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1934 und 2003: Sozialpolitik im Vergleich  
  Harte Währungspolitik, stagnierende Wirtschaft, Schuldenlast. Einige der Basisbeilagen, aus denen sich die Sozialpolitik 1934 und 2003 zusammensetzte, mögen vergleichbar sein. In realiter sind es die Agenden natürlich nicht. Werner Sturmberger hat in seiner Seminararbeit "Sozialpolitik im Austrofaschismus" Differenzen und Ähnlichkeiten untersucht - nachzulesen in mnemopol.net und in Form einer Rezension vorgestellt in science.ORF.at.  
Sozialpolitik im Austrofaschismus
Rezensiert von Oliver Gingrich

1892 gegründet hatte die Freie Gewerkschaft - bald als die größte aller Gewerkschaften - seit jeher ein Naheverhältnis zur Sozialdemokratie. Offiziell besiegelt wurde dies mit deren Eingliederung in die Sozialdemokratie 1918, worauf die Mitgliederzahl auch ihren Höchststand einnahm - mit mehr als einer Million Kombatanten.

Neben der Freien Gewerkschaft buhlten zwei weitere "Gegengewerkschaften" um politische Gunst: Dies waren einerseits die Christlichen Gewerkschaften mit Naheverhältnis zu den Christlich-Sozialen, andererseits seit 1927 die Unabhängigen Gewerkschaften der Heimwehr. Die Mitgliederzahlen konnten sich jedoch nie wirklich mit den Freien Gewerkschaften messen lassen, in punkto Einfluss sollte sich dies mit dem Ständestaat und ihrer Einheitsgewerkschaft natürlich ändern.
Das Verbot und die Konsequenzen
Die Einheitsgewerkschaft versammelte Christliche und Unabhängige und erfuhr durch die Personalunion ihres Vorsitzendem mit dem der Arbeiterkammer, Johann Staud, eine massive Aufwertung.

Mit Verordnung 132 des BGBI wurde die Gewerkschaft der Arbeiter und Angestellten am 2. März 1934 gegründet. Dieser neue Gewerkschaftsbund umfasste fünf Berufsstände und war dem Bundesministerium für soziale Verwaltung direkt unterstellt. Die enge Bindung an die Regierung Dollfuß ohne eigentlichen Handlungsspielraum führte wohl auch dazu, dass diese "Einheitsgewerkschaft" in ihrer Akzeptanz nie reüssierte.
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Kein Streik als Protestmöglichkeit mehr
Mit Berufung auf das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz von 1917 wurden noch vor der Konstituierung des Ständestaates massive Einschränkungen für Arbeiter beschlossen, als das Parlament de facto bereits lahm gelegt war: Die Kürzung der Höchstdauer bei Arbeitslosenversicherung auf 20 Wochen, das Ausmaß der Unterstützung und Ähnliches bei der Notstandshilfe. Auf Grund der "Anti-Terror"-Gesetze von 1930, bei denen das Streikrecht fiel, waren den Arbeiter die Protestmöglichkeiten bereits genommen.
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Ständestaatliche Implikationen
Durch die Installierung des Ständestaates wartete die Vaterländische Front ab 1934 mit einer Reihe von Novellen auf.

Das Werksgemeinschaftsrecht sollte dem Ständestaat Vorschub leisten, reduzierte jedoch vordergründig die politische Mitsprache der Arbeiter, indem es das Prinzip der Betriebsräte auflöste.

Der Kollektivvertrag, der zuvor meist mit der Freien Gewerkschaft verhandelt worden war, oblag nun der Arbeiterkammer als Interessensvertretung. "Berufsständische Ausschüsse" sollten dort reglementieren, wo es am lodern war, wurden sich selbst aber kaum gerecht.
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FAD - Freiwilliger Arbeiterdienst
1932 von Dollfuß initiiert und 1934 gegründet, war der FAD vordergründig ein Mittel, um Großprojekte, die weder Investoren noch Arbeitskräfte versammeln konnten, zu verwirklichen. Die Großglockner-Hochalpenstraße, die Reichsbrücke oder die Wiener Höhenstraße etwa zählen dazu.

Jugendliche und Arbeitslose wurden rekrutiert. Dabei hatte der FAD zum einen starke militärische Züge, zum anderen galt er auch als Umerziehungsschmiede. Klassische Entlohnung gab es beim FAD nicht, stattdessen Auszahlung in Naturalien. Trotz dieser Politik war der FAD unrentabel, unterminierte stattdessen Unternehmen, die ihren Arbeiter auch gezahlt hätten, so wurde sogar aus eigenen Reihen der Vaterländischen Front beanstandet.
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Das Sozialversicherungsgesetz von 1935
Der Bundesminister für soziale Verwaltung Odo Neustädter-Stürmer hatte die Reform seit 1934 vorbereitet, 1935 wurde sie nach Novellierungen beschlossen:

Die Vereinheitlichung des Sozialversicherungsbereichs für Arbeiter und Angestellte wurde beschlossen, ein Fünf-Jahresplan erstellt, krankenversicherte Arbeiter in die Unfallversicherung integriert und ganz generell Leistungen gekürzt.

In concreto umfassten diese: Starke Einschnitte in der Pensions- und Rentenversicherung, Reduktion des Krankengeldes, Einführung einer dreitägigen Karenzfrist, Reduktion der Vollrente für Angestellte und der Verletztenrente für Arbeiter bei Erwerbsunfähigkeit um 50 Prozent.
1934 vs. 2003: Parallelen und Unterschiede
Der Autor Werner Sturmberger sucht in seiner Seminararbeit nach Vergleichbarkeiten in den Sozialpolitiken 1934 und heute und findet sie zum einen in der Ausgangssituation:

Damals wie heute war Europa in schleichender Rezession begriffen, damals wie heute galt das Diktum des ausgeglichenen Staatshaushaltes. Konjunkturbelebende Impulse sind der monetären Politik nachrangig zu sehen.

Doch aufgrund des Fehlens eines ähnlichen politischen Rahmens fällt ihm der Vergleich schwer. Die Stände im Sinne der päpstlichen "Enzyklika Quadragesimo Anno" funktionierten zwar nie als solche, waren aber konstituierende Faktoren der damaligen Politik.
->   Die Arbeit ist nachzulesen in www.mnemopol.net
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Informationen zum Autor: Werner Sturmberger
Werner Sturmberger studiert seit Oktober 2001 Soziologie an Universität Wien und seit Oktober 2002 Politikwissenschaft. Seine Forschungsgebiete sind vor allem sozialwissenschaftlich ausgerichtet mit Schwerpunktsetzung auf den strukturellen Wandel in den Industriestaaten, verbunden mit Konsistenzen von Werten und Normen als Handlungsimperative.
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->   Sämtliche Beiträge von mnemopol.net in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010