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Wie das Gehirn Klavierspielen lernt  
  Schon unsere Musiklehrer wussten: Um Klavier ohne Blick auf die Hände spielen zu können, bedarf es jahrzehntelanger Übung. Deutsche Hirnforscher schränken diese Meinung nun maßgeblich ein: Einfache musikalische Phrasen können auch von blutigen Anfängern schon nach kurzer Zeit "blind" gespielt werden. Und: bereits nach wenigen Lerneinheiten entstehen jene Erregungsmuster im Gehirn, die auch später für den virtuosen Gebrauch des Instruments notwendig sind.  
Wie Marc W. Bangert und Eckart O. Altenmüller von der Hochschule für Musik und Theater in Hannover berichten, bildet sich überdies nach fünfwöchigem Training eine spezielle Hirnregion aus, die vermutlich die Ton- und Tasteigenschaften des Pianos repräsentiert.
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Die Studie "Mapping perception to action in piano practice:
a longitudinal DC-EEG study." Von Marc W Bangert und Eckart O Altenmüller erschien in der Open Access-Zeitschrift "BMC Neuroscience" (2003, Band 4:26).
->   BMC Neuroscience
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Wenn Musik die Finger bewegt
Aus neurologischen Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren weiß man, dass professionelle Musiker eine besonders intensive Verbindung zwischen den motorischen und auditorischen Regionen in ihrem Gehirn aufweisen.

Das äußert sich z.B. dadurch, dass tonloses Vollführen von Tastbewegungen bei Pianisten auch jene Hirnabschnitte aktiviert, die für die Bearbeitung von Hörreizen verantwortlich sind.

Umgekehrt stimuliert Musikgenuss auch jene Gehirnbereiche, die an den Bewegungen des Klavierspiels beteiligt sind. Glaubt man anekdotischen Berichten, dann geht das mitunter so weit, dass dadurch sogar die Finger unwillkürlich bewegt werden.
Verbindung Hand/Ohr schon nach 20 Minuten
Wie schnell sich diese Verbindung zwischen Hör- und Bewegungszentren im Gehirn ausbildet, war bis dato unbekannt. Intuitiv würde man erwarten, dass dies in der Größenordnung von Jahren vonstatten geht.

Wie Marc Bangert und Eckart Altenmüller nun in der Zeitschrift "BMC Neuroscience" zeigen, kann jedoch bereits nach 20 Minuten Training eine Ko-Aktivierung der jeweiligen Hirnregionen nachgewiesen werden.
Anfänger lernten Phrasen "blind" zu spielen
Die beiden Musikforscher untersuchten im Rahmen ihrer Studie Probanden, die keinerlei Vorkenntnisse von Klavierspiel hatten.

Um den Lerneffekt von jeweils 20-minütigen Trainingseinheiten nachzuweisen, gruppierten Bangert und Altenmüller die Testpersonen wie folgt:

Gruppe Nr.1 lernte kurze musikalische Phrasen auf einem E-Piano, wobei während des Trainings weder gesprochen werden durfte, noch der Blick auf die Klaviertasten oder die Hände erlaubt war.

Diese Einschränkung stellte sicher, dass an den Lernvorgängen ausschließlich auditorische und motorische Reize beteiligt waren.
Kontrollgruppe: Lerneffekt unterbunden
Die zweite Gruppe musste das selbe Trainingsprogramm absolvieren, allerdings wurde die Zuordnung von Klaviertasten und -tönen mit jeder Einheit zufällig verändert:

"Dieser Gruppe wurde also keine Möglichkeit gegeben, eine Verbindung zwischen Fingern und Noten aufzubauen - außer dem kurzfristig gleichzeitigen Auftreten von Anschlag und Schall", erklären die Forscher in einer Aussendung:

"Mit anderen Worten: Diese Personen bekamen keine Möglichkeit, eine interne Verbindung von Bewegungen und Tonhöhen aufzubauen."
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Effekt mittels EEG dargestellt
Nach der ersten, fünften und zehnten Trainingseinheit wurden die Probanden angehalten, kurze Melodien passiv zu konsumieren. In einem separaten Test mussten sie die erlernten Phrasen auf einem "stummen" E-Piano abspielen. Bei beiden Versuchen wurde die Gehirnaktivität mittels Gleichspannungs-EEG ("DC-EEG") dargestellt.
->   Mehr über EEG (netdoktor.de)
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Musik aktiviert auch Bewegungs-Areale
Die beiden Gruppen konnten anhand der gemessenen Erregungsmuster bereits nach der ersten Lerneinheiten unterschieden werden:

So rief etwa das Abspielen von Musik bei den Mitgliedern von Gruppe 1 auch eine Aktivierung in den motorischen Hirnarealen hervor. Bei den anderen Probanden war dies nicht der Fall.
"Klavier-Region" entdeckt
Überdies konnten die deutschen Forscher auch eine Region in der rechten vorderen Hirnhälfte identifizieren, die bei den Mitgliedern der ersten Gruppe deutlich aktiver war.

Marc Bangert und Eckart Altenmüller vermuten, dass in diesem Gehirnbereich die Ton- und Tasteigenschaften des Pianos repräsentiert werden:

"Interessanter Weise liegt diese Region genau dort, wo man auf der linken Hemisphäre das Broca-Areal findet", erklärt Bangert.
Lage: Gegenüber dem Broca-Areal
Das Broca-Areal ist bekanntlich an der Bearbeitung von Sprache beteiligt. Für die entsprechende Region auf der rechten Seite gab es schon bisher Hinweise, dass sie mit der Wahrnehmung von Melodien und Tonhöhen zu tun haben könnte.
->   Mehr dazu: Macht Musizieren intelligenter? (mhs-aachen.de)
->   Hochschule für Musik und Theater in Hannover
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01.01.2010