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Das Geschäft mit der Ethnomedizin  
  Auf der Suche nach neuen medizinischen Wirkstoffen bedienen sich Pharmafirmen zunehmend des traditionellen Wissens über Heilpflanzen. Ein fairer Handel mit den Völkern, von denen dieses Wissen stammt, scheint aber derzeit noch nicht absehbar.  
Immer wieder werden Pharmafirmen auf der Suche nach neuen Wirkstoffen bei Pflanzen in entlegenen Gebieten (aus der Sicht westlicher Industrienationen) fündig - bei Pflanzen, um deren Heilkraft die autochthonen Völker oft schon lange wissen.
Profit bleibt bei Pharmafirmen
Heute lassen sich einzelne interessante Gene aus solchen Pflanzen isolieren und patentieren. Davon profitieren freilich vor allem die Pharmafirmen, kaum aber diejenigen, aus deren Gebiet die Pflanzen stammen und die vielleicht auch schon seit Jahrhunderten mit deren Heilpotenzial arbeiten.

Kritiker sprechen von Biopiraterie, die aber längst nicht erst mit der modernen Biotechnologie begonnen hat, wie der Ethnomediziner Prof. Armin Prinz von der Universität Wien anhand zahlreicher Beispiele zeigt.
Erste Chemotherapeutika
In den fünfziger Jahren war die amerikanische Pharmafirma Eli Lilly auf der Suche nach Medikamenten gegen Diabetes. Sie untersuchte dafür eine große Zahl von als Heilpflanzen bekannten Gewächsen - egal, wofür diese traditionell verwendet wurden.

Aufgefallen ist dabei das Madagaskar-Immergrün, das in Tierversuchen immer zu einem Versagen der Funktionen des Knochenmarks geführt hat. Weitere Untersuchungen der Pflanze haben die Wissenschafter zwar nicht ein Mittel gegen Diabetes, dafür aber die ersten hochwirksamen Zytostatika finden lassen.

Im Nachhinein wurde festgestellt, dass die Pflanze auch traditionell schon lange gegen Wucherungen verwendet worden war. An den gereinigten Mitteln gegen Zellwachstum verdiente Eli Lilly.
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Zytostatika
Zytostatische Mittel sind Substanzen, die wegen ihrer hemmenden Wirkung auf das Wachstum und die Vermehrung besonders von rasch wachsenden Zellen in der Krebsbehandlung verwendet werden (Chemotherapie). Es gibt chemisch und pharmakologisch verschiedene Gruppen von Cytostatika, z. B. Mitosegifte (Triethylenmelamin, Cyklophosphamid u. a.), Antimetaboliten (Methotrexat, L-Asparaginase) und bestimmte Antibiotika (Actinomycine u. a.), im weiteren Sinne auch Hormone, z. B. Östrogene bei Vorsteherdrüsenkrebs und Androgene beim Brustdrüsenkrebs.
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Schutz der traditionellen Heilpflanzen?
Mehrere Versuche wurden unternommen, Pflanzen mit bekannter und traditionell genutzter Heilkraft in ihrem Herkunftsland zu schützen. Das ist allerdings so gut wie nie wirklich möglich, meint Armin Prinz.

Rawolfia serpentina zum Beispiel wird in Indien, Sri Lanka und Ceylon seit langem als Beruhigungsmittel etwa bei Schlangenbissen verwendet.
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Rawolfia serpentina
1560 wurde die Pflanze in Ceylon erstmals wissenschaftlich beschrieben und ist dann auch schnell in unsere Arzneibücher gekommen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde sie daraus allerdings wieder entfernt, man kannte die Ursache ihrer Wirkung nicht und verteufelte sie deshalb als "magisches Beiwerk". Erst 1953/54 hat die Pharmafirma Ciba den Wirkstoff Reserpin aus der Pflanze gereinigt, der zu einem der wichtigsten blutdrucksenkenden Mittel wurde. Später wurden auch noch weitere Substanzen aus der Pflanze gewonnen.
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In Indien versuchte man, mittels Exportverboten ein Monopol auf die Pflanze zu halten, das allerdings scheitern musste. In Afrika, so stellte sich heraus, wachsen Verwandte von Rawolfia mit einer noch höheren Konzentration der Inhaltsstoffe.
Chinarinde und Teeölbaum
Ähnlich hat Peru versucht, über Exportverbote ein Monopol auf die Chinarinde zu halten, aber offenbar nicht mit dem Einfallsreichtum von Schmugglern gerechnet, erzählt Armin Prinz. In Särgen versteckt wurde die Chinarinde außer Landes gebracht und in Indonesien schließlich von Holländern in großen Plantagen angebaut. Auch der versuch der Maori, "ihren" Teeölbaum zu schützen, schlug fehl, weil die Pflanze sich auch in anderen Teilen der Welt pflanzen lässt.
Profitbeteiligungen schwierig
Pharmafirmen sichern sich den Gewinn aus den oft in langjähriger und teurer Forschungsarbeit entwickelten Medikamenten durch Markenrechte. Die autochthonen Völker am Profit, der durch die Medikamente aus "ihren" Pflanzen gewonnen wird, zu beteiligen, hält Prinz für schwierig.

Kaum je stimmt das Verbreitungsgebiet einer Pflanze mit Staats- oder Stammesgrenzen überein. Wem also sollte man Geld geben und wie außerdem sicherstellen, dass dieses Geld dann auch wirklich der Bevölkerung zugutekommt, jenen, die um die Heilkraft der Pflanzen wissen und mit ihr arbeiten?

Immer wieder werden Konferenzen abgehalten, zu denen Vertreter dieser Gruppen eingeladen werden, um über mögliche Entschädigungen zu beraten, sagt Armin Prinz. Ergebnisse seien bisher aber keine erzielt worden.
Billige Medikamente im 'Austausch'
Wenn schon keine finanzielle Entschädigung, so könnte man doch versuchen, der Bevölkerung in den Gegenden, aus denen die Heilpflanzen stammen, gratis oder billig Medikamente zur Verfügung zu stellen. Dass auch dieser Schritt den Pharmafirmen meist zu weit ginge, zeigt nicht zuletzt die Klage gegen Südafrika wegen angeblich zu billiger AIDS-Präparate.

Aber selbst wenn guter Wille vorhanden wäre, stieße auch diese Vorgehensweise auf Schwierigkeiten: dann nämlich, wenn an Ort und Stelle weder die Infrastruktur noch das Wissen um den richtigen Umgang mit diesen Medikamenten vorhanden ist.
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Antibiotika für die 'Dritte Welt'
Antibiotika zum Beispiel, so Prinz, sind im Gießkannenprinzip über die ganze Welt verteilt worden. In den sogenannten Dritte-Welt-Ländern hat das noch viel schneller zur Entwicklung von Resistenzen geführt als hierzulande, da sie ohne Verordnung völlig unsachgemäß verwendet wurden. Die Mittel liegen außerdem oft in der Sonne statt in (nicht vorhandenen) Kühlschränken, was etwa im Fall des Antibiotikums Tetracyclin dazu führt, dass es giftig wird.
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Unsinn Ärztemustersammlungen
Als völlig unsinnig bezeichnet Prinz die Sammlung von Ärztemuster-Medikamenten, die dann in diese Gegenden gebracht werden. Wenn die Infrastruktur für die richtige Lagerung und Verteilung nicht vorhanden ist, Beipacktexte nicht verstanden werden können und die notwendigen Hilfsmittel für die Verwendung (etwa sterile Spritzen) fehlen, richten die Medikamente oft mehr Schaden als Nutzen an.

Eine sinnvolle Alternative wäre eine Versorgung mit Basismedikamenten, die den örtlichen Gegebenheiten angepasst sind, meint Prinz, die also zum Beispiel nicht unbedingt im Kühlschrank gelagert werden müssen oder nur sehr kurze Zeit haltbar sind.

Birgit Dalheimer, Ö1-Wissenschaft
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01.01.2010