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Links im Hirn: Der Sitz von Chomskys "Universal-Grammatik"  
  Die These des Linguisten Noam Chomsky, wonach es eine "Universale Grammatik" gibt, die allen Menschen angeboren ist und unser aller Sprachvermögen strukturiert, ist seit mehr als 30 Jahren bekannt. Nun wollen Neurowissenschaftler den entsprechenden Sitz im Gehirn ausfindig gemacht haben: das Broca-Areal in der linken Gehirnhälfte.  
Neurales Substrat einer linguistischen Theorie
Schon in den 1960er Jahren hat der auch politisch sehr aktive Noam Chomsky seine Theorie vorgestellt: dass Kinder deshalb so leicht sprechen lernen, weil es einen angeborenen, sprachenübergreifenden Sinn für Grammatik gibt.

Während seitdem Linguisten nach einfachen Regeln suchen, die allen Sprachen dieser Welt gemeinsam sind, hat sich ein Forscherteam um Mariacristina Musso von der neurologischen Universitätsklinik der Uni Hamburg dem neuronalen Substrat dieser These angenommen.

Einige Gründe sprechen dafür, dass es sich um das so genannte Broca-Areal handelt, wie eine Studie in "Nature Neuroscience" darlegt.
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Die Studie mit dem Titel "Broca¿s area and the language instinct" wird in der Juli-Ausgabe von "Nature Neuroscience" veröffentlicht, online ist sie am 22. Juni 2003 erschienen (DOI: 10.1038/nn1077).
->   "Nature Neuroscience"
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Universal-Grammatik trotz babylonischer Sprachvielfalt
Obwohl auf unserem Planeten babylonische Sprachenvielfalt oder -verwirrung herrscht, gibt es laut Chomsky eine angeborene Universal-Grammatik, die alle Menschen teilen.

Mariacristina Musso und ihr Team haben via Gehirn-Scans nun untersucht, was im Broca-Areal - dem Sprachzentrum in der linken Großhirnhemisphäre - beim Erlernen fremder Sprachen vor sich geht.
Stark aktiv nur bei sinnvollen Grammatik-Regeln
Das Broca-Areal ist - so die Studienautoren - hochaktiv, solange es sich um sinnvolle grammatische Regeln handelt.

Wurden den an der Studie beteiligten Probanden hingegen sinnlose Regeln gelehrt, war es weit weniger aktiv. Sinnlos oder sinnvoll bedeutet in diesem Zusammenhang: den von Noam Chomsky postulierten universalen Regeln der Grammatik entsprechend.
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Universale Grammatik
Der Begriff der "Universalen Grammatik" wurde vom amerikanischen Neuropsychologen und Linguisten Noam Chomsky geprägt und stammt aus seiner Theorie der "generativen Transformationsgrammatik". Er bezeichnet den angeborenen Mechanismus des Spracherwerbs, aufgrund dessen ein Kind in der Lage ist, die komplexe Grammatik - oder Syntax - prinzipiell jeder natürlichen Sprache zu erlernen. Die Grundlage bilden komplizierte Verschaltungsregeln in den Assoziationsgebieten des menschlichen Gehirns, wobei die linke temporale Großhirnrinde eine entscheidende Rolle spielt.
->   Chomsky for Philosophers
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Experiment: Erlernen falscher und richtiger Grammatik
Den zwölf deutschsprachigen Studienteilnehmern wurde zuerst ein kleiner Wortschatz in Japanisch und Italienisch beigebracht, danach die richtigen Grammatik-Regeln bzw. die Phantasie-Varianten.

Dann bekamen sie eine Reihe von Sätzen in den beiden Sprachen zu lesen und mussten beurteilen, ob sie mit der eben gelernten Grammatik konform gingen oder ihr widersprachen.

Währenddessen wurden ihre Gehirnaktivitäten mit Hilfe funktioneller Kernspinresonanztomografie (fMRI) untersucht.
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Beispiele
Den Studienteilnehmern, die bis dahin über keine Kenntnisse in Italienisch (und Japanisch) verfügten, wurden je drei richtige und drei erfundene Grammatik-Regeln beigebracht.

Etwa die (zutreffende) Regel, dass im Gegensatz zum Deutschen im Italienischen das Subjekt eines Satzes nicht obligatorisch ist: "Ich esse die Birne" heißt "Mangio la pera". Im "Phantasie-Italienischen" wurde hingegen gelehrt, dass sich in einer Verneinung das Negationswort nach der dritten Stelle des Satzes befindet (z.B. "Paul isst die Birne nicht" -> "Paola mangia la no pera").
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Falsche Regeln machen Broca-Areal inaktiv
Das Ergebnis: Bei den Sprachregeln, die Chomskys Universal-Grammatik entsprachen, stieg die Aktivität in den Broca-Arealen der Studienteilnehmer mit zunehmender Dauer des Experiments (und dadurch: Gewöhnung an die Regeln) immer mehr an.

Bei den Phantasiesprachen hingegen sank der anfänglich ähnlich hohe Aktivierungsgrad dieser Hirnregion ab und andere Hirnregionen übernahmen zunehmend die Aufgabe.
Weitere Forschungen nötig
Der "endgültige Beweis", dass das Broca-Areal die Heimstätte von Chomskys universaler Grammatik sein könnte, ist damit natürlich nicht erbracht. Wie ein begleitender Artikel in "Nature Neuroscience" ausführt, bedürfe es dazu noch weiterführender Studien.

Aber: Dem Zusammenhang von Gehirnleistung und Struktur der Sprache sei man wieder ein gutes Stück näher gekommen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Noam Chomsky (MIT)
->   Noam Chomsky Archive
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Werke von Chomsky
"Aspects of the Theory of Syntax" (1965, deutsch "Aspekte der Syntax-Theorie", 1969))
"Language and Mind" (1968, deutsch "Sprache und Geist", 1972)
"Modular Approaches to the Study of Mind" (1984)
"Generative Grammar: Its Basis, Development and Prospects"(1987)
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->   Neurologische Universitätsklinik, Uni Hamburg
 
 
 
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01.01.2010