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Bioethik: Ein Thema auch für Österreich  
  Die Fragen der Bio-Ethik und Bio-Medizin werden in Deutschland und der Schweiz intensiv diskutiert. Die unterschiedlichen Ansätze dieser Debatte nimmt Heinz Barta, Professor am Institut für Zivilrecht der Universität Innsbruck, zum Ausgangspunkt für seine Analyse und Kritik des Zusammenspiels von Politik, Medizin und Gesellschaft.  
Original-Beitrag von Heinz Barta
Die Schweiz beispielsweise diskutiert nicht nur die praktisch wichtige Frage einer angemessenen Entschädigung von Patienten/innen bei unterlaufenen Behandlungsfehlern; obendrein wird an einem Transplantationsgesetz (TPG) gearbeitet, nachdem zuvor ein Volksentscheid sich dafür ausgesprochen hat, diesen Problemkreis in der Verfassung zu verankern.

Derlei Aktivitäten sind demokratiepolitisch äußerst wichtig, zumal dadurch auch in der Öffentlichkeit klar wird, dass es bei diesen Fragen um gesellschaftliche Wertsetzungen geht, die nicht nur von einer schmalen Spezialistenelite diskutiert und entschieden werden sollen.
Lehrbeispiel Deutschland - und Österreich
In Deutschland ist es vor allem der Einsatz neuester gentechnischer Methoden (insbesondere das therapeutische Klonen), über den seit Monaten auf höchstem Niveau debattiert wird; vgl. Die Zeit, ab Nr 4/01. Ein Transplantationsgesetz (TPG) haben die Deutschen schon seit 1997

Die Diskussion eines Transplantationsgesetztes, das auch für Österreich zu fordern ist, ist gesellschafts- und gesundheitspolitisch deshalb so wichtig, weil dabei auch der Einsatz neuer medizinischer Methoden und Techniken überlegt und diskutiert werden muss: Xenotransplantation, therapeutisches Klonen, Transplantation von Gliedmaßen etc.

Bei uns wird all dies sowohl von der Politik als auch der Transplantationsmedizin zur Seite geschoben und als unwichtig abgetan.
Bioethik-Konvention: Funkstille?
Der Europarat hat 1997 in Fortentwicklung der Europäischen Menschenrechts-Konvention die so genannte Bioethik-Konvention oder Menschenrechts-Konvention zur Bio-Medizin verabschiedet und feilt seit 1999 an einem Zusatzprotokoll zu diesem wichtigen Dokument, dem sich auch Österreich auf Dauer nicht wird verschließen können, mag das auch Arbeit verlangen.

Dieses Regelwerk versucht erstmals zentrale Fragen der Bio-Medizin einer gemeinsamen europäischen Lösung zuzuführen und ist daher ernst zu nehmen. Obwohl es auch hier manches zu bedenken und gesetzlich zu regeln gäbe, herrscht bei uns Funkstille.
Politik versagt ?
Die Politik erscheint nicht in der Lage auch nur einen bescheidenen Beitrag zu diesen Zukunftsfragen zu erbringen oder gar Lösungen vorzuschlagen. Dabei könnte dieser europäische Lösungsansatz mit einer nationalen Regelung über Patientenrechte verbunden und zu einem verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechtsschutz verwoben werden.
Alten- und Behindertenheime
Auch im Bereich der Alten-, Pflege- und Behindertenheime ist die Regierung nicht in der Lage auch nur eine bundeseinheitliche Regelung für den Abschluss von Heimverträgen zustande zu bringen. Das wäre aber für den Schutz dieser Personengruppe sehr wichtig.

Das zeigt anschaulich, welchen politischen Stellenwert diese Personengruppe bei unserer Regierung genießt. Hier spielen allerdings auch beachtliche Länderegoismen eine unglückliche Rolle. Die Verhinderungsfunktion der Länder hat ja mittlerweile ein beachtliches Ausmaß erreicht.

Abhilfe ist nicht in Sicht. Die ohnehin schwachen Kräfte sind offenbar mit Vertuschungstaktiken - Schweineskandal, Ambulanzgebühr Hauptverband - vollauf ausgelastet.
Auch die Medizin versagt
Es ist aber nicht nur die Politik, die versagt. Auch die Medizin - und hier wiederum vor allem ihre Interessenvertretung - drückt sich, wo immer es geht, um den nötigen gesellschaftlichen Diskurs und verhindert dadurch gesellschaftlich nötige Lösungen.

Mediziner agieren gerne "regelfrei " und werten Überlegungen anderer bloß als ungebührliche Einmischung in ihren Arkanbereich. Mediziner erklären mittlerweile allen Ernstes ihre Disziplin (neben der Biologie ) zur neuen wissenschaftlichen Leitdisziplin.

Viel Schlimmeres könnte uns wohl gar nicht passieren, scheint doch die Medizin bislang weder gewillt, noch in der Lage, für den nötigen gesellschaftspolitischen Diskurs zu sorgen. Die Gesetze des Marktes und Wettbewerbs werden hier unser Überleben und Wohlergehen ebenso wenig sichern wie die bislang praktizierte Vogel-Strauß-Politik.
Die Aufgabe des Rechts
Recht kann und soll Gesellschaft möglich machen. Recht - richtig verstanden - richtet sich gegen niemanden, sondern hat die Aufgabe zu verfolgen, Gruppenegoismen auszugleichen und das Gesamtwohl zu fördern.

Das geht natürlich von selbst, wie uns Max Weber deutlich gemacht hat. Die Medizin muss verstehen lernen, dass sie auch in zentralen Fragenbereichen in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext eingebettet bleibt , der eine disziplinäre "splendid isolation" ebenso verbietet, wie Überheblichkeit und Willkür.

Es ist in modernen Rechtsstaaten Aufgabe des Rechts, Rahmenbedingungen zu schaffen und dadurch dafür zu sorgen, dass sich in den einzelnen Gesellschaftssegmenten nicht nur disziplinär-egoistische Tendenzen durchsetzen, sondern eine ausgewogene Ziel-Mittel-Konstellation.
Grenzfragen der Medizin
So wie die Frage der Gerechtigkeit nicht nur ein juristisches Problem ist - und daher nicht zufällig häufiger von Philosophen und anderen Disziplinen behandelt wird, als von juristischer Seite -, erscheinen nicht wenige Grenzfragen der modernen Medizin auch als, ja vornehmlich philosophische, soziologische, theologische, juristische und natürlich vor allem politische Probleme.
Medizin als Hilfswissenschaft
Der Medizin kommt in einem derartigen gesellschaftspolitischen Diskurs oft nur die Rolle einer Hilfswissenschaft zu, die Auskunft darüber geben soll, was technisch-handwerklich möglich ist und was nicht; nicht aber die Alleinentscheidung darüber, ob Mögliches auch wünschenswert ist.

Darüber haben andere mindestens ebenso zu befinden. Dazu ist neben der Frage der technischen Machbarkeit auch jene nach dem sittlich, ethisch, gesellschaftlich, rechtlich und politisch Wünschens- und Erstrebenswerten zu stellen und zu beantworten.
Normen als Wegweiser
Wichtig erscheint auch die Einsicht, dass Normen primär nicht als Sanktion von gesellschaftlicher Bedeutung sind, sondern zu aller erst als Wegweiser für ein gesellschaftsförderliches Verhalten eine Rolle spielen; Orientierungsfunktion von Normen. Sie sollen den Menschen auf einen gesellschaftsverträglichen Weg weisen.
Menschenbild - Menschenwürde
Zuletzt eine grundsätzliche Überlegung: Wie die Generationen vor uns, haben auch wir unser Weltbild aufzubauen. Es gleicht immer weniger dem unserer Vorfahren. Teil dieses Weltbildes ist das Menschenbild und - daraus fließend - die Menschenwürde.

Zu unserem Menschenbild und unserem Verständnis von Menschenwürde zählen immer wieder Grenzfragen zwischen Recht und Medizin. Wir alle sind daher gefordert, einen substantiellen Beitrag zum Menschenbild - und damit der Menschenwürde - und damit auch zum künftigen Weltbild zu leisten.

Univ. Prof. Heinz Barta; Institut für Zivilrecht, Universität Innsbruck
->   Heinz Barta
Mehr zum Thema Bioethik-Konvention bei science.orf.at
->   Die Bioethik-Konvention des Europarates
 
 
 
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01.01.2010