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Zähneknirschen: Stressventil im Schlaf  
  Jeder zweite, ob Erwachsener oder Kind, knirscht im Schlaf mit den Zähnen. Die Ursachen reichen von rein mechanischen Problemen wie z. B. falsche Zahnstellungen bis zu psychischen Störungen. Die Folgen des nächtlichen Zähneknirschens sind unter anderem schwere Zahnschäden sowie Kiefer- und Gesichtsschmerzen. An der Wiener Universitätszahnklinik sucht man jetzt nach neuen Therapieansätzen um das Übel an der Wurzel zu packen.  
Das Kauwerkzeug als Spiegel der Seele
Die Zähne sind mehr als ein Kauwerkzeug: sie haben einiges mit unserer psychischen Verfassung zu tun. Nicht umsonst heißt es "die Zähne zusammenbeißen" oder etwas "zähnknirschend in Kauf nehmen" an dem man "schwer zu beißen hat". Mit Ärger und Stress hat auch das nächtliche Zähnknirschen - oder Bruxismus zu tun, wie die Ärzte sagen.

Dieses Zähnknirschen ist ein Stressventil: Im Schlaf wird zerbissen und zermalmt, was am Tag nicht geschluckt werden konnte. An sich eine ganz normale Reaktion, die aber bei vermehrter Stressbelastung zu einem Gesundheitsproblem werden kann: Schwere Zahnschäden, heftige Kopfschmerzen, Muskelverspannungen, Migräne etc. können die Folge sein - ein Martyrium für den Betroffenen.
Kiefergelenk am Prüfstand
An der nächtlichen Knirscherei können allerdings auch Aufbiss-Störungen Schuld sein: die Zahnstellungen, ein deformierter Kiefer, luxierte Kiefergelenke, Probleme mit der nervösen Steuerung der Kaumuskulatur und ähnliches.

In der Kieferambulanz der Wiener Universitätszahnklinik verfügen die Ärzte über in Österreich einzigartige Diagnosegeräte um diesen Problemen auf die Spur zu kommen. Computerunterstützte Achsiographie wird eingesetzt, um die Bewegungen der Scharnierachse der Kiefergelenke zu erfassen und auf dem Computerbildschirm sichtbar zu machen.

Diagnostik und Verlaufskontrolle von Kiefergelenkserkrankungen sind mit diesen Daten möglich. Zeitaufwendig ist eigentlich nur das Anlegen des Geräts - das Messdiagramm des gesamten Kauapparates, dem komplizierten Zusammenspiel von Muskeln, Zähnen, Knochen hat der Arzt in Sekundenschnelle am Bildschirm.
Neuer Therapieansatz
In der Therapie hat man sich bisher auf eine symptomatische Behandlung konzentriert. Den Knirschern wurden kurzerhand Aufbiss - Schienen verpasst, um zumindest die schleifende Zerstörung der Zähne zu stoppen.
Ein neuer Therapieansatz an der Universitäts-Zahnklinik ist das durch Biofeedback kontrollierte Training der Kaumuskulatur.
Entspannung mit Computerhilfe
Der Patient wird regelrecht verdrahtet. An den Schlüsselstellen der Kaumuskulatur werden hochsensibel Elektroden angebracht. Diese messen die Muskelaktivität. Die einzelnen Signale werden vom angeschlossenen Rechner umgesetzt. Am Bildschirm entseht eine Kurve im auf und ab von Spannung und Entspannung.

Dem Patienten wird nun eine Kontrollkurve vorgeben, die er durch die bewusste Steuerung seiner Kaumuskeln nachzeichnen soll: durch Spannen und Entspannen. Aus der Erfahrung der Ärzte an der Zahnklinik reichen schon 10 Sitzungen mit qualifizierter Betreuung, um dem Knirscher eine Entspannungstechnik für seine Kaumuskulatur zu vermitteln.
Schutz für die Zähne
Werden im Verlauf der computerunterstützten Achsiographie tatsächlich Aufbiss-Störungen erkannt, so wird der Arzt auch mit einer konventionellen Behandlung, wie zum Beispiel einer Kieferregulierung, zum Erfolg kommen.

Der Erste Schritt ist allerdings das Anmessen einer Aufbiss-Schniene, die während des Schlafes getragen werden sollte. In der Universitätszahnklinik setzt man auf individuell angepasste, harte Schienen. Diese schützen die Zähne vor dem Abschleifen und regulieren schrittweise die Kaumotorik.
Diese Schienen werden wöchentlich kontrolliert und nachjustiert.
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Zahnpyjamas
Eine Alternative wären weiche Aufbiss-Schienen, die Zahnpyjamas. Diese erfordern zwar kein regelmäßiges Service, schützen aber bestenfalls die Zähne vor dem Abrieb, sind nach Ansicht der Spezialisten nicht mehr als ein Provisorium und Notlösung.
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Stressmanagement für die Zähne
Auch wenn es erste Fortschritte mit Biofeedback gibt, dem Knirscher mit Stressproblemen, wird eine Psychotherapie nicht erspart bleiben. An der Wiener-Universitätszahnklinik arbeitet man deshalb nun verstärkt mit Psychiatern und Psychologen zusammen.

Für die Patienten geht es um ein psychologisch fundiertes Stressmanagement. Die Erfahrung zeigt, das so den Knirschern weitgehend geholfen werden kann. Die Therapie braucht allerdings ihre Zeit, eine Aufbiss-Schiene wird den Patienten nicht erspart bleiben.

Wenn Kinder im Schlaf mit den Zähne knirschen, muss das nicht unbedingt Anlass zur Sorge sein. In frühen Entwicklungsphasen ist es ganz normal, dass der tägliche Stress nachts knirschend abgearbeitet wird. Früher oder später hört sich das von selbst auf.

Gerhard Roth, "Modern Times"
Mehr dazu in der Sendung "Modern Times" am 10. Oktober 2003 um 22.35 Uhr in ORF 2.
->   "Modern Times"
->   Universitätszahnklinik Wien
->   Mehr zu Bruxismus (Deutsches Zahnarzt-Netz)
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01.01.2010