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Sinn und Gefahr wissenschaftlicher Metaphern  
  Die Sprache der Wissenschaft strotzt vor bildhaften Ausdrücken. Eines besonderen metaphorischen Reichtums erfreut sich etwa die Biologie: Phrasen wie "Natürliche Feinde" oder "Survival of the Fittest" finden sich nicht nur in populären Darstellungen, sondern ebenso in einschlägigen Forschungsberichten. Zwei amerikanische Forscher haben nun einen kritischen Blick auf die sprachlichen Bilder geworfen und konstatieren: Metaphern sind gleichermaßen instruktiv wie gefährlich - ein wenig mehr an kritischer Reflexion täte Autoren von Wissenschaftsprosa daher gut.  
Eine These, die Matthew K. Chew und Manfred D. Laubichler von der Arizona State University in ihrem Essay vertreten: Je komplexer der Forschungsgegenstand einer Disziplin, desto bildhafter die verwendete Sprache. Am konkret diskutierten Beispiel "Ökologie" scheint dieser Zusammenhang zumindest recht gut belegt.
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Der Aufsatz "Natural Enemies - Metaphor or Misconception?" von Matthew K. Chew and Manfred D. Laubichler erschien im Rahmen der Reihe "Essays on Science and Society" des Wissenschaftsmagazins "Science" (Band 301, Nr. 5629, S. 52-53).
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Anlassfall "Frankenfish"
Der Anlassfall, der Chew und Laubichler zu ihrer Kritik am Gebrauch wissenschaftlicher Metaphern bewegt hat, ist relativ unspektakulär:

Im Sommer 2002 berichteten mehrere amerikanische Medien über den asiatischen Süßwasserfisch Channa argus, der - ursprünglich als Delikatesse in die USA eingeführt - in freier Wildbahn zu einer Bedrohung für das ökologische Gleichgewicht wurde.

Aufgrund seiner Tendenz "alles zu fressen, das kleiner ist als er selbst" belegte man ihn mit dem wenig schmeichelhaften Namen "Frankenfish" und rief zu expliziten Gegenmaßnahmen in regelrechter Wildwest-Manier auf: "Kill this fish."

Selbst renommierte Wissenschaftsmagazine wie "Nature" und "Science" übernahmen in ihren Berichten den aufgeregten Tonfall der Massenmedien - und mit ihm einige sprachliche Übertreibungen.
Metaphern: Instruktiv und verständlich
Interessanter als die unsaubere Wortwahl für einen ökologischen Sachverhalt ist hingegen die allgemeine Perspektive, derer sich Chew und Laubichler in weiterer Folge annehmen:

Wie sinnvoll sind überhaupt Metaphern in der Wissenschaftssprache, die - zumindest dem Anspruch nach - Wert auf Objektivität und Exaktheit legt? Für die beiden amerikanischen Biologen steht zunächst außer Zweifel, dass sprachliche Bilder durch ihre Einfachheit und intuitive Verständlichkeit bestechen können.

Mit Metaphern lasse sich eben leicht "die Botschaft rüberbringen". Und deswegen sei es auch niemals gelungen, die Sprache der Wissenschaft von metaphorischen "Unreinheiten" zu "säubern".
Probleme durch kulturellen Kontext
Ganz im Gegenteil; Metaphern sind nach Ansicht der beiden Autoren ein essenzieller Bestandteil jeder Form von Sprache und Verständigung. Und damit ist auch deren Interpretation vom kulturellen Kontext abhängig, der sie hervorgebracht hat: "Und hier beginnen die Probleme", schreiben Chew und Laubichler.
Beispiel "natural enemy"
Beispielsweise sei die Formulierung "natürlicher Feind" ("natural enemy") zwar selbst in ökologischen Veröffentlichungen gang und gäbe, werde jedoch selten definiert. Und das, obwohl viele andere exakte Begrifflichkeiten für die Beziehungen zwischen Räuber, Beute und Parasiten zur Verfügung stehen.

Dass die unkritische Verwendung von solchen Metaphern leicht zu (martialisch gefärbten) Fehlinterpretationen außerhalb der Fachwelt führen können, versteht sich von selbst.
Je komplexer das Forschungsobjekt ...
In Bezug auf die Beziehung von Forschungsobjekt und Sprache postulieren Chew und Laubichler folgenden Zusammenhang: Je komplexer der Untersuchungsgegenstand, desto bildreicher die Sprache. So gesehen verwundert es nicht, dass etwa die Ökologie vor metaphorischen Ausdrücken nur so strotzt.
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... desto bildhafter die Sprache
Chew und Laubichler führen folgende Beispiele an:
"Terms such as alien, assembly, cascade, colonize, community, competition, consumption, contest, defense, disturbance, efficiency, enemy, equilibrium, flow, founder, gradient, hierarchy, interaction, invasive, native, niche, node, productivity, sink, source, stability, succession, territory, web are all commonly used to define and communicate ecological ideas among specialists."
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Sprachliche Bilder: Zweischneidiges Schwert
Insgesamt betrachtet erweisen sich Metaphern als zweischneidiges Schwert: Einerseits helfen sie uns neue Ideen zu entwerfen, indem man, "auf Erfahrung aufbauend, bekannte Beziehungen auf unbekannte Kontexte erweitert."

Das kann fruchtbar sein, wie etwa die Anwendung der Sprache der Informationstheorie auf die Genetik zeigt ("Code", "Prozessieren", "Transkribieren" etc.)

Es kann freilich auch furchtbar sein, wie die "Krebsgeschwür"- und "Fremdkörper"-Sprechweise der "Rassenhygieniker" im Rahmen der NS-Biologie eindrücklich vor Augen führt.
Kritik: Tendenz der Verdinglichung
Aber auch weniger offensichtliche Gefahren lauern hinter den bildhaften Ausdrücken: Nicht selten werden metaphorische Abstraktionen in den Köpfen des Lesers (oder gar Forschers) zu konkreten Objekten.

Stellt man etwa die komplexen Regulationsnetzwerke in der lebenden Zelle in Rechnung, dann macht es wenig Sinn, ein "Gen" als einzelnes, statisches Ding anzusehen.

Und verwendet man z.B. den Begriff der "maximalen Diversität", dann kann man in diesem Zusammenhang von einer evolutionären Tendenz sprechen. Wird daraus jedoch ein angesteuertes "Ziel" der Evolution, so hat man den zulässigen Bedeutungsrahmen auch schon überdehnt.

Robert Czepel, science.ORF.at
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01.01.2010