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Mangel an Blutplättchen mit verheerenden Folgen  
  Die Erkrankung kommt häufiger vor als die Erbkrankheit Mukoviszidose und ist dennoch kaum bekannt: Eines von 1.000 Neugeborenen leidet bei der Geburt an Thrombozytopenie, einem Mangel an Blutplättchen. Die Folgen können verheerend sein.  
Sie reichen von schweren geistigen und körperlichen Behinderungen bis zum frühzeitigen Tod.
Ursache: Eine Mutter-Kind-Unverträglichkeit
Verursacht wird der Mangel während der Schwangerschaft durch mütterliche Antikörper gegen die Blutplättchen des Kindes. Diese Mutter-Kind-Unverträglichkeit finde in Deutschland bisher zu wenig Beachtung und bleibe in medizinischen Lehrbüchern unterbelichtet, kritisierte jetzt der Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin am Kieler Uniklinikum, Jürgen Neppert.
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Fehlendes Humane-Plättchen-Antigen 1a
Nach Angaben des Experten fehlt bei zwei Prozent der Menschen in Europa und Nordamerika das so genannte Humane-Plättchen-Antigen 1a (HPA1a) auf den Blutplättchen, sie werden daher als HPA1a-negativ bezeichnet.

Wenn nun in einer HPA1a-negativen Frau ein HPA1a-positives Kind heranwächst, können sich im Körper der Mutter Antikörper gegen das Antigen bilden. Diese gelangen im schlimmsten Fall über die Plazenta in den Blutkreislauf des Kindes und zerstören dort vor oder nach der Geburt Blutplättchen.
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Blutungen der Haut und im Gehirn
Als Folgen drohen flächenhafte oder punktuelle Blutungen der Haut und im Gehirn des Kindes, auch ein Verbluten des kleinen Patienten ist möglich.

In etwa 20 Prozent der Fälle führen die Hirnblutungen zu bleibenden geistigen Schäden oder aber zu Lähmungen, Wachstumsschäden oder Spastik. Nach Überzeugung des Wissenschaftlers könnte dieses Schicksal in vielen Fällen vermieden werden.
Krankheit bleibt oft unbemerkt
Neppert fordert, die Krankheit in Deutschland systematisch zu erfassen, um das Bewusstsein bei Ärzten und medizinischem Personal zu schärfen. Bisher bleibe die Krankheit oft unbemerkt.

Zugleich sprach sich der Experte für ein Screening aus, um festzustellen, bei welchen Frauen das Antigen fehlt. Die zwei Prozent HPA1a-negativen Frauen müssten anschließend auf Antikörper untersucht werden.

Die kostengünstigste Lösung wäre es nach Angaben Nepperts, bei jeder Geburt die Blutplättchenkonzentration aus der Nabelschnur heraus zu bestimmen. Damit würde jede Geburt einen Euro mehr kosten, sagt der Experte.
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Zerstörung der Blutplättchen
Beginne die Zerstörung von Blutplättchen, betrage deren Konzentration weniger als 150.000, oft sogar weniger als 10.000 Thromozyten pro Mikroliter, betont der Arzt. Normal seien hingegen 300.000 oder mehr. 50 Prozent der Blutungen träten vor der Geburt auf, ab der 16. Schwangerschaftswoche, meistens etwa ab der 30. Solche Blutungen müssten überwacht werden, je nach Einzelfall sei über eine Therapie zu entscheiden. Je später der Arzt eine Therapie ansetzen könne, umso geringer seien deren Risiken.
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Die Behandlungsmöglichkeiten
Vor der Geburt kann nach Angaben des Mediziners versucht werden, dem Kreislauf des Kindes über eine Nadel in die Vene der Nabelschnur HPA1a-negativ-Blutplättchen zuzuführen. Allerdings rutscht in ein Prozent der Fälle die Transfusionsnadel ab, es kommt erst recht zu potenziell lebensgefährlichen Blutungen.

Als Alternative bietet sich laut Neppert daher ein vorzeitiger Kaiserschnitt an, der mit einer Plättchentransfusion verbunden wird. Sie erfolge über eine Vene an Kopf oder Arm. Die Transfusion müsse dabei so lange wiederholt werden, bis sämtliche Antikörper beim Kind verbraucht sind.

"Die Hauptsache ist, dass man Menschen vor Tod oder lebenslanger Behinderung bewahren kann", betont Neppert.

Norbert Zielke, AP
->   Universitätsklinikum Kiel
 
 
 
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01.01.2010