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Knorpel aus der Spritze  
  Österreichischen Wissenschaftern ist ein weltweit einzigartiger medizinischer Durchbruch gelungen. Zum ersten Mal ist es möglich, auch beim Menschen zerstörte Knorpel nachwachsen zu lassen.  
Wichtig vor allem für Kinder

Ende Februar wurde bei einem fünfjährigen Mädchen in Wels erstmals diese Methode angewandt. Das Kind hatte sich beim Spielen die Nasenscheidewand völlig zerstört.

Eine zerstörte Nasenscheidewand war bisher gerade bei kleinen Kindern eine große Katastrophe. Denn solche Verletzungen können zu lebenslangen Behinderungen führen: chronische Beschwerden der Atemwege und Verkümmerung der Nase.
Künstliche Knorpel natürlich hergestellt
Jetzt haben es oberösterreichische Wissenschaftler geschafft, das Knorpelgewebe einer Nasenscheidewand im Labor künstlich nachwachsen zu lassen. Körpereigene Knorpelzellen dienen als
Grundlage für die "wunderbare" Zellvermehrung.

Ergebnis dieses Prozesses ist flüssiges Knorpelgewebe, das durch eine einfache Operation in die Nase eingespritzt wird. Das Loch in der Nasescheidewand wird so wieder ausfüllt und die Zellen wachsen selbständig nach.
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Knorpelzellen im Labor zur Vermehrung gebracht
Normalerweise kann der Körper Knorpeldefekte nicht selbst heilen. Denn Knorpel sind eine hochentwickelte Gewebeform. Bei Beschädigung wachsen die Zellen nicht mehr nach. Die neue Behandlungsmethode: Man entnimmt Zellen aus dem vorhandenen, beschädigten Knorpel. Im Labor werden diese Zellen in einer Nährlösung zum Wachsen angeregt. Nach 14 Tagen ist es soweit. Die Zellen haben sich um das Hundertfache vermehrt. Damit ist genug Material vorhanden, um den verlorenen Teil der Nasenscheidewand wieder zu ersetzen.
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Das Gel ist der Clou
Die eigentliche Sensation ist, dass es gelang, die an sich ungeordneten Zellen in die richtige Form zu bringen. Möglich wurde dies durch ein spezielles Gel, das gemeinsam mit dem Zellmaterial wie eine Art Zweikomponentenkleber wirkt und die verletzte Stelle ausfüllt.

Die Zusammensetzung des Gels ist das große Geheimnis der Forscher. Denn das Gel ist für den Körper voll verträglich und wird nicht wieder abgestoßen.

Die Folge: der Knorpelersatz aus Zellen und Gel verbindet sich vollständig mit dem übrigen Gewebe. Den Rest besorgt der Körper selbst: Er liefert die Signale zum Weiterwachsen.

 


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Kleiner Eingriff statt riskanter Operationen
Durch den nachwachsenden Knorpelersatz aus körpereigenen Substanzen ist nur mehr ein einziger Eingriff von ungefähr einer Stunde notwendig. Bisher mussten bei Kindern mehrere Operationen vorgenommen werden, um immer wieder neue, größere Ersatzknorpel einzusetzen. Gerade kleine Kinder litten deshalb stark unter solchen Knorpelverletzungen.
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Die Folgen einer zerstörten Nasenscheidewand
"Eine zerstörte Nasenscheidewand im Kindesalter ist medizinisch gesehen eine Katastrophe", so der HNO-Experte Martin Fussenegger am AKH Wels. "Es würde für das Kind bedeuten, dass sich die Nase nicht entwickelt. Es gab bisher noch keine Methode, um die normale Entwicklung der Nase zu gewährleisten."

Die neue Behandlungstechnik hat sowohl ästhetische als auch gesundheitliche Vorteile. Denn bisher behielt die Nase für immer ihre kindliche Form, ohne mit dem Gesicht mitzuwachsen. Zudem war die Atmung extrem beeinträchtigt. Die Folgen: chronische Bronchitis und Entzündungen von Nebenhöhlen und Mittelohr.
Vom Problemfall zur Vorzeigepatientin

Am 26. Februar 2001 wurde im AKH Wels die erste Operation mit dem neuen flüssigen Knorpelgewebe vorgenommen. Patientin war die fünfjährige Laura.

Das Mädchen war beim Seilspringen gestürzt und hatte sich dabei die Nase verletzt. Die Folge des Sturzes war ein Abszess in der Nasenscheidewand, den Eltern und Ärzte zuerst nicht bemerkten und einer Verkühlung zuschrieben.

Erst im letzten Augenblick erkannten HNO-Fachärzte, dass der Abszess Lauras Nasenscheidewand fast völlig aufgelöst hatte - eine Infektion mit lebensbedrohlich Folgen.

Durch eine Notoperation wurde der Abszess entfernt und Lauras Leben gerettet. Zwei Wochen später wurde Laura das im Labor rekonstruierte Gewebe eingesetzt. Heute ist von der Verletzung nichts mehr zu sehen. Laura ist wieder ein unbeschwertes Mädchen.
Visionen für die Zukunft
Die Ärzte sehen in dieser neuen Technik ungeahnte Möglichkeiten: Flüssiges Knorpelgewebe kann auch bei Schädelbasisbrüchen, defekten Kniegelenken oder Bandscheiben eingesetzt werden.

Es gibt keine Antikörperreaktionen, da mit körpereigenem Material gearbeitet wird. Folgeoperationen sind nicht notwendig.
In Zukunft soll es sogar möglich sein, auf diese Weise Knochen ersetzen zu können.

Alexandra von Mersi (Modern Times)
->   Institut für Gewebe und Organrekonstruktion
->   Knorpelgewebe aus Fettzellen gezüchtet
 
 
 
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01.01.2010