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Stellungnahme zur Biomedizin-Konvention des Europarates (ETS 164)
Kurt Grünewald, Gesundheits-und Wissenschaftssprecher der Grünen
 
  Am Beginn des 3. Millenniums stehen wir an der Schwelle einer neuen Revolution in der Medizin und Biologie. Diese Revolution verspricht völlig neue Möglichkeiten für medizinische Handlungen und Eingriffe.

Uralte Menschheitsträume könnten wahr werden. Schon manche der heutigen Erfolge erinnern an biblische Wunder: Blinde "sehen", Lahme gehen, Taube hören, Totgesagte werden wiederbelebt, Totgeweihte leben mit fremden Organen weiter.

Diese Revolution wird das menschliche Dasein in Zukunft aber noch viel tiefgreifender beeinflussen:
 
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- mit der Humangenetik verschafft sich der Mensch Einsicht in seinen eigenen innersten Bau- und Organisationsplan, er gewinnt auf diese Weise ein neues Selbstverständnis;
- es herrscht auch wenig Zweifel, dass in Zukunft mit Hilfe der "Gentherapie" angeborene Krankheiten korrigieren werden können;
- sogar die Verzögerung des Alterungsprozesses wird in Aussicht gestellt;
- Organ- und Gewebsersatz auf der Basis von menschlichen und tierischen "Ausgangsmaterialien" werden bald in großem Stil Eingang in die Medizin finden;
- mit Mikroelektronik und Mikro- oder Nanotechnik gelingt es, biologische Funktionen zu ergänzen, zu verbessern oder diese gar zu ersetzen;
- die Telemedizin wird die herkömmlichen Einschränkungen von Raum und Zeit überwinden;
- auch der (oft unerfreuliche) Blick in die gesundheitliche Zukunft ist bereits jetzt bei einigen Krankheiten mit Hilfe genetischer Vorhersagetests möglich;
- daher auch die Sorge vor dem "gläsernen Menschen", die Angst vor einer möglichen Diskriminierung auf Grund des Missbrauches derartig höchst persönlicher Daten durch Versicherung, Arbeitgeber oder Staat;
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Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik könnten sogar den zukünftigen Menschen "neu definieren¿. Im Rahmen der künstlichen Befruchtung ist es schon heute möglich, gewisse Erbeigenschaften von Embryonen vor der Implantation in den Uterus festzustellen (Prä-Implantations-Diagnostik).

Dies ist zwar in einigen Ländern (auch in Österreich) gesetzlich verboten, wird aber bereits in anderen Staaten (in der Regel noch) zur Elimination von Erbschäden angewandt.
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Derartige Selektionsverfahren könnten durchaus Anklang und größere Verbreitung finden.

Die Gründe:

- Eltern wollen das Risiko des herkömmlichen "genetischen Würfelspiels" auf diese Weise ver-meiden;
- Eltern wollen ein Kind, das sich als passender "Lieferant" von Stammzellen (Nabelschnurblut) für erkrankte Familienangehörige (in weiterer Zukunft möglicherweise auch für andere) eignet;
- der Staat will die "Qualität" der Bürger determinieren.
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Die naive Hoffnung auf das "perfekte Wunschkind" könnte so zur Wiederauferstehung der Eugenik führen. Seit "Dolly" müssen wir damit rechnen - wie aktuelle Aussagen von Herrn Antinori und Konsorten konkret befürchten lassen -, dass auch diese Art der "Fortpflanzung" am Menschen und mit Menschen und ohne Rücksicht "auf Verluste" (chemische oder mechanische Abtreibung von "imperfekten" Embryonen oder Feten) versucht werden wird.

Wie die leidvollen Erfahrungen im soeben vergangenen 20. Jahrhundert auf tragische Weise immer wieder gezeigt haben, besitzt der Fortschritt zwei Seiten - eine Licht- und eine Schattenseite.

Es gilt daher für die Zukunft sicherzustellen, dass sich die immer schnellere Entwicklung der Biologie und Medizin zum Nutzen und nicht zum Schaden jetziger - aber auch künftiger Generationen - auswirkt. Es droht die Gefahr einer primitiven sozial-darwinistischen Nützlichkeitsethik.
Biomedizin-Konvention
Der Europarat hat die Fülle anstehender Probleme erkannt und versucht mit der 1997 beschlossenen "Biomedizin-Konvention" jene Rahmenbedingungen für seine 42 Mitgliedsstaaten aufzuzeigen, die den medizinischen Fortschritt und die ethische, legale und soziale Tradition des europäischen Kulturraumes in Einklang bringen.

Um dies tatsächlich erreichen zu können braucht es dringend die Entwicklung einer dynamischen aber ethisch fundierten Forschungskultur. Neue Formen der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik sind auf nationaler und internationaler Ebene gefragt.

Zweifelsohne werden verschiedene Länder auch in Zukunft zur Frage der Weiterentwicklung der medizinischen Forschung und für den Umgang mit dem Fortschritt unterschiedliche Antworten finden. Angesichts des ungeheuren sozialen Konfliktpotentials wird ein intensiver und ständiger Dialog zwischen Wissenschaft und Bevölkerung nötig sein.
Die Biomedizin-Konvention des Europarates ist bestrebt, den Fortschritt in der Medizin und Biologie mit den Grundsätzen der europäischen Menschenrechtskonvention in Einklang zu bringen.

Es geht dabei letztlich ¿um nichts Geringeres, als einen tragfähigen Grundkonsens zu finden und zu bewahren, um zu verhindern, dass der Fortschritt zum entzweienden Störfaktor in einem um Einigung ringenden Kontinent wird¿.
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Die gegenwärtige wirtschaftliche Lage in Europa beeinflusst diesen Prozess zusätzlich, da einige Staaten sich mit den Problemen und den Kosten einer High-Tech Medizin auseinandersetzen müssen, während andere unter dem Mangel an grundlegendsten Resourcen leiden.

Die ehemaligen ¿Sozialistischen Länder¿ mit fast 350 Millionen Menschen erleben zur Zeit Leistungseinbrüche im Gesundheitsbereich, die in einigen dieser Staaten erschreckende Ausmaße angenommen haben. In dieser Notlage dürfte die Beachtung der Grundsätze der Biomedizinkonvention schwierig sein (v.a. gleicher Zugang zur Gesundheitsversorgung, biomedizinische Forschung,Transplantationswesen).
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Die anstehenden ethischen, legalen und sozialen Probleme lassen sich heute einzelstaatlich nicht mehr befriedigend bewältigen. Es geht darum, wenigstens europaweit einen Minimalkonsens sicherzustellen. Wie andere Regionen dieser Erde mit den neuen Entwicklungen umgehen, können wir kaum beeinflussen.
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Die Biomedizinkonvention des Europarates hat ihr Ziel bisher nicht im wünschenswerten Ausmaß erreicht. Vor allem 3 Regelungen,
- Artikel 17 (Schutz einwilligungsunfähiger Personen bei Forschungsvorhaben),
- Artikel 18 (Forschung an Embryonen in vitro)
- Artikel 20 (Entnahme von Organen und Geweben von einwilligungsunfähigen lebenden Spendern zu Transplantationszwecken)
haben zu teils heftiger Kritik geführt.

In Deutschland und Österreich haben die diesbezüglichen Einwände und Befürchtungen wesentlich zur Ablehnung dieser wichtigen Konvention beigetragen.

Allerdings sollen die umstrittenen Artikel in Zusatzprotokollen vertiefend geregelt werden (5 Zusatzprotokolle: 1) prohibition of cloning human beings; 2) medical research on human beings; 3) organ and tissue transplantation; 4) protection of human embryo and fetus; 5) human gentics). Darin könnte durch Klarstellungen und verbesserte Schutzvorkehrungen die Akzeptanz - auch des Gesamtwerkes - verbessert werden.
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Kommentare zu den Artikeln 17, 18 und 20 der Konvention
Zu Artikel 17 (Schutz einwilligungsunfähiger Personen bei Forschungsvorhaben):

Hier könnte eine wesentliche Verbesserung des Schutzes dieser vulnerablen Personengruppen auf nationaler und auch internationaler Ebene erreicht werden, wenn von gesetzeswegen sichergestellt wird, dass bei der Beurteilung von einschlägigen Forschungsvorhaben durch die zuständige Ethikkommission ein Vertreter von Behindertenverbänden oder Selbsthilfegruppen als Mitglied der Kommission an den Entscheidungen teilnehmen muss.

Dies sollte auch im betreffenden Zusatzprotokoll (Forschung am Menschen) verbindlich verankert werden. Gegebenenfalls könnte die Zustimmung dieses Vertreters auch als Voraussetzung für ein positives Votum der Ethikkommission festgeschrieben werden.

Insgesamt lässt die Erfahrung eher befürchten, dass Forschung für den gezielten Nutzen von Behinderten nicht betrieben wird, denn
- die betroffenen Personengruppen sind für kommerzielle Überlegungen zu klein,
- das Risiko für einen möglichen negativen Imageschaden im Falle unkorrekten Handelns - oder schon des Verdachtes - ist viel zu groß.

Daher ist es durchaus denkbar, dass für diese Personengruppen neue Möglichkeiten der Hilfe nicht entwickelt werden, obwohl dies nach heutigem Stand des Wissens und der Technik möglich wäre.

Gemeint sind hiermit keineswegs diskriminierende Maßnahmen, sondern echte Verbesserungen im Sinne von vertretbarem medizinischen Fortschritt.

Durch Anpassung und Verstärkung der Schutzmaßnahmen im obigen Sinne (verantwortliche Beteiligung von Vertretern der vulnerablen Personengruppen an der Entscheidung der Ethikkommission) könnte die Sorge vor Missbrauch verringert werden und die Möglichkeit ethisch, rechtlich und sozial akzeptabler Forschung auch zum Nutzen von einwilligungsunfähigen Personen gewährleistet werden.
Zu Artikel 18 (Forschung an Embryonen in vitro)

Hier zeigt die aktuelle Entwicklung, dass ein Nichtbeitreten zur Biomedizin-Konvention des Europarates, die Entwicklung in anderen Ländern nicht beeinflussen kann. Der Sorge, dass ein Beitritt zur Verwässerung heimischer Regelungen führen wird, könnte insofern begegnet werden, als

a) die bestehenden Schutzregelungen im Verfassungsrang verankert werden könnten (z.B. Fortpflanzungsmedizingesetz)
oder

b) der Biomedizinkonvention mit der Generalklausel im Verfassungsrang zugestimmt wird, dass sich aus dem Beitritt keine Verringerung innerstaatlicher Regelungen ergeben darf;

c) sollte dies als unzureichend empfunden werden, zu prüfen wäre, inwieweit es nicht noch wirksamere rechtliche Bindungen gibt (z.B. namentliche Abstimmungen...).
Zu Artikel 20 (Entnahme von Organen und Geweben von einwilligungsunfähigen lebenden Spendern zu Transplantationszwecken)

Grundsätzlich sollten hier die zu Artikel 18 angeführten Überlegungen gelten.
Kommentar zum Zusatzprotokoll der Biomedizin-Konvention (Protocol on the prohibition of Cloning Human Beings
(open for signature: 12 Jan 1998; Paris; in Kraft: 01. 03.2001)

Am Beispiel des Zusatzprotokolls zum "Reproduktiven Kloning", in dem letzteres verboten wird, zeigt sich, dass hier sehr wohl eine europäische Gesamtposition zu erzielen ist. Mit Datum vom 01.03.2001 ist dieses Protokoll, nach der Ratfikation durch 5 Mitgliedsstaaten, in Kraft getreten.
Empfehlung:
Nicht berücksichtigt in der Biomedizin-Konvention sind wichtige Probleme, wie "Patent auf Leben", Euthanasie und andere. Diese Probleme werden aber durch ein Nichtbeitreten zur Biomedizinkonvention nicht tangiert.

Um an der weiteren Entwicklung entsprechend mitgestaltend teilnehmen zu können, ist ein möglicher Beitritt Österreichs zur Biomedizinkonvention zu überlegen, sofern zusätzlich innerstaatliche Garantien gegen eine Verringerung bestehender gesetzlicher Schutzbestimmungen getroffen werden.

Ähnliche Verbesserungen sollten auch in den zur Zeit in Vorbereitung stehenden Zusatzprotokollen verankert werden. Damit würde Österreich zur Weiterentwicklung dieses überaus sensiblen Bereiches einen Beitrag liefern.

Ähnliche Regelungen gibt es zur Zeit weltweit keine. Die Führungsrolle Europas im Bereich der Umsetzung der Menschenrechte in Bezug auf Biologie und Medizin sollte daher ein weltweites Signal sein und zur Orientierung dienen.

Kurt Grünewald, Gesundheits-und Wissenschaftssprecher der Grünen
 
 
 
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01.01.2010