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Geisteswissenschaften: Studieren auf eigene Gefahr  
  Absolventen geisteswissenschaftlicher Studien werden hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft weitgehend allein gelassen. Warnungen vor schlechten Berufschancen sind noch keine ausreichende Studienberatung. Universitäten und Hochschullehrer sollten mehr Verantwortung übernehmen, wie aktuelle Stellungnahmen zu diesem Thema belegen.  
Sprung ins Ungewisse
"Uns ging es früher vor allem darum, möglichst bald pragmatisiert zu werden. Diese Aussicht besteht für die heutige Generation ja nicht mehr." Der Wiener Germanist Alfred Ebenbauer bewundert den Mut der Studierenden.

Kaum ein Absolvent komme im Feld unter, räumt der Wiener Philosoph Helmuth Vetter, ein. Medien und Verlage fallen der Wiener Anglistin Barbara Olsson ein: "Wir können nur hoffen, dass unsere Studierenden zumindest das beste Englisch haben."

Was man beruflich mit einem schöngeistigen Abschluss anfangen kann, wird selten, wenn überhaupt, angesprochen.
Quo vadis, Magister?
Am Anfang eines geisteswissenschaftlichen Studiums steht die ritualisierte Warnung vor dem mangelnden Praxisbezug und der Tipp, sich nebenbei selbst um Zusatzqualifikationen zu bemühen.

Die lange Studiendauer steht in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Zielstrebigkeit puncto beruflicher Orientierung. Gleichwohl: die Akademikerarbeitslosenquote lag im Jahresdurchschnitt 1999 bei lediglich 2,0 Prozent (Gesamtarbeitslosenquote 6,5 Prozent).

Der Anteil der Geisteswissenschaftler an den arbeitslosen Akademikern scheint nicht besonders hoch zu sein. So waren Ende Jänner exakt gleich viele Historiker wie Maschinenbauer ohne Arbeit, nämlich 101.
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Akademiker-Quoten
Dabei darf man aber nicht übersehen, dass in Österreich nur 30 Prozent aller Hochschulabgänger ein geisteswissenschaftliches Fach studiert haben. Laut den neuesten Zahlen des OECD-Bildungsberichtes sind es in den Niederlanden 40, in Großbritannien 45 und in den USA gar 46 Prozent.
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"Irgendwie kommt man schon unter"
Vielleicht ist diese zumindest oberflächlich halbwegs erträgliche Situation auch der Grund dafür, warum sich hierzulande bislang so wenig getan hat. "Irgendwie" scheinen fast alle Absolventen geisteswissenschaftlicher Fächer "irgendwo" unterzukommen. Nur: zwischen Erwerbslosigkeit und einer der erworbenen Qualifikation entsprechenden Anstellung gibt es mehr als nur eine Graustufe.
Paradebeispiele sind die Ausnahme
Trotz aller praktischer Schwierigkeiten wird weiterhin das Ideal des anpassungsfähigen Geisteswissenschaftlers kultiviert, der nichts kann, aber alles zu lernen imstande ist. Paradebeispiele werden als Beleg angeführt.

Erfolgreiche Philosophen etwa finden sich auf so unterschiedlichen Positionen wie dem Ö3-Chefsessel (Bogdan Roscic) oder als Leiter der neuen Männerabteilung im Sozialministerium (Johannes Berchtold). Nur ist fraglich, ob dafür die Lektüre von Kant und Co. verantwortlich ist oder nicht vielmehr eine Mischung aus individueller Eignung und biographischen Zufällen?
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Das Studienangebot ist nicht nachfrageorientiert
"Ich würde mich aber nicht getrauen, davon abzuleiten, dass die Grundlagen durch ihr geisteswissenschaftliches Studium gelegt wurden. Eher ist zu vermuten, dass das persönliche Potenzial unabhängig von der Ausbildung maßgebend ist", sagt der Personalberater Manfred Wieringer.

Survival of the fittest kombiniert mit sozialstaatlichen Auffangnetzen? Der Grazer Historiker Helmut Konrad moniert, dass das Studienangebot nicht nachfrageorientiert sei: "Bei uns geht es um eine allgemeine Kulturtechnikvermttlung. Das ist gut, aber gleichzeitig auch eine Geste der Hilflosigkeit. Wir haben auch eine Verantwortung für unsere Absolventen."
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Eigene Fähigkeiten bewusst machen
Gert Dressel vom Interuniversitären Institut für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) in Wien bietet bereits seit mehreren Semestern eine Lehrveranstaltung zur Berufsfeldorientierung für Sozial- und Geisteswisenschaftler an.

Die Teilnehmer sollen versuchen sich klar zu machen, wo ihre Fähigkeiten liegen und wo sie sich in vorhandene Strukturen einklinken können.

Während sich Dressel mit einem überlaufenen Kurs konfrontiert sieht, fehlen entsprechende Angebote an den Hohen Schulen. Gerade deshalb sollte die Anleitung zur Reflexion auf die eigenen Fähigkeiten und deren Vertiefung zum festen Angebot werden. Vielleicht bietet die Auflage, bis zum Sommer neue Studienpläne zu erarbeiten, hier eine Chance.
Die akademischen Lehrer sind in der Pflicht
Es kann fortan nicht mehr genügen, mit dem Verweis auf die problematische Berufssituation die unangenehme Kassandrapflicht erfüllt zu haben.

Alternative Rollenmodelle zur wissenschaftlichen Laufbahn müssen vermittelt, die Reflexion auf individuelle Fähigkeiten, Berufsfeldorientierung und Feedbackmechanismen institutionalisiert werden.

Inwiefern sich ein Institut bemüht, entsprechende Hilfestellungen zu bieten, sollte auch in die Lehrevaluation einfließen. Sonst verkommt die Rede von der Verantwortung für "unsere Absolventen" zur zynischen Worthülse.

Oliver Hochadel
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Die Langfassung dieses Textes erscheint am 21.3. in der neuesten Ausgabe von "heureka", der Wissenschaftsbeilage des "Falter", die sich mit der Frage "Geisteswissenschaften - wohin?" beschäftigt.

Weitere Themen sind u.a.: "Orchideenfächer" - was mit ihnen geschehen soll und warum sie sich wehren werden; Österreichische Historikerkommission - die Zeitgeschichte probt die Großforschung; Druck ohne Nachfrage - die Malaise der geisteswissenschaftlichen Verlage. Alle Beiträge finden sich ab 21.3. auch auf der heureka-homepage.
->   heureka
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01.01.2010