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Antidepressiva fördern Neubildung von Gehirnzellen  
  Eine Depression wird durch einen Mangel bestimmter Neurotransmitter im Gehirn, die Stimmung und inneren Antrieb regulieren, verursacht. Antidepressiva verhindern den Abbau dieser Substanzen - und erhöhen so die Wirkung der reduzierten Überträgerstoffe. Einer neuen Studie zufolge könnten die Medikamente aber auch auf bislang gänzlich ungeahnte Weise wirken: indem sie die Bildung neuer Gehirnzellen anregen und auch dadurch zur Bekämpfung der Depression beitragen.  
Geschätzte 121 Millionen Menschen weltweit leiden an Depressionen und Angsterkrankungen. Antidepressiva stehen an dritter Stelle der am häufigsten verschriebenen Medikamente.

Obwohl Betroffene zehn bis 20 Prozent ihrer Lebenszeit unter Depressionen leiden, sind die Mechanismen der Entstehung und Entwicklung der Krankheit nach wie vor nicht genau entschlüsselt.
Neue Gehirnzellen gegen Depression
Einen völlig neuen Aspekt haben nun US-Forscher entdeckt: "Antidepressiva wie z. B. Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, stimulieren die Entstehung von Nervenzellen im Hippocampus, einer Gehirnregion, die normalerweise mit Lernen und den Gedächtnisfunktionen in Zusammenhang gebrecht wird," erläutert René Hen von der Columbia University, New York.

Er und sein Team fanden heraus, dass eine Störung der Neubildung der Zellen im Hippocampus die positiven Effekte der Antidepressiva vermindert. Die Ergebnisse ihrer Arbeit veröffentlichten die Wissenschaftler im Fachjournal "Science".
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Der Artikel in "Science": "Requirement of Hippocampal Neurogenesis for the Behavioral Effects of Antidepressants" (Vol.301, S 805-809 /kostenpflichtig).
->   Der Originalartikel in "Science" (kostenpflichtig)
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Schnelle Reaktion, langsamer Effekt
Antidepressiva verursachen einen raschen Anstieg des Serotonin- und Noradrenalin-Pegels. Trotzdem dauert es drei bis vier Wochen, bis sich die ersten Effekte einstellen und die Depression langsam verschwindet.

Diese zeitliche Verzögerung der Wirkung legt den Verdacht nahe, dass die neurochemikalischen Veränderungen mehr bewirken als einen reinen Anstieg der Neurotransmitter, meinen die Wissenschaftler rund um Hen.
Versuche mit Mäusen
Um dieser These nachzugehen, bestrahlten sie den Hippocampus von Mäusen und verhinderten so die Zellteilung und -neubildung in dieser Gehirnregion.

Die so veränderten Mäuse litten, im Gegensatz zu unbestrahlten Versuchstieren, unter Stress und Angstzuständen, obwohl sie mit Serotonin-Wiederaufnahme-hemmern und so genannten Trizyklischen Antidepressiva behandelt wurden.
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Hippocampus: "Anker" für die Erinnerung
Anatomisch betrachtet ist der Hippocampus der Anker für unsere Erinnerungen. Der Hippocampus ist eine Seepferdchen-ähnliche Struktur im Gehirn in der Tiefe des Schläfenlappens. Er ist die Schleuse, durch die Kurzzeiterinnerungen in das Langzeitgedächtnis abgelegt werden. Er verarbeitet auch interne und externe Informationen (räumliches Gedächtnis) und spielt eine wesentliche Rolle beim Lernen und Merken.
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Der Beginn eines neuen Medikamentes?
Die Neurogenese des Hippocampus wurde schon in anderen Methoden der Depressionsbehandlung beachtet, bisher war man sich aber nicht über die Wichtigkeit dieses Vorganges bewusst. Die neuen Ergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass die Neubildung der Zellen im Hippocampus wesentlich am Erfolg der Antidepressiva beteiligt ist.

"Hier handelt es sich um mehr als einen "Nebeneffekt", meint Hen. "Die Stimulation der Neubildung von Hippocampus-Zellen könnte ein wesentlicher Faktor in der Depressions- und Angsterkrankungsbehandlung werden. Möglicherweise trägt diese Entdeckung zur Entwicklung völlig neuer Antidepressiva bei, die sich rein auf die Stimulierung der Zellneubildung im Gehirn konzentrieren."
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Die Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin
Als Neurotransmitter moduliert Serotonin neben anderen Stimmung, Gefühl, Schlaf sowie Appetit und spielt folglich in der Steuerung zahlreicher Verhaltens- und physiologischen Funktionen eine wesentliche Rolle. Ein Mangel an Serotonin in bestimmten Hirn-Regionen wird als Ursache für u.a. Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen betrachtet.

Noradrenalin wird auch als Stresshormone bezeichnet, da es unter psychischem oder körperlichem Stress freigesetzt wird und in Sekundenschnelle die Herz-Kreislauf-Funktionen steigert. Noradrenalin moduliert aber auch den innern Antrieb, die Leistungsbereitschaft.
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Kritiker nicht ganz überzeugt
Kritiker wie Daniel Weinberger vom National Institute of Mental Health in Bethesda, Maryland, bezweifeln allerdings, ob der Vergleich mit den Mäusen so ohne weiteres auf den Menschen übertragbar ist.

"Wir wissen noch nicht, wie relevant diese Ergebnisse für die menschliche Depression sind", meint Weinberger. Trotzdem glaubt auch er, dass dies der Beginn der Entwicklung einer neuen Medikamenten-Generation sein könnte.
->   Columbia University
->   Mehr zum Thema "Depression" in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010