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Aufdecker von NS-Morden geehrt  
  1945 entdeckte Charles Haywood Dameron die so genannte Hartheimer Statistik. Sie war das Schlüsseldokument zur Aufklärung der Euthanasie-Morde im Dritten Reich. Dem heute 86-jährigen wurde deshalb diese Woche das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen.  
Eine Statistik, die Geschichte schrieb

Dameron heute, Foto: privat
Am 27. Juni 1945 machte Charles Haywood Dameron, Major der US-Armee, eine bizarre Entdeckung. Bei einem Lokalaugenschein in der Vernichtungsanstalt Schloss Hartheim fand er eine Metallkassette mit einer 39 Seiten starken Aufstellung.

Es war eine Statistik des Grauens, angelegt von "Buchhaltern" einer Tötungsmaschinerie. Penibel wird darin aufgelistet, welche Mengen an Lebensmittel, an Brot, Fleisch, Gemüse, Kartoffeln, Butter etc. jedes Monat durch die Vergasung von Menschen erspart wurde.
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70.273 Ermordete in einem Jahr
In den sechs Euthanasieanstalten des Dritten Reichs wurden bis zum 1. September 1941, also in einem Jahr seit Beginn der Vergasungsaktion "T4", 70.273 Menschen ermordet. In der Hartheimer Statistik ist dazu u.a. (auf Seite 9) zu lesen: "Ersparnisse bei Fleisch und Wurstwaren: pro Monat: 112.437 kg, auf 10 Jahre: 13.492.440 kg, in Reichsmark: 36.429.588,00 RM".
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Erste Beweise für geheime Euthanasie

Schloss Hartheim - das einzige Foto mit rauchendem Schornstein - von den verbrannten Leichen, Foto: Karl Schuhmann
Dameron konnte mit diesem Fund erstmals Klarheit schaffen über das Ausmaß der organisierten Vernichtung von so genanntem "unwerten Leben", von Menschen, die nicht dem NS-Rassenideal entsprachen.

Derartig aussagekräftige Dokumente waren bis dahin nicht vorhanden, die sogenannte Euthanasie war zwar bekannt, aber nicht belegt - es war "Geheime Reichssache".

Selbst der gewissenhafte Jurist Dameron, der sich monatelang - auch mit Akten des US-Geheimdienstes - auf die Ermittlungen in Hartheim vorbereitet hatte, ahnte nicht, auf welche Mordmaschinerie er stoßen würde.
Es war ein Mordschloss

Schloss Hartheim derzeit: Videoprint aus ORF-Dokumaterial
In den Jahren 1940 bis 1944 wurden in Hartheim zumindest 30.000 Menschen vergast. Es waren Kranke, Behinderte, Insassen von Altersheimen, Waisen, schwererziehbare Kinder, KZ-Insassen aus Mauthausen und Dachau - kurz alles, was für die Nazis sogenanntes "unwertes Leben" war, "Ballastexistenzen", die für den Staat keine Leistung erbringen konnten.

Die Morde im Rahmen der so genannten Euthanasie wurden mit der zynischen Bezeichnung "Gnadentod" für Schwerstkranke getarnt. Dahinter verbargen sich mehrere Motive:
- die Pflegekosten sollten eingespart werden und der Rüstungsindustrie zu gute kommen;
- die Pflegeheime sollten freigemacht und in Lazarette für die Frontsoldaten umgewandelt werden;
- bei den Kranken wurden die effizientesten Tötungsmethoden für den späteren Holocaust ausprobiert.

Die so genannte Euthanasie war der Probelauf für die Vernichtung der Juden.
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Insgesamt sechs Vernichtungsstätten
Schloss Hartheim war die größte von sechs Vernichtungsstätten, die einzige in Österreich. Fünf weitere gab es im Deutschen "Altreich": Bernburg, Brandenburg, Grafeneck, Hadamar und Sonnenstein.
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Am längsten wurde in Hartheim gemordet
Während in den deutschen Anstalten 1941 die sogenannte "Aktion T4" eingestellt wurde, ging in Hartheim das planmäßige Morden weiter. Aus den Konzentrationslagern Mauthausen und Dachau wurden zumindest 10.000 Häftlinge zur Vergasung gebracht.

Soweit die gesicherten Zahlen. Über die Tötung von Zwangsarbeitern und Juden gibt es Hinweise von Zeitzeugen und in Vernehmungsprotokollen, aber bislang keine Dokumente über Zahl und Zeitpunkt der Transporte.
Kommissar für Kriegsverbrechen

Dameron an seinem Schreibtisch in Regensburg. Foto: US Army
1945 begann der Jurist Charles Haywood Dameron seine heiklen Mission. Als Kommandant des "war crimes investigation teams No 6824" (Ermittlungs-einheit für Kriegsverbrechen) gehörte er zu den ersten Allierten, die unmittelbar mit den Gräuel der NS-Massenvernichtung konfrontiert waren.

Im Gefolge der Dritten US-Armee unter General Patton stieß er bereits im Mai 1945, kurz nach Kriegsende, auf die Überreste der Gaskammern von Schloss Hartheim. Er begann mit der Fahndung und Vernehmung von nahezu 100 Personen, die mit Hartheim zu tun hatten.
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Dameron im Film
Die Redaktion der ORF-Reihe "Im Brennpunkt" arbeitet derzeit an einer Dokumentation über die Vorgänge in Schloß Hartheim. Die Hartheimer Statistik spielt darin eine wesentliche Rolle.
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Beweismaterialien für Nürnberger Prozesse
Im September desselben Jahres hatte er den Auftrag zur Spurensicherung im Konzentrationslager Buchenwald. Dort untersuchten Dameron und sein Team die Massengräber von jüdischen KZ-Häftlingen, die auf den Todesmärschen Ende April 1945 erschossen wurden.

Damerons Arbeit an den Vernichtungsstätten des Dritten Reichs hatte nicht nur im Fall Hartheim eine historische Dimension. Die Beweismaterialien, die er und seine Leute sammelten, waren Grundlage für die Kriegsverbrecherprozesse in Dachau und Nürnberg.

Im Frühjahr 1946 beendete Dameron seine Arbeit im Nachkriegseuropa. Er kehrte in seinen Zivilberuf als Jurist zurück. Nach einer Karriere als bekannter Staatsanwalt von Louisiana, lebt er heute in Port Allen.

Tom Matzek, Modern Times
->   Verein Schloss Hartheim
->   Gedenkbuch Schloss Hartheim
 
 
 
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01.01.2010