News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Studie: Nachtarbeit erhöht Dickdarmkrebsrisiko  
  Die österreichische Medizinerin Eva Schernhammer erforscht seit Jahren die Auswirkungen von Nachtarbeit auf die Gesundheit. In einer aktuellen Studie nahm sich die Wissenschaftlerin nun dem Einfluss auf Dickdarmkrebs an: Wer demnach über fünfzehn oder mehr Jahre hinweg mindestens dreimal pro Woche nachts arbeitet, weist ein um 35 Prozent erhöhtes Dickdarmkrebs-Risiko auf. Ursache dafür könnte die unterdrückte Melatonin-Produktion sein.  
Das ist das Ergebnis einer Langzeitstudie an knapp 80.000 Krankenschwestern, die am Brigham and Women's Hospital in Boston durchgeführt wurde. Die Erkenntnisse wurden kürzlich im "Journal of the National Cancer Institute" publiziert.
...
Eva S. Schernhammer, Francine Laden, Frank E. Speizer, Walter C. Willett, David J. Hunter, Ichiro Kawachi, Charles S. Fuchs, Graham A. Colditz: "Night-Shift Work and Risk of Colorectal Cancer in the Nurses' Health Study", erschienen im "Journal of the National Cancer Institute", Band 95, Nr. 11 (2003).
->   Abstract des Originalartikels
...
Tag- Nachtrhythmus reguliert Melatonin-Bildung
Das Wechselspiel von Licht und Dunkelheit löst im Körper einen hormonellen Rhythmus aus - diesen über einen längeren Zeitraum regelmäßig zu stören, kann gesundheitsschädigend sein.

Hauptprotagonist des nächtlichen Zyklus ist das Hormon Melatonin, dessen Bildungsstätte in der Zirbeldrüse im Gehirn sehr sensibel auf die Helligkeit draußen reagiert. Wenn man sich in der Nacht ständig offenen Auges in lichterfüllten Räumen aufhält, führt das dazu, dass die Melatonin-Produktion unterdrückt wird.
Zudem erhöhtes Brustkrebsrisiko
Außerdem reguliert Melatonin die Bildung eines anderen Hormons, des Östrogens. Das wiederum steht - unter anderem - in engem Zusammenhang mit der Entstehung von Brustkrebs. Auch das Brustkrebsrisiko steigt bei regelmäßiger Nachtarbeit über viele Jahre hinweg, wie schon einige frühere Studien zeigen.

Die Vermutung lag also nahe, dass Nachtarbeit über den Vermittler Melatonin den Östrogen-Haushalt im Körper durcheinander bringt und so das Risiko von Krankheiten, die damit zusammenhängen - wie eben Brustkrebs - erhöht.
Krebsschützende Wirkung von Melatonin
Erhöhtes Brustkrebsrisiko durch veränderte Östrogen-Spiegel ist aber nur ein Teil der Geschichte, meint Studienautorin Eva Schernhammer im ORF-Interview.

Denn Melatonin hat, wie schon lange vermutet wird, auch selbst eine krebsschützende Wirkung: Es bindet an Zellen, kann Zellen bei der Teilung blockieren, greift in einen Mechanismus des natürlichen Zelltods ein und wirkt ähnlich wie Vitamin C als Antioxidant.
Test: Erkrankungen unabhängig vom Östrogen
Die krebsschützende Wirkung des Melatonins selbst war für Eva Schernhammer bisher zu wenig beachtet. Um diese Eigenschaft zu testen, musste man sich daher eine andere Krankheit suchen, die nicht direkt mit dem Östrogen-Haushalt zusammenhängt.

"Für Dickdarmtumore war die Evidenz aus Tierversuchen am stärksten, daher haben wir uns gedacht, wir schauen einmal , ob Nachtarbeit möglicherweise auch mit Dickdarmkrebs verbunden ist."

Für eine solche Untersuchung braucht man riesige Datenmengen, detailreich und genau über einen langen Zeitraum gesammelt. Das war mit ein Grund, weshalb Eva Schernhammer an das Brigham and Women's Hospital nach Boston gegangen ist.
...
Großangelegte Untersuchung: "Nurses' Health Study"
Am Brigham and Women's Hospital in Boston hat man 1976 mit einer großangelegten Studie, der "Nurses' Health Study", begonnen. Von ursprünglich über 121.000 Krankenschwestern wurden in regelmäßigen Abständen mittels Fragebögen Daten über ihre Lebensumstände und ihren Gesundheitszustand aufgenommen. 1988 wurden dann aus der Studie all diejenigen Krankenschwestern ausgewählt, die auch Angaben zu ihren Nachtdiensten machten - immer noch knapp 80.000, deren Gesundheitszustand dann weitere zehn Jahre mit besonderem Augenmerk auf die Häufigkeit von Dickdarmkrebs verfolgt wurde.
...
Um 35 Prozent erhöhtes Risiko
Das Studienergebnis war deutlich: mehr als dreimal Nachtarbeit pro Monat über mindestens fünfzehn Jahre hinweg erhöht das Dickdarmkrebsrisiko um 35 Prozent. Alle bisherigen Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass die unterdrückte Melatonin-Produktion dafür verantwortlich ist.

In neuen Studien will man jetzt versuchen, dies - erstmals beim Menschen - anhand von Blutproben auch experimentell nachzuweisen.

Sollten weitere Forschungen den Zusammenhang zwischen unterdrückter Melatonin-Produktion und erhöhtem Krebsrisiko bestätigen, kann man auch überlegen, wie dieser Gefahr dort, wo Nachtarbeit einfach notwendig ist, vorzubeugen wäre.
Beispiel: Rotes Licht weniger gefährlich
Möglich wäre zum Beispiel, genauer auf die nächtlichen Lichtquellen zu achten - denn nicht jedes Licht stört gleichermaßen. Besonders stark beeinflusst wird die Zirbeldrüse, wo das Melatonin produziert wird, durch kurzwelliges, blaues Licht, wie es beispielsweise von Halogenlampen ausgestrahlt wird.

Weniger schädlich sind "warme" Lichtquellen mit einem stärkeren Rotanteil, wie etwa die normale Glühbirne.
Einfluss durch Dienstplan und Medikamente
Auch Dienstplan und Rotationsprinzip könnten einen Einfluss darauf haben, wie stark die Melatonin-Produktion gestört wird. Eingehende Untersuchungen dazu gibt es aber noch nicht.

Und schließlich sind Melatonin-Präparate als Medikament denkbar - die aber noch deutlich weiter entwickelt sein müssten als jene, die es heute bereits am Markt gibt.

Ein Beitrag von Birgit Dalheimer für die Sendung "Dimensionen" am Freitag (13.6.03), um 19.05 Uhr in Ö1.
->   Brigham and Women's Hospital Boston
->   Alles zum Stichwort Nachtarbeit in science.ORF.at
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010