News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
Streit um die Zeit: Erdrotation kontra Atomschwingung  
  Zeit ist nicht gleich Zeit: Noch nicht einmal bei uns auf der Erde. Je nachdem, wie man sie misst - als Dauer der Erdrotation oder als Schwingungszeitraum bestimmter Atome -, ergeben sich kleine, aber feine Unterschiede. Wenn man sich nicht bald auf eine gemeinsame Variante einigt, könnte es in Zukunft zu Problemen kommen, meinen Experten. Während die einen um die Funktionstüchtigkeit von Teleskopen und damit um die Astronomie bangen, warnen die anderen vor Kommunikationsproblemen bei Navigationssystemen wie GPS - mögliche Unfälle inklusive.  
Bisher wurden alle paar Jahre "Schaltsekunden" in die Weltzeit eingefügt, um den Unterschied zwischen Weltzeit und Atomzeit auszugleichen. Vor zwei Jahren aber wurde diese Praxis in Frage gestellt.

Die internationale Telekommunikationsbehörde ITU, welche die Frage zu entscheiden hat, bat Experten unterschiedlicher Fachrichtung um ihre Meinung - und die sind sehr gespalten, wie "Nature" berichtete.
Der Artikel "Astronomers leap to defence of extra seconds in time debate" von Geoff Brumfiel ist in "Nature" (Bd. 423, S. 671, Ausgabe vom 12. Juni 2003) erschienen.
->   Zum Artikel (kostenpflichtig)
Zwei von drei Zeitstandards basieren auf Atomuhren
Weltweit gibt es drei verschiedene Zeit-Standards: Die Weltzeit (Universal Time; UT), basierend auf der Erdrotation, die internationale Atomzeit (Temps atomique international, TAI) als Referenzzeit der Wissenschaften und die koordinierte Weltzeit (Coordinated Universal Time, UTC).
Nächste Schaltsekunde am 1. Jänner 2006
Die koordinierte Weltzeit richtet sich nach der Atomzeit, nähert sich der Weltzeit aber mit Schaltsekunden an. Seit 1972 wurden ihr auf diese Weise 32 Schaltsekunden hinzugefügt - zuletzt in der Neujahrsnacht 1999, die eine Sekunde länger dauerte als gewöhnliche Nächte.

Zentralstelle für diese weltweite Anweisung zur Zeitangleichung ist das International Earth Rotation Service in Paris. Die nächste Schaltsekunde hat es für den 1. Jänner 2006 ausgesprochen.
->   International Earth Rotation Service
...
Weltzeit, Atomzeit, koordinierte Weltzeit
Die Weltzeit definiert die Dauer eines mittleren Sonnentages durch den Zeitabstand von Mitternacht zu Mitternacht längs des Meridians von Greenwich. Allerdings führen Unregelmäßigkeiten in der Rotation der Erde zu unvorhersehbaren Abweichungen von bis zu einer Sekunde pro Jahr.

Die internationale Atomzeit basiert auf den Daten von 200 Atomuhren weltweit. Sie ist eine Million mal genauer als die Weltzeit. Die TAI definiert die Dauer einer Sekunde als jenen Zeitraum, in dem von Caesium-133-Atomen ausgehende Mikrowellen 9.192,631.770 Schwingungen vollziehen.

Die koordinierte Weltzeit ist die seit 1972 international anerkannte Grundlage der Zeitmessung. Die UTC richtet sich nach der TAI, gleicht aber alle ein bis zwei Jahre die Unregelmäßigkeit der Erdrotation mit einer Schaltsekunde aus. So weicht die UTC nie mehr als 0,9 Sekunden von der UT ab.
->   Mehr über die verschiedenen Zeiten (Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen)
...
Weitere Schaltsekunden: Pro ...
Die Frage der internationalen Telekommunikationsbehörde ITU lautet nun: Abschaffen der Schaltsekunden oder nicht?

Argumente für die Beibehaltung stammen ursprünglich aus der Schifffahrt, die für ihre Navigation die exakte Position von Himmelskörpern benötigte. Das hat sich seit Einführung des Global Positioning Systems (GPS) geändert.

Einige Astronomen sind ebenfalls dafür, weil die Synchronie von Erdrotation und Weltzeit die exakte Arbeit ihrer Teleskope erst möglich macht.
... und contra
Viele andere würden gerne damit aufhören und sich mehr an die Atomzeit halten, die vom Bureau International des Poids et Mesures (BIPM) in Paris verwaltet wird. Manche befürchten sogar, dass ein Beibehalten der Schaltsekunden zu großen Problemen führen kann, bis hin zu Flugzeugunglücken.
->   BIPM
Probleme bei GPS: 13 Sekunden hinter Weltzeit
Große Schwierigkeiten mit dem "Auseinanderdriften" der Zeiten hat das Navigationssystem GPS, das seit seinem Startjahr 1980 auf der Weltzeit basiert. Die seit damals 13 Schaltsekunden wurden niemals hinzugefügt, weil das zu Grunde liegende Satellitensystem laut "Nature" damit nicht umgehen kann.

Dadurch, so zitiert "Nature" den amerikanischen Experten William Klepczynski, können sich mehrere Sekunden lange Pausen ergeben zwischen GPS-benutzenden Navigationssystemen und z. B. Flugzeugpiloten und Bodenpersonal.

Um ein mögliches Unglück zu vermeiden, müsse die Weltzeit von der Erdrotation abgelöst und als weltweiter Standard für die Navigation eingesetzt werden.
Umkehrung der Tag- und Nachtverhältnisse?
Das aber wiederum könnte die Arbeit mit Teleskopen bereits in wenigen Jahren erschweren bis verunmöglichen. Die Kosten für die nötigen Adaptionen pro Gerät könnten sich laut "Nature" schnell auf 100.000 Euro belaufen.

Hauptproblem: Wenn die Erdrotation nicht mehr eingerechnet wird, werden sich in einigen (Zehntausend) Jahren die Tag- und Nachtverhältnisse umkehren.
Frühestmögliche Entscheidung 2006
Mögliche Auswege, die diskutiert werden: die Einführung einer Schaltstunde in einigen Jahrhunderten oder die "Verlängerung" der Sekunden (der Atomzeit).

Frühestmögliche Entscheidungsfindung im "Streit um die Zeit" ist 2006. Dann findet die nächste Weltkonferenz der ITU zur Radiokommunikation statt. Die Experten der zur UNO gehörenden Institution vermuten aber schon jetzt, dass die Diskussion noch länger dauern wird.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   ITU
->   Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen
->   "Nature"
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010