News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Frauen als Rabinnerinnen im Reformjudentum  
  Erstmalig in der Geschichte der Wiener Juden übernimmt eine Frau den Posten des Rabbineramtes. Im Progressiven Judentum stehen Frauen alle Ämter offen.  
Das progressive Judentum
Mit dem Aufkommen der 'Wissenschaft vom Judentum' vor 200 Jahren entstand das sogenannte Progressive Judentum.

Heute gehört weltweit die Mehrheit aller religiösen Juden diesem liberalen Spektrum an, das sich wissenschaftlich-kritischer Methoden bei der Beschäftigung mit den jüdischen Quellen annimmt. Das führt zu einer von der Orthodoxie stark abweichenden Religionspraxis.
Ein Überblick: Was religiöse Juden eint - und was sie trennt
Obwohl Nachrichtenbilder den Eindruck vermitteln, als trügen alle religiösen Juden Schläfenlocken, Bärte und schwarze Kaftane macht die Orthodoxie unter gläubigen Juden eine Minderheit aus.

Alle Richtungen im Judentum, ob orthodox oder nicht orthodox, berufen sich auf die gleichen jüdischen Quellen: die Thora (5 Bücher Moses) und den Talmud (eine Art Kompendium rabbinischer Kommentare). In der Interpretation der Offenbarungslehre zeigen sich jedoch große Unterschiede.
Die Orthodoxie
Die jüdische Orthodoxie geht davon aus, dass Moses die gesamte Thora und den Talmud quasi wortwörtlich 'diktiert' bekam. Daraus folgern orthodoxe Juden, dass diese Gebote unfehlbar sind und niemals von Menschen geändert werden dürfen.
Die Reformbewegung
Progressive Juden bedienen sich hingegen der historisch-wissenschaftlich fundierten Bibelanalyse. Deren Ergebnisse zufolge entstand der Talmud durch Berichte verschiedener Verfasser, erkenntlich an unterschiedlichem Stil, Aufbau und widersprüchlichen Angaben.

Insofern kann von einer Unfehlbarkeit nicht ausgegangen werden, urteilt der britische Rabbiner Louis Jacobs: "Die Bibel beinhaltet sowohl menschliche als auch göttliche Elemente, und im Text finden sich neben erhabenen Wahrheiten auch fehlerhafte Passagen."
Die Offenbarung ist niemals abgeschlossen
Für Liberale Juden ist die göttliche Offenbarung kein einmalig abgeschlossener Vorgang. Sie glauben vielmehr, dass sich Gott zu allen Zeiten den Menschen offenbart. Pflicht jeder Generation sei es, die Gesetzte immer wieder neu zu studieren. Auch unter Miteinbeziehung neuester Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung.

Jüdisches Leben müsse den sozialen, kulturellen und ethischen Herausforderungen der Moderne entsprechen, meinen liberale Juden.
...
"Gibt es nur ein Judentum? Ich meine, dass es trotz des Gesetzes unzählige Arten gibt, das Judentum zu leben. Wenn es ein wahres Judentum gibt, so besteht es für mich in der Lehre des Fragens und in der Ablehnung verfestigter Sicherheiten."

Der ägyptische Philosoph Edmont Jabes. "Die Schrift der Wüste". Berlin 1989.
...
Judentum zwischen Tradition und Erneuerung
Das Judentum war immer eine Religion der Diskussion. Im Talmud ist quasi jede Meinung mit dazugehöriger Gegenmeinung zu sämtlichen religiösen und sozialen Aspekten vertreten. Vom Pluralismus im Judentum zeugt der Talmud, eine Art Kompendium rabbinischer Kommentare.
->   Web-Sites zum Judentum
Das Ende des Pluralismus
Bis zum 16. Jahrhundert hat es im Judentum immer wieder Veränderungen gegeben: Gesetze wurden abgeschafft, Neues hinzugefügt. Erst mit der Niederschrift des Gesetzeskodex 'schulchran aruch' vor 400 Jahren kam es zu einer Erstarrung. Seitdem ist jede Lebenssituation orthodoxer Juden, vom Aufstehen bis zum zu Bett gehen, von der Geburt bis zum Tod durch über 600 Ge- und Verbote geregelt.
...
Die Geschichte des Reformjudentums
Heimat des sogenannten Reformjudentums ist Deutschland. Dort entstand diese Bewegung vor 200 Jahren, als Juden erstmals die Ghettos verlassen und ihre Berufe frei wählen konnten.

Von Deutschland aus breitete sich die Reformbewegung nach Europa und Amerika aus, wo es schon 1880 die meisten Reformsynagogen gab. Persönlichkeiten, die das progressive Judentum prägten waren unter anderem Abraham Geiger, Leopold Zuntz, Martin Buber, die erste Rabbinerin Regina Jonas sowie Shalom Ben-Chorim.
->   Reformjudentum
...
...
Die Wiener Gemeinde Or Chadasch
In Wien gibt es seit 1991 eine jüdisch liberale Gruppe. Or Chadasch ('Neues Licht') wurde vom Wiener Arzt Theodor Much gegründet. Der Primarius für Dermatologie betont, dass Pluralismus im Judentum kein neuzeitliches Phänomen ist, sondern ein historisch gewachsenes Faktum darstellt.

Theodor Much: "Judentum wie es wirklich ist". Wien 1997.
->   Or Chadasch
...
Wiens erste Rabbinerin
Seit März ist Eveline Goodman-Thau Rabbinerin der liberal jüdischen Gemeinde Or Chadsch. Die Wissenschaftlerin wurde 1934 in Wien geboren. Die NS-Zeit überlebte Goodman-Thau nach der Flucht aus Wien mit ihrer Familie in einem Versteck in Holland. Nach dem Krieg heiratete sie in Israel, studierte Theologie und Philosophie und unterrichtete an verschiedenen Lehrinstituten.

Seit 20 Jahren lehrt die in Jerusalem lebende Professorin für Judaistik und Geisteswissenschaften an der Freien Universität Berlin. Die fünffache Mutter wird in Zukunft zwischen Jerusalem, Berlin und Wien pendeln, wo sie auch wissenschaftlich tätig sein wird.

Sich selbst bezeichnet die heute 66jährige Rabbinerin als religiöse Denkerin: "Ich bin immer wieder interessiert zu sehen, wie religiöse Tradition, Wissenschaft und Moderne zusammenkommen."
->   Gespräch mit Eveline Godman-Thau
Die Frau im orthodoxen Judentum
Frauen waren im Altertum durch jüdische Gesetze um vieles besser gestellt, als Frauen nichtjüdischer Gemeinschaften. Da die einst revolutionären Vorschriften jedoch nicht an die veränderten Lebensumstände angepasst wurden, kam es zur Benachteiligung von Frauen.

Drastisch manifestiert sich diese Benachteiligung heute im Ehe- und Scheidungsgesetzt, das nur Männern die Möglichkeit gibt, den Scheidungsbrief auszustellen. In orthodoxen Gemeinschaften sind Frauen außerdem vom Talmud/Thorastudium ausgeschlossen und können nicht aktiv am Gottesdienst teilnehmen.
Die Frau im progressiven Judentum
Im Progressiven Judentum herrscht Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen. Weltweit haben bereits mehr Frauen als Männer ein Rabbineramt inne.

Rabbinerinnen gibt es jedoch erst seit dem 20. Jahrhundert. Als erste erhielt die Berlinern Regina Jonas 1935 ihre Ordination. Sie wurde deportiert und ermordet. Heute sind 30 Frauen in Europa als Rabbinerinnen tätig.
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010