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Amphetamine verbessern Tastsinn  
  Die Sensitivität des Tastsinnes kann durch eine spezielle Lerntechnik und die Einnahme von Amphetaminen erheblich verbessert werden. Diese Erkenntnis deutscher Wissenschaftler könnte für die Wiederherstellung des Tastsinns nach Hirnverletzungen, bei älteren Menschen oder Schlaganfallpatienten genutzt werden.  
Übung macht den Meister - das gilt auch für Wahrnehmungsleistungen, die sich durch Lernaufgaben kontinuierlich verbessern lassen. Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang vom so genannten perzeptuellen Lernen.

Den beiden Bochumer Forschergruppen von Hubert Dinse vom Institut für Neuroinformatik und Martin Tegenthoff von der Neurologischen Universitätsklinik Bergmannsheil konnten mit Hilfe von Medikamenten das perzeptuelle Lernen sowie die damit verbundenen Gehirnveränderungen manipulieren.
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Der Artikel ist in "Science" unter dem Titel "Pharmacological Modulation of Perceptual Learning and Associated Cortical Reorganization " (Bd. 301, S. 91 bis 94, Ausgabe vom 4. Juli 2003) erschienen.
->   Der Artikel (Kostenpflichtig)
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Aktives Training: Zwei Drahtstifte - zwei Reize
Perzeptuelles Lernen erfolgt durch stete Wiederholung. So lassen sich Objekte, die in ihrer Oberflächenbeschaffenheit sehr ähnlich sind, mit einiger Übung allein durch Anfassen voneinander unterscheiden.

Diese Fähigkeit zur "taktilen Auflösung" haben die Wissenschaftler bei Versuchspersonen gemessen, indem diese zwei dünne Drahtstifte ertasten mussten, deren Abstand voneinander immer geringer wurde.
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Zweipunktdiskriminationsfähigkeit
Der kleinste Abstand, bei dem die Versuchsperson noch zwei Drahtstifte wahrnimmt, wird im Fachjargon mit dem handlchen Terminus "Zweipunktdiskriminationsfähigkeit" bezeichnet. Jeder Mensch hat eine individuelle Diskriminationsschwelle, die sich durch langandauerndes Training herabsetzen lässt.
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Lernen durch passives Training
Um die Tastfähigkeit der Versuchspersonen zu verbessern, wurden kleine Bereiche ihre Zeigefingerspitzen mit Hilfe eines kleinen tragbaren Gerätes, das elektrische Impulse mit einer niedrigen Rate austeilt, einem kontinuierlichen Reiz ausgesetzt.
Das Ergebnis: Nach drei Stunden hatte sich die taktile Diskriminationsfähigkeit vorübergehend für einen Zeitraum von 24 Stunden verbessert.

Der Lernerfolg wurden durch Hirnstormessungen verfolgt. Diese Hirnstrommessungen zeigten eine eindeutige Verschiebung und Vergrößerung der Repräsentation des Zeigefingers auf der Hirnoberfläche, wenn sich die Diskriminationsfähigkeit verbesserte. Das Ausmaß des Lernerfolgs war von Person zu Person unterschiedlich.
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Chemie des Lernens
Nur wenige grundlegende chemische Mechanismen kontrollieren die Effizienz von Synapsen, dazu gehört die Gruppe der so genannten NMDA-Rezeptoren (N-Methyl-D-Aspartat). Ihre Aktivierung führt über eine Kette komplexer molekularer Vorgänge zu langanhaltenden Veränderungen der Synapseneffizienz, was u. a. als Langzeitpotenzierung (long-term-potentiation LTP) bezeichnet wird.
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Die Tablette für den Lernerfolg
Langanhaltende Veränderungen der Synapseneffizienz im Gehirn ist durch verschiedene chemische Substanzen modulierbar und lässt sich z. B. durch die Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin steigern.

Amphetamine, die im Gehirn Substanzen wie Dopamin, Serotonin und Noradrenalin freisetzten, verstärken somit auch die synaptische Plastizität.
Amphetamine erhöhen Lernerfolg um das Doppelte
Durch eine einmalige Verabreichung der Substanz Memantin, die den NMDA-Kanal blockiert, eliminierten die Forscher den Lernerfolg zunächst vollständig. Dann erhielten die Testpersonen eine einmalige Gabe Amphetamin (bekannt als Psychopharmakum), was tatsächlich zu einer Verdoppelung des "normalen" Lernerfolges führte.

Auch die Hirnstrommessungen zeigten entsprechende Veränderungen: Die Blockade des Lernens unter Memantin schränkte die Hirnveränderungen ein, während der doppelte Lernerfolg durch Amphetamin zu einer Ausdehnung der Hirnrepräsentation führte.
Gedächtnistraining der Zukunft
Die Ergebnisse der Bochumer Wissenschaftler könnten der Beginn einer neuen Ära sein, in der sich Gehirnfunktionen und damit das Verhalten durch eine Kombination von Training, Stimulation und medikamentöser Therapie aktiv und gezielt verändern lassen.

Neue Therapieansätze gäbe es genug: Gerade ältere Menschen oder Patienten mit neurologischen Störungen, z. B. nach einem Schlaganfall oder einer Hirnverletzung, können sich oft nicht ausreichend lange auf die erforderlichen Therapien konzentrieren oder selbst aktiv mitmachen.

Mit diesem passiven Therapieansatz könnten aber auch Fähigkeiten wie Klavierspielen oder das Lesen von Blindenschrift verbessert werden.
->   Institut für Neuroinformatik, Ruhr-Uni-Bochum
->   Neurologische Universitätsklinik Bergmannsheil - Bochum
->   Mehr zum Thema "Lernen" in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010