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Kann man Lebensglück messen?  
  Die Frage nach dem Wesen des Glücks ordnet man - auf den ersten Blick - weniger den Wissenschaften, sondern eher dem Bereich der Lebensweisheit zu. Nichts desto trotz gibt es auch Versuche, das Lebensglück mit dem Begriffsraster von exakten Theorien zu erfassen. Ein amerikanischer Sozialwissenschaftler untersucht in einem aktuellen Artikel zwei solche Konzepte auf ihre Treffsicherheit. Seine Kritik: Der Mensch befindet sich weder in einer "Tretmühle der Lust" - wie eine Theorie aus der Psychologie nahe legt, noch gilt die Maxime "Mehr Geld macht glücklicher" - wie bisweilen in der Ökonomie angenommen wird.  
Nach Ansicht von Richard A. Easterlin von der University of California, Los Angeles, verfehlen viele Menschen deswegen das optimale Lebensglück, weil sie zu viel Zeit und Energie in die Erreichung materieller Ziele investieren.

Zu diesem - nicht überraschenden - Schluss kommt Easterlin aufgrund von sozialen Umfragedaten. Diese legen nahe, dass Menschen die Wechselwirkung von persönlichen Lebenszielen und psychologischem Glücksempfinden auf lange Sicht nicht zu durchschauen vermögen.
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Der Artikel "Explaining happiness" von Richard A. Easterlin erschien als Online-Vorabveröffentlichung bei den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (DOI:10.1073/pnas.1633144100). Der Artikel ist Teil einer Serie, im Rahmen derer vergangenes Jahr gewählte Mitglieder der "National Academy" sich und ihr Fachgebiet vorstellen.
->   PNAS
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Psychologie: Glück in der Sollwert-Theorie
Ausgangspunkt von Easterlins Analyse sind zwei Konzepte, die sich zumindest in Teilen der Psychologie und Ökonomie großer Beliebtheit erfreuen. Zum einen bezieht sich Easterlin auf die so genannte Sollwert-Theorie ("setpoint theory"), die den Menschen als Wesen begreift, das sein Glück im Umfeld seiner Lebensbedingungen selbst reguliert.
Glück unabhängig von Lebensbedingungen?
Die Vertreter der Sollwert-Theorie gehen davon aus, dass jedem Individuum ein bestimmter Wert des Lebensglücks zukommt, der von Persönlichkeit und genetischen Faktoren abhängig ist.

Dieses Bild ist weitgehend deterministisch: Denn Ereignisse im Leben (wie Heirat, Arbeitslosigkeit oder Krankheit) werden nur als kurzfristig relevant für das Glück angesehen.

Auf lange Sicht, so die Argumentation der "setpoint theory", passt sich der Mensch an die geänderten Lebensbedingungen an - worauf das subjektive Glücksempfinden konstant bleibt.
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Der Hintergrund: Die "Tretmühle der Lust
Hintergrund dieser Anpassung ist ein Konzept, das im Jahr 1971 von den Psychologen Brickman und Campbell entwickelt wurde und als "Tretmühle der Lust" ("hedonic treadmill") bezeichnet werden könnte. Laut dieser Auffassung hält der Mensch ein inneres Milieu des Glücksempfinden unabhängig von den äußeren Bedingungen aufrecht. Als Bestätigung dessen wertet man Untersuchungen, laut denen etwa Lottogewinner nicht glücklicher zu sein scheinen als Menschen aus Kontrollgruppen.
->   Mehr zur "hedonic treadmill" (Hamilton College, NY; pdf-File)
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Nach Sollwert-Theorie ist Politik obsolet
Easterlin weist in seinem Artikel darauf hin, dass damit jede wirtschafts- und sozialpolitische Einflussnahme nutzlos sei, da dieser nur ein vorübergehender - und eben kein bleibender Einfluss zugestanden werde.

"Darüber hinaus: Wenn die Sollwert-Theorie richtig ist, dann ist nicht nur die Politik wirkungslos, sondern dann kann auch das Individuum nicht viel zu seinem Wohlbefinden beitragen - außer, vielleicht, einen Psychologen zu konsultieren", so der amerikanische Sozialforscher.
Die ökonomische Sicht: "Mehr ist besser"
Aus ökonomischer Sicht wiederum konzentriere man sich nach Ansicht von Easterlin vor allem auf die Höhe des Einkommens. Hier gilt das Motto: "Je mehr, desto besser".

Zwar ist es nicht so, dass Ökonomen die Wichtigkeit anderer Faktoren leugnen, man geht aber davon aus, dass sich mit der Steigerung des Einkommens auch das persönliche Wohlbefinden in die selbe Richtung bewegt.
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Kritik anhand von Umfragedaten der Jahre 1972-2002
Easterlin zeigte im Rahmen seiner Arbeit, dass die beiden vorherrschenden Modelle des Lebensglücks die gesellschaftlichen Fakten nur unzureichend erklären können. Er griff dabei auf soziale Umfragedaten der USA ("General Social Survey"; GSS) zurück, die seit dem Jahr 1972 erhoben wurden.
->   Mehr zu GSS (The Roper Center)
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Nicht alle Lebensbereiche lassen sich anpassen
Dem psychologischen Modell gesteht er zwar zu, dass gewisse Anpassungen im Verlauf des Lebens stattfinden. Allerdings weist er darauf hin, dass diese selten wieder zum Ausgangsniveau des persönlichen Glücks führen:

Wie die GSS-Daten ergeben, sinkt beispielsweise die Einschätzung der persönlichen Gesundheit klar mit dem Lebensalter. Wäre die "setpoint theory" uneingeschränkt richtig, dann dürfte das nicht der Fall sein.
Scheinursache: Einkommen und Zufriedenheit
Was den ökonomischen Ansatz betrifft, wurde beispielsweise in mehreren Studien eine Korrelation zwischen Einkommen und persönlicher Zufriedenheit nachgewiesen. Easterlin konnte aber anhand der GSS-Daten zeigen, dass hier keine Ursachen-Beziehung besteht.

Besser ausgebildete Menschen fühlen sich demnach in der Tat glücklicher als jene, die eine weniger gute Ausbildung genossen haben. Aber über die gesamte Lebensspanne bleibt die Zufriedenheit in beiden Gruppen mehr oder weniger konstant - und zwar unabhängig von der Einkommensentwicklung.

Der scheinbare Zusammenhang ergibt sich also dadurch, dass eine gute Ausbildung immer ein vergleichsweise höheres Einkommen garantiert.
Anpassung möglich? - Geld ja, Gesundheit nein
Die Anpassungsmechanismen der Sollwert-Theorie will Easterlin daher vor allem für materielle Faktoren reserviert wissen: Denn bei der Gesundheit oder familiären Angelegenheiten könne das Individuum eben selten mit einer Anpassung ("hedonic adaptation") reagieren, die den vorgegebenen Sollwert wieder herstellt.

Easterlin plädiert daher für eine differenziertere Theorie des Glücks: Beispielsweise seien nach seiner Ansicht auch die Lebensziele in die Modellbildung einzubeziehen - und zwar unabhängig davon, ob sie bereits erreicht wurden oder nicht.
Materielles durch verzerrte Wahrnehmung überbewertet
Dass Menschen trotz allem dem schnöden Mammon hinterher hetzen und ihr Lebensglück vorwiegend materiell definieren, erklärt Easterlin auf folgende Weise: Die (finanziellen) Lebensziele werden als unveränderlich angesehen, da die fortwährenden Anpassungsmechanismen kaum bewusst zu machen sind.

Umgekehrt neigen Menschen in Befragungen zu einer Unterschätzung ihres Wohlbefindens in der Vergangenheit. Damit gaukle man sich laufende Verbesserung vor - und bestätige so die materiell orientierte Lebensführung.
->   University of California, Los Angeles
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Studie: Kolumbianer sind weltweit am zufriedensten (23.7.03)
->   Heiraten macht auf lange Sicht nicht glücklicher (17.3.03)
->   Studie: Scheidungspaare sind nicht glücklicher (12.7.02)
 
 
 
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01.01.2010