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Im Gehirn eines Killers  
  Was ist im Gehirn eines Geisteskranken anders? Einige Forscher beginnen das jetzt mit Brain-Imaging zu untersuchen. Sie hoffen, dass diese Studien zu einem grundlegenden biologischen Verständnis von Psychopathie führen könnten und möglicherweise zu neuen Behandlungsmethoden.  
Menschen mit Psychopathie springen auf herkömmliche Verhaltenstherapien nicht an. Ein Artikel in der jüngsten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Nature" beschäftigt sich mit den wissenschaftlichen, politischen und sozialen Implikationen dieses umstrittenen wissenschaftlichen Grenzgebiets.
Keine stichhaltigen Folgerungen aus Neuro-Imaging?

PET-Scan eines normalen Gehirns.
Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass es bei einer derart komplexen Krankheit wie der Psychopathie unmöglich ist, stichhaltige Folgerungen aus wenn auch noch so sorgfältig konzipierten Neuro-Imaging-Studien zu ziehen.
Hoher Preis für die Gesellschaft

PET-Scan des Gehirns eines Mörderers
Der Preis für die Gesellschaft könnte zudem hoch sein. In keiner Rechtssprechung kann zurzeit die Diagnose auf Psychopathie eine verminderte Zurechnungsfähigkeit fordern.

In den USA verwenden Staatsanwälte diese Diagnosen als Argumente gegen die Widerrufung eines Todesurteils. Bezieht man das Brain-Imaging ein, könnte es als einfaches Instrument zur Diagnose der Psychopathie verwendet werden und somit potenziell Entscheidungen über Leben und Tod beeinflussen.
Psychopathie eine Krankheit wie Schizophrenie
Cesare Lombroso, italienischer Kriminologe im 19. Jahrhundert, war als erster der Meinung, Verbrecher würden als solche geboren und nicht erst zu solchen gemacht. Er berief sich auf die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Evolutionstheorie und Genetik und unterlag auch der Mode seiner Zeit: der Schädellehre (Phrenologie). Wer das Hirn eines Verbrechers habe, könne schon an der Deformation des Schädels erkannt werden.

Heute sind viele Psychiater bereit zu akzeptieren, dass die Psychopathie genauso eine Krankheit ist wie etwa die Schizophrenie. Eine wachsende Zahl von Experten sind der Meinung, dass der zu Grunde liegende Zustand biologisch und nicht sozial bedingt ist.
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Was sind Psychopathen
Psychopathen sind nicht notwendigerweise die sadistischen Killer, die wir aus Filmen wie "Hannibal" kennen. Doch fehlt es ihnen an Empathie und sie haben kein Gefühl von Schuld oder Reue. Sie sind bestimmt und egozentrisch, können sich höchst manipulativ verhalten und scheren sich nicht um die negativen Auswirkungen ihrer Handlungen. Wenn sie töten, planen sie ihre Tat gut. Unterhält man sich mit einem Psychopathen, kann er oder sie vollkommen normal scheinen.

Psychopathen gehören zur Gruppe der Menschen, die an "antisocial personality disorder" (APD) leiden. Der Psychologe Robert Hare von der University of British Columbia in Vancouver (Kanada) entwickelte einen Test, mit dessen Hilfe Psychopathen identifiziert werden können. Dieser basiert einerseits auf der Verhaltensgeschichte der Patienten. Andererseits fußt er auf einer Bewertung seitens Psychologen hinsichtlich der emotionalen Defizite, die der Psychopathie zu Grunde liegen.
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Brain-Imaging mit PET und MRI
Doch damit kann noch lange nicht die biologische Grundlage erklärt werden. Lang bevor Brain-Imaging technisch möglich war, identifizierten Psychologen die physiologischen Korrelate der Psychopathie, die anscheinend mit den zu Grunde liegenden emotionalen Defiziten in Zusammenhang stehen.

Brain-Imaging mittels Positron-Emissions-Tomographie (PET) und Magnetresonanzbildern (MRI) ermöglichen eine weitergehende Erforschung der Psychopathie. Mit Hilfe dieser Techniken könnten Forscher entdecken, ob die physiologischen und emotionalen Defizite eines Psychopathen auf bestimmte Unterschiede in der Anatomie oder Aktivierung des Gehirns zurückgeführt werden können.
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->   Mehr zu MRI
Zwei Theorien zur Psychopathie
Unter den Wissenschaftlern, die dieses Feld erforschen, gibt es zwei Haupttheorien zur Psychopathie. Die eine wird von Adrian Raine von der University of Southern California, Los Angeles, verfochten. Die Arbeiten von Antonio Damasio an der University of Iowa unterstützen diese Theorie.

Sie fokussieren auf eine bestimmte Region des Gehirns, den so genannten orbitofrontalen Cortex, einen Teil des Vorderhirnlappens (präfrontaler Cortex), in dem die bewusste Entscheidungsfindung stattfindet. Damasio beispielsweise zeigte, dass Patienten, bei denen dieser Teil des Gehirns in frühem Alter beschädigt wurde, später unter schweren Verhaltensstörungen und Aggressivität leiden.

 


Die andere Theorie, hinter der James Blair vom University College London steht, besagt, dass die grundlegende Dysfunktion innerhalb der Amygdala liegt, einer kleinen, mandelförmigen Struktur, die eine entscheidende Rolle bei der Verarbeitung von Gefühlen und bei der Vermittlung von Furcht spielt.

Blair konnte mittels PET-Scans zeigen, dass die Amygdala normaler, freiwilliger Probanden bei Trauer und Wut auf andere aktiviert ist. Seine These: Eine Dysfunktion der Amygdala ist dafür verantwortlich, dass Psychopathen keine Furcht, aber auch kein Mitgefühl empfinden.

Die beiden Theorien schließen sich nicht notwendigerweise aus, denn Amygdala und orbitofrontaler Cortex sind eng verbunden.
->   Adrian Raine
->   Antonio Damasio
->   James Blair
Keine eindeutigen Ergebnisse
Bisher gibt es keine eindeutigen Ergebnisse der Neuro-Imaging-Studien. Allerdings bestätigen die Ergebnisse die Theorie, dass der Psychopathie ein Defizit der Gefühlsverarbeitung zu Grunde liegt. Denn Gehirnscans von Psychopathen zeigen eine geringere Größe oder Veränderungen der Aktivierung der Gehirnregionen, die mit Gefühlen verbunden sind. Doch folgt aus diesen Ergebnissen keinerlei eindeutige neurobiologische Theorie.

Die Anwendung der funktionellen Magnetresonanz bei Psychopathen steckt noch in den Kinderschuhen. Bisher ist nur eine Studie veröffentlicht worden.

Die Schwierigkeit in der Interpretation solcher Studien trägt zum Unbehagen der Wissenschaftler bei, die die Gefahr sehen, Lombrosos Fehler zu wiederholen.
Der Originalartikel in "Nature": "Into the Mind of a Killer" von Alison Abbott (kostenpflichtig), Nature 410, 296 - 298 (2001).
->   "Nature"
 
 
 
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01.01.2010