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Konrad Lorenz - neue Einblicke in sein Leben  
  Am 7. November 2003 jährt sich der Geburtstag von Konrad Lorenz zum 100. Mal. Rechtzeitig zu diesem Jahrestag erschien nun eine Biografie über den Mitbegründer der Vergleichenden Verhaltensforschung. Darin wird Lorenz' schillernder Lebensweg anhand seiner - bislang als verschollen geltenden - Autobiografie neu beleuchtet.  
Das Buch zeigt die vielschichtige Bewertung einer Forscherkarriere, die zwischen ethologischen Pionierleistungen, nationalsozialistischen Verstrickungen und kontroversen Buch-Bestsellern schwankte.
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"Konrad Lorenz. Biographie" von Klaus Taschwer und Benedikt Föger erschien beim Zsolnay Verlag. Das Buch wird am 24. September 2003 um 19 Uhr am Konrad Lorenz Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung von den Autoren präsentiert. Adresse: Adolf-Lorenz-Gasse 2, 3422 Altenberg
->   Zum Buch bei Zsolnay
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Lorenz - Medienstar auch posthum

Auch knapp 100 Jahre nach seinem Geburtstag ist das Leben von Konrad Lorenz - zumindest in Österreich - ein mediales Ereignis: Zum einen, weil Lorenz - neben Karl von Frisch - der letzte österreichische Nobelpreisträger war.

Zum anderen auch deshalb, weil der der breiten Bevölkerung vor allem als "Vater der Graugänse" bekannte Ethologe wie kein anderer die Öffentlichkeit zu polarisieren vermochte:

Sei es als Vordenker der ökologischen Bewegung, als pointierter Gesellschafts- und Kulturkritiker oder als fulminanter Vortragender in Sachen Wissenschaftspopularisierung - und nicht zuletzt auch wegen seiner unrühmlichen Verstrickungen in den Nationalsozialismus.
"Böswillige Verdrehungen und devote Weißwäscherei"
Im Schrifttum zu und über Konrad Lorenz gelang es bisher nur wenigen Autoren, von den beiden Extremen der pauschalen Verdammung und der unkritischen Glorifizierung Abstand zu nehmen - und ein halbwegs abgeklärtes Bild von dem österreichischen Forscher zu zeichnen.

Der ehemalige Assistent von Lorenz, Norbert Bischof, schrieb in diesem Zusammenhang einmal von "Halbwahrheiten, Missverständnissen, ahnungslosem Geschwätz, böswilligen Verdrehungen und devoter Weißwäscherei", die im Lauf der Jahre über den Ethologen publiziert worden seien.
Mythen auf dem Prüfstand
Und tatsächlich muss sich jede Publikation über Lorenz' Leben daran messen lassen, inwieweit sie die - bisweilen unkritisch - tradierten Geschichten über den Mediziner und Zoologen aus Altenberg auf ihren tatsächlichen Wahrheitsgehalt überprüft: Um das tun zu können, bedarf es allerdings ausgedehnter Recherchen in den einschlägigen Archiven im In- und Ausland.
Lorenz' verschollene Autobiografie
Genau das haben Taschwer und Föger getan: Sie verglichen Quellen aus Archiven in den USA, Russland, Deutschland, Großbritannien und Österreich.

Herzstück dieser Recherche war ein Fund, der sich letztlich als roter Faden der Biografie zu Buche schlagen sollte: die unvollendete Autobiografie von Lorenz, die er ab April 1988 seiner Sekretärin zu diktieren begann.
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Fund aus den 1940ern: Das "Russland-Manuskript"
Das Altenberger Archiv erwies sich bei den Recherchen der Autoren einmal mehr als außerordentlicher Fundus. Denn das 13 Jahre nach seinem Tod wieder entdeckte Manuskript war nicht der erste spektakuläre Fund in Lorenz' Geburtshaus. Bereits im Dezember 1990 fand man dort ein 750 Seiten umfassende Schrift, die er während der russischen Gefangenschaft in den 1940er Jahren angefertigt hatte. Das 1992 unter dem Titel "Die Naturwissenschaft vom Mensche" posthum veröffentlichte Buch ist gewissermaßen eine Rohversion seines erkenntnistheoretischen Hauptwerkes, "Die Rückseite des Spiegels" aus dem Jahr 1973.
->   Konrad Lorenz: Publikationsliste (KLI Altenberg)
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"Tiere haben mich immer mehr interessiert als Menschen"
Aus den nun entdeckten "Memorrhoiden" - wie Lorenz sein Buchprojekt scherzhaft zu nennen pflegte - erfährt der Leser anhand ausführlicher Zitate Aufschlussreiches über das Selbstbild des Verhaltensforschers. Das Manuskript beginnt mit den Sätzen:

"Ich bin Zoologe, d.h. mein Forschungsinteresse gilt den Tieren und ihrem Leben. Wann ich damit angefangen habe, vermag ich nicht zu sagen. Tiere haben mich immer mehr interessiert als Menschen, und Menschen gewissermaßen nur in ihrer Eigenschaft als irgendwie besondere Tiere."
Die dunklen Stellen in Lorenz' Werk
Freilich gibt es auch Textstellen in Lorenz' Werk, bei denen sein Interesse am Menschen nicht ganz so wertfrei und distanziert ist, wie es in dem obigen Zitat anklingt.

Etwa in dem 1940 erschienenen Aufsatz "Durch Domestikation verursachte Störungen arteigenen Verhaltens", in dem Lorenz die hinlänglich bekannte "Verhaustierungs-Hypothese" der zivilisierten Großstadtmenschen vortrug.

Fatal war in dieser Publikation nicht nur das brüchige biologische Argumentationsgerüst, sondern vor allem die rassenhygienischen Folgerungen, die er aus seiner Theorie zog. Wie Taschwer und Föger zeigen, existiert ein weiterer Schlüsseltext aus dieser Zeit, in dem sich Lorenz einer wissenschaftlich-ideologischen Doppelrhetorik bediente:

Der unter dem Titel "Nochmals: Systematik und Entwicklungsgedanke im Schulunterricht" erschienene Aufsatz trug im Wesentlichen jene "Diagnose" des erblich-moralischen Verfalls der oft zitierten "Domestikations"-Arbeit vor - nur eben diesmal mit einer durchaus parteipolitischen Schlagseite.
Stationen des Lebens nachgezeichnet
Nachdem weiterhin zweifelsfrei erwiesenen ist, dass Lorenz Mitglied bei der NSDAP war, ist also die Frage nach einer etwaigen Nazi-Vergangenheit des österreichischen Biologen klipp und klar mit Ja zu beantworten.

Aber Lorenz wäre eben kein so lohnendes Objekt biografischer Beschreibung, wenn seine Karriere neben braunen Schatten nicht auch viel Licht erzeugt hätte.

Die Stationen seiner akademischen Karriere - z.B. Inhaber des Lehrstuhls von Immanuel Kant in Königsberg, Leiter des Instituts für Verhaltensphysiologie in Seewiesen oder die Verleihung des Nobelpreises für Medizin und Physiologie 1973 - werden anhand des zusammengetragenen Archivmaterials detailgetreu nachgezeichnet.
->   Konrad Lorenz (Nobelpreis 1973)
Warum es so kam - und nicht anders
Positiv fällt vor allem auf, dass die Autoren immer wieder die genuin historische Fragestellung "Warum kam es gerade so und nicht anders?" einflechten - und mit Rückgriff auf die umfangreichen Quellen auch zu beantworten suchen.

Im Fall des Nobelpreises erfährt man etwa, dass die Verleihung wohl auf die Initiative des emigrierten deutschen Biochemikers Max Delbrück zurückging, der - neben anderen Fürsprechern - Lorenz für den Preis vorgeschlagen hatte.
Der Mensch im Mittelpunkt
Angesichts der offenherzigen autobiografischen Bekenntnisse und ebenfalls ausgiebig zitierten Briefwechseln ist es letztlich der Mensch Konrad Lorenz, der dem Leser näher gebracht wird.

So bleibt etwa eine kurze, aber offensichtlich intensive Affäre von Lorenz mit Helen Spurway - der Gattin des berühmten Populationsgenetikers J.B.S. Haldane - nicht unerwähnt.

Und nicht zuletzt bekommt der Leser auch einen Einblick in Lorenz legendäre Gabe, Wissenschaft anhand einer schier unerschöpflichen Quelle von Anekdoten der Leserschaft plastisch zu vermitteln.
Kritik und Würdigung sind möglich
Insgesamt gesehen zeigt die neue Biografie, dass man Lorenz' politische Verfehlungen scharf kritisieren kann (und muss) - und zugleich das wissenschaftliche und volksbildnerische Verdienst des Mannes angemessen zu würdigen vermag. Wer sich in Hinkunft zum Thema Lorenz kompetent äußern möchte, kommt an dem neuen Standardwerk jedenfalls nicht vorbei.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Alle Artikel zum Thema Konrad Lorenz im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010