News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Technologie 
 
Forum Alpbach: Brain Computer Interfaces  
  Patienten, die unter dem so genanten "Locked-In Syndrom" leiden, sind - ohne jegliche Kommunikationsmöglichkeit - im eigenen Körper gleichsam eingeschlossen. An Anwendungen, die diesen Menschen einen Kanal vom Gehirn in die Außenwelt ermöglichen sollen, arbeiten auch Wissenschaftler der TU Graz. Gert Pfurtscheller und Alois Schlögl präsentieren ihre Forschungen im Rahmen des Forum Alpbach 2003 und stellen sie als Gastbeitrag in science.ORF.at vor.  
Brain Computer Interface
Von Gert Pfurtscheller und Alois Schlögl

Stellen Sie sich einmal vor, Sie könnten sich mit keinem Ihrer Muskeln bewegen - Sie sind wie gelähmt. Sie können nicht gehen, Sie können nicht sitzen - Ihr Körper ist zusammenfallen, Ihre Wangen hängen schlaff nach unten, Ihr Unterkiefer ist nach unten geklappt. Sie können nicht einmal sprechen - auch dazu brauchen Sie Muskeln, und Sie können keine Miene verziehen.

Sie können jedoch alles wahrnehmen, Sie sehen ihre Umgebung, hören Kindergeschrei, riechen die Blumen in der Vase, und spüren die Sommerhitze. Sie könnten auch einen Kuss spüren. Sie nehmen wahr, wie Ihre Mitmenschen mit Ihnen umgehen - vielleicht teilnahmslos, vielleicht mitfühlend, hoffentlich interessiert, meist jedoch sehr skeptisch, wahrscheinlich hält man Sie sogar für geistig gestört.

Aber das stimmt nicht, Sie können nachdenken, Sie können entscheiden, ob Sie die Person gegenüber sympathisch oder abstoßend finden, Sie könnten noch immer 17 mal 43 im Kopf ausrechnen, Sie kennen den Weg zum Bahnhof, und können sich auch genau an den letzten Urlaub und Ihre erste Liebe erinnern. Kurz, Sie wissen dass Ihr Gehirn nach wie vor gut funktioniert. Nur die Kontrolle über Ihren Körper haben Sie verloren - nur.
...
Veranstaltung "Die Macht der Gedanken"
Der Gastbeitrag der beiden Autoren Gert Pfurtscheller und Alois Schlögl bezieht sich auf die Veranstaltung "Die Macht der Gedanken. Der Mensch zwischen Kunst und Maschine" im Rahmen der Alpbacher Technologiegespräche, am Freitag, 22. August 2003, ab 9.30 Uhr.
->   Mehr über das Europäische Forum Alpbach 2003
...
Eingeschlossen im Körper: "Locked-In"-Syndrom
Diesen Zustand beschreibt man als "Locked-In Syndrom" - Das Eingeschlossen-Sein im eigenen Körper. Einer der eindrucksvollsten Beschreibungen eines solchen Patienten ist sicher das Buch "Schmetterling und Taucherglocke" (orig: "Le scaphandre et le papillon").

Das Schlimmste bei diesem Zustand ist die fehlende Kommunikation mit der Umwelt. Genauer gesagt, der Informationsfluss passiert nur in eine Richtung. Man kann zwar alles wahrnehmen aber nichts mitteilen.
Forscher arbeiten an Kommunikationskanal
Falls es möglich wäre einen Kommunikationskanal vom Gehirn in die Außenwelt aufzubauen, wäre diese wichtige Funktion der Muskeln ersetzt. Genau daran arbeiten verschiedene Forschergruppen, unter anderem auch die Gruppe um Gert Pfurtscheller an der Technischen Universität Graz.
Ansatz: Gehirnaktivität direkt messen
Der Ansatz einen zusätzlichen Kommunikationskanal zu entwickeln, beruht auf der Idee, die Gehirnaktivität direkt zu messen. Eine Methode zur direkten Bestimmung der Hirnaktivität ist das Elektroenzephalogramm oder kurz EEG. Dabei werden elektrische Spannungen an der Kopfoberfläche gemessen, welche durch die elektrische Aktivität des Gehirnes erzeugt wurden.

Die wesentlichen Vorteile dieser Methode sind: es ist nicht-invasiv (kein Eingriff in den Körper), es ist eine relative einfache Technik, es kann in fast allen Lebenslagen (ob wach oder Schlaf, unterwegs, etc) verwendet werden und es bietet eine hohe zeitliche Auflösung (im Gegensatz zu bildgebenden Verfahren).
...
Spezielle Verstärker für kleine Spannungen
Die elektrischen Spannungen des EEGs sind sehr klein (im Bereich von Mikrovolts, das ist der millionste Teil eines Volts). Die elektrische Aktivität in den einzelnen Nervenzellen ist bis zu tausendmal größer, aber durch den Abstand und verschiedene anatomische Gegebenheiten ist das Signal an der Kopfoberfläche wesentlich kleiner. Dies ist der Preis für die nicht-invasive Messung der Gehirnaktivität.

Um solch kleine Spannungen zu messen, sind spezielle Verstärker mit geringem Eigenrauschen notwendig. Dieses Rauschen beträgt aufgrund physikalischer Effekte mindestens 0.01 Mikrovolt, oft erreicht es aber auch 0.1 Mikrovolt. Das ist beinahe ein Zehntel des gemessenen EEG-Signals. Nicht zuletzt deshalb sind spezielle Methoden notwendig um das EEG zu analysieren.
...
Wesentlich: Umsetzung in verständliche Signale
Ein weiterer wesentlicher Teil ist die Umsetzung der EEG-Signale in, für die Umwelt, verständliche Signale. In Graz werden dazu mehre Verarbeitungsstufen durchgeführt.

In der ersten Stufe werden charakteristische Parameter aus dem EEG extrahiert. In der zweiten Stufe werden diese Parameter klassifiziert und zu einem Ausgangssignal kombiniert. Die Entwicklung passender Verarbeitungsmethoden ist eine der großen Herausforderungen auf diesem Gebiet.
Cursorbewegung, virtuelle Tastatur ...
Dieses Ausgangssignal kann nun zur Kommunikation mit der Umwelt genutzt werden. Es kann damit ein Cursor auf einem Computerbildschirm von links nach rechts und umgekehrt gesteuert werden.

Ebenso ist es möglich, damit Buchstaben auszuwählen und zu schreiben (Virtuelle Tastatur), oder eine Handorthese zu bewegen, einen Legozug zu steuern, auf eine Frage mit Ja oder Nein zu antworten, oder auch einfach Tischtennis am Computer zu spielen.
Eine Fähigkeit, die erlernt werden muss
In der Praxis zeigt sich, dass wir Menschen keine natürliche Gabe für die Steuerung unserer EEG-Muster haben. Diese Fähigkeit muss erst erlernt werden. Dazu ist es notwendig der Person eine Rückkopplung (engl. Feedback) zu geben. Dieses Feedback zeigt an ob ein bestimmtes Ziel erreicht und damit das eigene EEG-Muster richtig erkannt wurde - oder eben nicht.

Dadurch kann die Person lernen, ihre eigenen EEG-Muster zu beeinflussen und aus einem gegebenen Repertoire von Möglichkeiten die gewünschte auszuwählen. Damit kann Information aus dem Gehirn auf die Umwelt übertragen werden - "Locked-In"-Patienten ist es wieder möglich sich mitzuteilen.
Geringe Informationsmenge als Grenze - noch
Eine wesentliche Grenze für eine breite Anwendbarkeit ist noch die geringe übertragbare Informationsmenge. Eine geringe Informationsmenge bedeutet auch lange Lern- und Trainingsphasen.

Daher ist es ein Ziel der heutigen Forschung, die übertragene Informationsmenge zu steigern und zu erhöhen. Dies ist auch eines der wesentlichen Ziele der Grazer Forschungsgruppe.
...

Über die Autoren: Gert Pfurtscheller und Alois Schlögl
Gert Pfurtscheller ist Professor für Medizinische Informatik an der Technischen Universität Graz. Er leitet zudem das Institut für Biomedical Engineering an der TU Graz und ist Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Medizinische Informatik und Neuroinformatik. Der Forscher hat mehr als 400 wissenschaftliche Artikel sowie vier Bücher verfasst. Derzeitige Forschungsprojekte: Co-Investigator der beiden Projekte "EEG-based Brain Computer-Interface" und (in Kooperation mit der University of Michigan) "Direct Brain Interface" unterstützt vom US-National Institute of Health. Partner des EU-Projekts "PRESENCIA" (Presence: Research Encompassing Sensory Enhancement, Neuroscience and Cognition, with Interactive Applications).


Alois Schlögl (geboren 1968) ist seit 2001 Assistent an der Technischen Universität Graz, am Institut für Elektro- und Biomedizinsche Technik. In seiner Dissertation "The electroencephalogram and the adaptive autoregressive model: theory and applications" untersuchte er Verfahren zur Analyse des Elektroenzephalogramm, welche die Anforderungen eines Brain-Computer-Interface besonders gut erfüllen. Im Rahmen seiner jetzigen Forschungsaktivitäten beschäftigt er sich mit der Quantifizierung und der Steigerung des Informationstransfers eines Brain-Computer-Interfaces.
->   Institute of Biomedical Engineering der TU Graz
...
->   Europäisches Forum Alpbach 2003
Weitere Beiträge zum Forum Alpbach 2003 in science.ORF.at:
->   Anil Bhatti: Multikulturalismus in Europa und Indien
->   Stephan Rosiny: Islamische Gesellschaftsvisionen der Neuzeit
->   Shankar Venkataramani: Chaostheorie - Kleine Ursache, große Wirkung
->   Kurt Zatloukal: Anfang und Ende des individuellen menschlichen Lebens
->   Ulrich Körtner: Unbestimmtheit des Lebensanfangs
->   Johannes Pollak: Europa auf dem Weg zu einer Verfassung
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Technologie 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010