News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Was macht Bilder glaubwürdig?  
  Eine Dokumentarfotografie soll bezeugen, dass "es so gewesen ist"; ein Passbild hat für die Identität der Person einzustehen; die Aufzeichnung einer Spur im Labor soll Unsichtbares sichtbar machen; eine Wirtschaftskurve veranschaulicht abstrakte Vorgänge: Was macht diese Bilder so "evident" und glaubwürdig?  

Eine Tagung am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Wien, zum Thema "Bild und Evidenz" spürt dieser Frage nach. Eva Cescutti vom IFK stellt in einem Gastbeitrag für science.ORF.at bereits vorab die wichtigsten Inhalte der Tagung vor.
...
Tagung: Bild und Evidenz
Zeit: 9.-11. Oktober 2003
Ort: IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
->   Das genaue Programm und kurze Abstracts sämtlicher Beiträge (IFK)
...
Wo sitzt die "Glaubwürdigkeit" des Bildes?
von Eva Cescutti, IFK

Das Bild erzeugt eine Form der Anschaulichkeit, die durch andere Verfahren oder Medien nicht zu erlangen wäre. Die Evidenz der Bilder entsteht dabei nicht von selbst, sondern beruht auf einem zusätzlichen Akt der Beglaubigung, der Zuschreibung oder Verhandlung.

Die Evidenz hat ihren Ort im Bild, aber sie ist immer auch woanders:
- in der Bildlegende, die dem Blick eine Richtung vorgibt;
- in der Glaubwürdigkeit der Person oder der Autorität einer Instanz, die das Bild produziert hat;
- in den Funktionen der Technik, auf der seine Herstellung beruht.

Dieser besonderen Qualität bildlicher Evidenz - einerseits im Bild zu sein, andererseits einer zusätzlichen Aktivierung zu bedürfen - will die Tagung an Beispielen aus unterschiedlichen Bereichen der Kultur nachgehen.
Die Sichtbarkeit der "Geschichte" ...
Wodurch erhält beispielsweise ein Bild den Status einer historischen Quelle und wie kann ihm dieser Status abgesprochen werden? Christoph Asendorf, Professor für Kunst und Kunsttheorie in Frankfurt/O., beschäftigt sich mit der Unsichtbarkeit und der Sichtbarkeit des Krieges.
... am Beispiel der Kriege
Heute gibt es kein Grundvertrauen in die Darstellbarkeit des Geschehens mehr. Neue hochtechnisierte Kriegsräume lassen sich nicht visuell erfassen. Kampfhandlungen, die über große Distanzen hinweg ausgetragen werden, lassen sich nur noch über die Netze der Telekommunikation steuern.

Auch wenn sie das diesbezügliche grundsätzliche Repräsentationsproblem nicht lösen kann, steigt nach dem Ersten Weltkrieg anstelle der Malerei die Fotografie zum visuellen Leitmedium auf, wie Julia Encke am Beispiel der Weimarer Republik zeigen wird.
Die Evidenz wissenschaftlicher Illustration
Was bedeutete es, wenn Wissenschaftler Phänomene zur Darstellung ihrer selbst bringen wollen, die unmittelbare Anschaulichkeit dieser Phänomene sich aber nur dann zeigt, wenn man sie durch Techniken und gezielte Eingriffe hervorruft?

Danach fragt Christoph Hoffmann, Wissenschaftshistoriker aus Berlin, am Beispiel der Fotografien von Schüssen. Frank Hartmann, Kommunikationswissenschaftler aus Wien, rekonstruiert am Beispiel von Otto Neuraths "International Picture Language" die Ikonisierung als Wissenschaftstool.
Unsichtbares: Mikro- und makroskopisch
In einem Abendvortrag wird der bekannten Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme (Humboldt-Universität zu Berlin) der Bild-Evidenz in den Wissenschaften des Unsichtbaren des 17. Jahrhunderts nachgehen. Sein Vortrag untersucht an Beispielen des mikro- und makroskopisch Unsichtbaren die Rolle anschaulicher Darstellungsmittel, welche die Evidenz der new sciences beglaubigen sollen, aber auch deren heimlich-unheimlichen und erhabenen Charakter ausmachen.

Die Revolutionen der "Denkungsart" (Kant), die durch das Unsichtbare ausgelöst wurden, sollen dabei herausgearbeitet und reflektiert werden.
Evidenzen der Identität ...
Die illegale Produktion von Identitätsdokumenten ist ein blühendes und millionenschweres Geschäft. Eine offizielle Schätzung von 1999 spricht von einer halben Million gefälschter Ausweisdokumente, die allein in der Europäischen Gemeinschaft im Umlauf sind. Welche Art von Evidenz schaut uns also aus unserem Personalausweis an? Das ist die Leitfrage des Beitrags des österreichischen Kulturhistorikers Valentin Groebner, der derzeit in Basel lehrt.
... und ihre Geschichte
Gestanzte Metallösen, Klebstoff, Randstempel, Laminat und - in den neuen kreditkartengroßen Personalausweisen - die komplette Verschmelzung des Bildes mit dem Plastikmaterial des Ausweises sollen jeweils sicherstellen, dass die Fotografie einer Person möglichst dauerhaft mit ihrer schriftlichen Identitätsbescheinigung verbunden bleibt.

In den Echtheitszeichen von Identitätsdokumenten steckt eine ganze Menge Geschichte. "Passport" ist ein Begriff aus dem 15. Jahrhundert, in dem die ersten obligatorischen Ausweisdokumente erscheinen. Von diesen mittelalterlichen Bescheinigungspraktiken der Evidenz und in ihren Echos in zeitgenössischen Debatten um Ausweise und visuelle Authentizität soll genauer die Rede sein.
"Selbstschreiber" für Phänomene des Lebendigen
Peter Geimer vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, der gemeinsam mit Helmut Lethen, Professor für Germanistik an der Universität Rostock und IFK_Fellow, die Tagung konzipert hat, versucht am Ende der Tagung die "Evidenz der Linie" zu erschließen.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts etablieren sich in den physiologischen und psychologischen Laboratorien so genannte "Selbstschreiber": Apparate, die Phänomene des Lebendigen (Puls, Blutdruck, Atmung) mithilfe eines Schreibstifts auf das Papier eines rotierenden Zylinders notieren. Den Anwendern der so genannten "graphischen Methode" gelten die Linien und Kurven dieser Schrift als "Sprache der Phänomene selbst", als "Autogramm", "natürliche Graphik" und "wissenschaftliche Weltsprache".
Ambivalente Resultate
Der Vortrag handelt davon, wie im Umfeld dieser Praxis der Selbstregistrierung auch die persönliche Handschrift zunehmend als eine graphische Aufzeichnung gelesen wird, in welcher die SchreiberInnen, ohne es zu wissen, pausenlos "sich selbst" notieren. Das "Autogramm" ist ambivalent: es muss einmalig sein, aber zugleich auch jederzeit wiederholbar.
...
Nach der Tagung der nächste Vortrag am IFK: Irmela Schneider - Das beschirmte Kind. Zur Diskursgeschichte "Kinder und Fernsehen". Zeit: 13. Oktober, 18.00 Uhr

Der Schwerpunkt des Vortrags liegt auf publizistischen und wissenschaftlichen Diskursen der späten 60er und 70er Jahre, jenem Jahrzehnt, in dem Kinder überhaupt erst als FernsehzuschauerInnen entdeckt wurden. Das Unbehagen gegenüber dem Medium Fernsehen und die gleichzeitige Faszination, die es ausübt, werden im Vortrag mit Blick auf Kinder analysiert; sie sind allerdings weit darüber hinaus signifikant und relevant.

Irmela Schneider ist Professorin am Institut für Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft an der Universität Köln und IFK_Visiting Fellow.
...
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010