News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Links oder rechts? Wie das Gehirn entscheidet  
  Gleiche Reize können höchst unterschiedliche Reaktionen unseres Gehirns auslösen: Was geschieht, wenn wir sie verarbeiten, hängt vor allem davon ab, was wir mit den Informationen anfangen sollen. Neurologen haben nun einen Ort im Gehirn ermittelt, der festlegt, ob die linke oder rechte Hirnhälfte eine Arbeit erledigen soll.  
Zum ersten Mal konnten Hirnforscher um Gereon Fink vom Forschungszentrum Jülich und der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Aachen jetzt diesen Entscheidungsprozess beobachten.

Eine Struktur im Stirnhirn weist den Hirnhälften demnach die Arbeit zu. Ihre Forschungsergebnisse, so hoffen die Wissenschaftler, werden Patienten helfen, bei denen beispielsweise durch einen Schlaganfall eine Hirnhälfte geschädigt ist.
...
Die Studie ist unter dem Titel "Lateralized Cognitive Processes and Lateralized Task Control in the Human Brain" in "Science" (Bd. 301. S. 384-386, Ausgabe vom 19. Juli 2003) erschienen.
->   Die Studie (kostenpflichtig)
...
Sprache links, Raum-Vermögen rechts
Das menschliche Gehirn, das äußerlich aus zwei fast spiegelgleichen Hälften besteht, ist asymmetrisch organisiert. Das Sprachvermögen ist gemeinhin links zu Hause, räumliche Fähigkeiten dagegen rechts.

Wie aber wird die Arbeit im Hirn eingeteilt? Finks Arbeitsgruppe fand jetzt heraus, wie beide Hirnhälften den Umgang miteinander regeln.
Gleiche Anordnung, verschiedene Aufgaben
Die Hirnforscher baten Versuchspersonen, kurze Hauptwörter zu betrachten, in denen ein Buchstabe rot gefärbt war. Nun erhielten die Teilnehmer unterschiedliche Aufträge:

Mal sollten sie angeben, ob das jeweils gezeigte Wort den Buchstaben A enthielt - eine sprachliche Aufgabe also. Ein anderes Mal wurden die Teilnehmer gefragt, ob der rote Buchstabe rechts oder links der Wortmitte stand - hier war die räumliche Wahrnehmung gefordert.
Räumliche bzw. sprachliche Wahrnehmung gefordert
Währenddessen beobachteten die Wissenschaftler, welche Bereiche des Gehirns jeweils besonders aktiv waren. Dafür nutzten sie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT). Dieses Verfahren misst, wie gut das Hirngewebe mit Sauerstoff versorgt wird, und macht damit diejenigen Bereiche des Hirns sichtbar, die gerade intensiv arbeiten.
Unterschiedliche Reaktionen des Gehirns
Wurde nach dem Buchstaben A gefragt, waren ausschließlich Areale in der linken Hirnhälfte mit der Lösung dieser Aufgabe beschäftigt, darunter auch die so genannte Broca-Region. Ihre Rolle bei der Sprachverarbeitung ist seit langem bekannt.

Galt es dagegen, die Position des roten Buchstabens richtig einzuordnen, löste dasselbe Wort nur in der rechten Hirnhälfte, speziell im Scheitellappen, Aktivitäten aus.
->   Mehr dazu in: Der Sitz von Chomskys "Universal-Grammatik" (23.6.03)
Stirnhirn entscheidet
Die Hirnforscher begnügten sich nicht damit, diese Arbeitsteilung zu beobachten. Sie wollten vor allem wissen, wie das Gehirn die Arbeit der linken oder der rechten Hirnhälfte zuweist. Für diese Managementaufgabe wird eine Kontrollzentrale im Gehirn benötigt, die die Forscher ebenfalls mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie aufspürten.

Sie zeigte: Ein Bereich des Stirnhirns, vorderer cingulärer Cortex (anterior cingular cortex, ACC) genannt, entscheidet darüber, ob die linke oder die rechte Hirnhälfte aktiv wird.
...
Klaas Stephan vom Institut für Medizin des Forschungszentrums Jülich in einer Aussendung: "Der linke Teil des ACC arbeitete immer intensiver mit der Sprachregion der linken Hirnhälfte zusammen, während die Entscheidung zu Gunsten der Buchstabenerkennung fiel. Im anderen Fall nahm der Einfluss des rechten ACC auf den Scheitellappen der rechten Hirnhälfte zu."
...
Mögliche Konsequenzen für Schlaganfall-Patienten
Solche Erkenntnisse helfen auch zu verstehen, was im Gehirn von Menschen vorgeht, bei denen, etwa als Folge eines Schlaganfalls, diese Kontrollmechanismen gestört sind. So können Schäden im rechten Scheitellappen dazu führen, dass Patienten eine Hälfte der Welt ignorieren.

Sie sehen sie zwar, beachten sie aber nicht - Wissenschaftler sprechen vom "Neglect". Manche Patienten mit Schlaganfällen in der linken Hirnhälfte können dagegen Sprache nicht mehr richtig verstehen - ein Krankheitsbild, das als Aphasie bezeichnet wird. In beiden Fällen ist die Verständigung zwischen verschiedenen Hirnregionen beeinträchtigt.

Die Jülicher Forscher können nun diese Probleme im Management des Gehirns genauer nachvollziehen - eine Voraussetzung dafür, künftig bessere Therapien zu entwickeln.
->   "Science"
->   Forschungszentrum Jülich
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Wie das Gehirn Inhalt und Form von Sprache verarbeitet (13.1.03)
->   Geist und Gefühl: Geichwertige Partner (23. 8.02)
->   science.ORF.at-Archiv zum Thema "Gehirn"
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010