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Troia: Schliemanns Markenzeichen  
  In diesen Tagen wird in Stuttgart die ambitionierte Ausstellung "Troia - Traum und Wirklichkeit" eröffnet. Die Schau zeigt auch, wie Schliemann als brillanter Geschäftsmann und Selbstdarsteller "sein" Troja systematisch vermarktet hat.  
Die Ausstellung an sich mag schon als ein weiteres Indiz gelesen werden für jene "Tyranny of Greece over Germany", welche Elsie Marian Butler in den 30er Jahren als verhängnisvolle Vorgeschichte einer Ästhetisierung der Politik durch den Faschismus diagnostiziert hat.
Wunder und Wirkung
Freilich gäbe es Troia nicht, oder es gäbe es nicht als "Geburtsort der modernen Archäologie", wäre es nicht 1870 von Heinrich Schliemann (1822-1890) entdeckt. Vor allem jedoch: wäre es nicht von diesem brillanten Geschäftsmann und Selbstdarsteller systematisch "vermarktet" worden.

Die sensationelle Entdeckung des mythischen Troia durch einen bis dato unbekannten Laien hob die Figur Schliemanns schon für die Zeitgenossen in eine Aura des Wunderbaren und behielt auch für die Nachwelt durchaus romaneske Züge.

Schliemanns pragmatische Homerlektüre verknüpfte Literatur direkt mit Archäologie: Sie lieferte nach rund dreitausend Jahren die Illustrationen zum Text und übersetzte die literarische Ekphrasis Homers in archäologische Fundbeschreibung.
->   Zur Ausstellung "Troia"
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Das Leben. Ein Werk
Die 1881 erstmals publizierte, Fakten und Fiktionen kühn verquickende "Selbstbiographie" konstruiert ein Lebens-Abenteuer, wie es die Belletristik gerne erzählt. Das bürgerliche Publikum konnte in den Passagen über Reisen und Grabungen das Abenteuerliche, Exotische und Sensationelle goutieren, zugleich aber an der Geschichte eines sozialen Aufsteigers die eigenen Werte modellhaft bestätigt sehen.

Die enorme "literarische" Produktion Schliemanns dokumentiert den auch beim Schreiben expansiven Zug des archäologischen selfmade- und businnessman. Zehn Bücher über die Troas, über Reisen und Ausgrabungen erscheinen zwischen 1869 und 1891 allein in deutscher Sprache, nicht mitgerechnet die oft noch im Erscheinungsjahr lancierten französischen und englischen Versionen.

Christiane Zintzen: "Von Pompeji nach Troja. Archäologie, Literatur und Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert" (1998).
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Das Erzählbare in der Archäologie
Trotz der vorgeblichen "Wissenschaftlichkeit" der Darstellung verschwindet das Ich Schliemanns mit seinen Posen und Rollen jedoch nur selten aus dem Text: Dafür sorgt zum einen die ungebrochene Wirkungsabsicht des Schriftstellers Schliemann und andererseits die Natur des Mitgeteilten.

Dient im klassischen Reisebericht das erlebende Ich als Spiegel und Linse für offen-sichtlich Vorhandenes, so muss im archäologischen Rapport die erzählbare Welt vom Berichterstatter erst geborgen und damit überhaupt erst konstituiert werden: Erst seine Aktion, erst sein handelnder Eingriff fördern das Beschreibbare zu Tage; erst seine aktive Intervention macht das bisher Latente sicht- und damit erzählbar.

Individuelle Mission und wissenschaftliches Erkenntnisstreben geben den teleogischen Rahmen ab für das "Projekt Troia", so dass das entstehen kann, woran Schliemann mit dem runden Dutzend seiner archäologischen Publikationen wie in einem einzigen Buch fortschreibt: eine erzählbare Geschichte.
Der Archäologe als Held
 


Als plausibler Start für eine solche erzählbare Geschichte bietet sich das Motiv des erfüllten Kindheitswunsches an. Berühmt geworden ist jene von Schliemann systematisch verbreitete Episode vom Entschluss des Knaben, "dass ich dereinst Troia ausgraben sollte".

Nicht nur den begeisterten Schliemann-Leser Sigmund Freud hat diese Passage tief ans (ehrgeizige) Herz gerührt. Es markiert diese Troia-Urszene die Geburt eines Enthusiasten.

Selbstloser Ausgräber Troias, Held der Wissenschaft: So wird sich Heinrich Schliemann nicht nur der zeitgenössischen Öffentlichkeit in Wort und Bild präsentieren, so will ihn auch die Nachwelt - vor allem über die Vermittlung C. W. Cerams - gerne rezipieren: Die Pose des Enthusiasten theatralisiert das Bild des Helden bei der einsamen Erfüllung seiner "Mission".
Rollen und Posen
Illustrieren diese Posen die sozusagen zivilen Wirkungsabsichten des Autors, so gilt dies umso mehr für die Selbstdarstellung Schliemanns als Wissenschaftler. Es ist charakteristisch für ihn, dass er das "Wissenschaftliche" zumeist mit Bildern von Pionier- und Heldentum verknüpft. Indem er sich als interesseloser Diener an der Wahrheit präsentiert, akzentuiert Schliemann, dass seine heldenhafte Forschungsleistung nicht als individuelle Selbstverwirklichung zu werten sei, sondern als Gewinn für die Sozietät.
Vor der Schrift
 


Notwendig aus dem Charakter - gerade der prähistorischen! - Archäologie als Wissenschaft von den Dingen resultierend nehmen Objektbeschreibungen einen breiten Raum in Schliemanns Texten ein.

Anders als die Poetologen und Literaten seiner Zeit hält sich Schliemann allerdings nicht lange mit dem "Realismusproblem" auf, sondern er entwickelt mit der ihm eigenen Pragmatik verschiedene Modalitäten der Beschreibung wie Analogie oder Benennung. Die Hälse einiger in Troia gefundener Vasen erinnern an "Schornsteine", und troadische Lavablöcke türmen sich übereinander "wie riesige Kirchenorgeln".
Markenzeichen
In diesem Zusammenhang ist auch Schliemanns berühmte Neigung zu zugkräftigen Benennungen von Fundensembles wie Schatz des Priamos (Troia) oder Schatzhaus des Atreus (Mykene) zu sehen: Hier wird dem materiellen Fundstück ein konkreter Ort im homerischen Textkosmos zugewiesen.

Entsprechend spielen diese Benennungen und Identifizierungen eine bedeutende Rolle in der Schliemann-Rezeption, bieten aber auch willkommene Ansatzpunkte für wissenschaftliche Kritik und populären Spott. Der berühmte Pathologe (und Prähistoriker) Rudolf Virchow hingegen verteidigt Schliemanns Nominierungen als Antidot gegen die Prosa wissenschaftlicher Verhältnisse: "Berauben wir uns doch nicht ganz unnötigerweise aller Poesie".
Ruf nach Poesie
Vielleicht kann dieser, an die "Kinder einer harten und oft recht prosaischen Zeit" adressierte Ruf nach Poesie als Indiz dafür gelten, dass es in einem am naturwissenschaftlichen Paradigma und Empirismus orientierten Wissenschaftsfeld (noch) die Archäologie ist, die ein surplus von Romantik bereitzustellen vermag. Gerade in dieser Offenheit der Archäologie gegenüber den Spielen der Phantasie besteht ihr Skandalon - aber auch ihr Faszinosum.

Christiane Zintzen (Lehrbeauftragte am Institut für Germanistik der Universität Wien)
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Ausstellungstermine:
- Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg im Forum der Landesbank Baden-Württemberg
Stuttgart 17.3. - 17.6.2001

-Braunschweigisches Landesmuseum und Herzog Anton Ulrich-Museum
Braunschweig 14.7. - 14.10.2001

-Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
Bonn 16.11.2001 - 17.2.2002

Das Begleitbuch zur Ausstellung
Troia: Traum und Wirklichkeit. Herausgegeben vom Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg. Konrad Theiss Verlag 2001, 496 S., 500 Abb., ATS 504.-
->   Weitere Infos über die Ausstellung
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01.01.2010