienen enorm: von der Diagnose in der Schwangerschaft bis zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten und Krebs.
Endgültig verschwunden erst nach seinem Tod
1914 bestätigten die meisten deutschen Ordinarien der Gynäkologie die Methode als geeignet zur Diagnose der Schwangerschaft. Heute ist eindeutig belegt ist, dass es sich um eine unwirksame Methode handelt.

Es sollte allerdings fast 40 Jahre dauern - bis zum Tod Abderhaldens 1950 - bis die Methode aus den Lehrbüchern verschwand. Das Ansehen Abderhaldens - er war auch Präsident der Leopoldina, der ältesten Deutschen Akademie der Wissenschaften, war ein Garant gegen Kritik.
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Ähnlicher Fall: Die "Beagle Boys"
Ähnlich ist auch der Fall um den australischen Humanbiologen Michael Brigggs und seine "Beagle Boys" von der Deakin Universität, westlich von Melbourne. Briggs arbeitete in den 1980er Jahren an Fragen der Empfängnisverhütung. "Beagle Boys" wurde die Gruppe um Michael Briggs genannt, weil sie behauptete, an einer bestimmten Hunderasse, den Beagles, zu forschen. Auf dem Universitäts-Campus gab es allerdings keine Beagles.

Briggs war nicht gewillt, Kollegen Auskunft über seine Arbeit zu geben. Dennoch konnte ihn Jahre lang niemand der Manipulation überführen, weil er als hoch angesehener Forscher und erfolgreicher Wissenschaftsmanager, der große Geldsummen von Pharmafirmen einwarb, geradezu Immunität genoss. Außerdem schützten ihn die strengen australischen Anti-Verleumdungsgesetze. Erst in einem Interview mit Journalisten hat Briggs zugegeben, dass er seine Resultate manipuliert hat.
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Verstärkte Kontrollmechanismen
Die Kontrollmechanismen gegen wissenschaftlichen Betrug sind inzwischen verstärkt worden. In Deutschland hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft z.B. neue Gremien eingerichtet und Empfehlungen für die Sicherung der so genannten guten wissenschaftlichen Praxis ausgegeben. Institutionen, die keine Regeln gegen Betrug beschließen, bekommen kein Geld.
Die wichtige Rolle der Wissenschaftsmagazine
Eine wichtige Kontrollfunktion kommt auch den Wissenschaftsmagazinen zu. Durch das Verfahren des "Peer Review" - Kollegen, die die Arbeiten gegen lesen - soll die Seriosität der Artikel sichergestellt werden. Der Haken: Der Horizont der Forscher in den "Peer-Review"-Gruppen ist oft eingeschränkt.

Und bisweilen nutzen Kollegen die Chance, um "geistigen Diebstahl" zu betreiben. Gegen solche Fälle von subtilem Betrug ist schwer etwas zu tun. Gerade
subtiler Betrug steht aber im Wissenschaftsbetrieb sehr oft auf der Tagesordnung.

Ein Beitrag von Maria Mayer für die Sendung "Dimensionen" am Dienstag, 3. Juni 2003, um 19.05 Uhr in Ö1.
->   Radio Österreich 1
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01.01.2010