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Blaumeisen: Fremdgehen für fitten Nachwuchs  
  Singvogeleltern, die meist in trauter Zweisamkeit ihre Jungen aufziehen, galten lange Zeit als vorbildliche "Eheleute". Doch die Tiere gehen häufiger fremd als bisher angenommen, wie im Wienerwald durchgeführte Vaterschaftstests an Blaumeisen ergeben haben. Der Grund - zumindest aus Sicht der Weibchen: Das genetische Material der jungen Vögel ist vielfältiger als das ihrer mit dem Partner gezeugten Halbgeschwister. Die Tiere sind daher fitter und haben höhere Überlebenschancen.  
Das Forscherteam von der Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie in Seewiesen hat gemeinsam mit Wissenschaftlern des Zoologischen Museums in Oslo in einer Langzeitstudie die Blaumeisen im Wienerwald untersucht. Ihre Ergebnisse wurden nun im Fachmagazin "Nature" veröffentlicht.
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Der Artikel "Females increase offspring heterozygosity and fitness through extra-pair matings" von Katharina Foerster, Kaspar Delhey, Arild Johnsen, Jan T. Lifjeld und Bart Kempenaers ist erschienen in "Nature", Bd. 425, Seiten 714-717, vom 16. Oktober 2003.
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"Eher die Regel als die Ausnahme"
Bild: Max-Planck-Forschungsstelle f¿r Ornithologie/Kaspar Delhey
Blaumeise im Nistkasten
Blaumeisenweibchen wählen nur einen einzigen sozialen Partner, der ein Territorium mit Nistplatz verteidigt und bei der Aufzucht der Jungen hilft. Dennoch gehen die Weibchen fremd, wie die Forscher anhand der Vaterschaftstests nachweisen konnten - und zwar nicht gerade selten.

"Bei den sozial monogamen Blaumeisen ist Fremdgehen eher die Regel als die Ausnahme", kommentiert die österreichische Biologin Katharina Foerster von der Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie die Studienergebnisse.

Demnach ziehen Blaumeisenpaare sehr häufig Kindern von verschiedenen Vätern - also Halbgeschwister - zugleich im Nest auf. Es gebe Hinweise, dass es sich bei anderen Arten ähnlich verhalte, so die Biologin.
Männchen: Je mehr Junge, desto besser
Die evolutionären Vorteile des Fremdgehens - im Fachjargon als "außerpaarliche Kopulation" bezeichnet - sind zumindest für die Männchen offensichtlich: Sie erhöhen damit ihre eigene Nachkommenschar und sorgen dafür, dass ihre Gene möglichst zahlreich weiter gegeben werden.
Welcher Vorteil aus Sicht der Weibchen?
 
Bild: Max-Planck-Forschungsstelle f¿r Ornithologie/Kaspar Delhey

Diese Blaumeisengeschwister stammen alle aus dem selben Nest, aber von verschiedenen Vätern

Hingegen ist die Bedeutung der Promiskuität bei Weibchen schwerer zu erkennen. Käme es in der Evolution alleine auf die Anzahl der Nachkommen an, dann hätten die Blaumeisenweibchen keinen Anreiz, bestimmte Männchen als (genetische) Väter ihrer Jungen zu bevorzugen.

Doch auch die Qualität des Erbgutes spielt eine Rolle bei Überleben und Fortpflanzungserfolg des Nachwuchses.
Heterozygoter Nachwuchs dank Seitensprung
So stellte sich in der Studie heraus, dass Junge, die bei einem Seitensprung gezeugt wurden, genetisch stärker heterozygot (mischerbig) waren als die Kinder des sozialen Vaters. Heterozygot bedeutet, dass für ein bestimmtes Merkmal zwei unterschiedliche Gene vorhanden sind.

Dagegen weisen Tiere etwa von nahe verwandten Eltern viele homozygote Merkmale auf, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, das sich Erbkrankheiten durchsetzen. Im Extremfall spricht man von Inzucht.
Je mischerbiger, desto fitter die Jungen
Je heterozygoter die jungen Blaumeisen aber waren, desto fitter waren sie auch. Jungvögel, die ihren ersten Winter überlebten und im gleichen Gebiet zu brüten begannen, war meist stärker heterozygot als ihre nicht überlebenden Nestgefährten.

"Sie verfügen damit über einen entscheidenden Vorteil, wenn man bedenkt, dass von einer im Durchschnitt elfköpfigen Blaumeisenbrut meist nur ein oder zwei Jungvögel den nächsten Frühling erleben", so Foerster.
Vorteile auch noch im Erwachsenenalter
Auch im Erwachsenenalter wirkt sich die individuelle genetische Vielfalt positiv aus. So legten stärker heterozygote Weibchen größere Gelege und lebten länger. Heterozygote Männchen wiederum waren erfolgreicher bei der Jungenaufzucht.
Auch "gute Gene" sind entscheidend
Aber auch "gute Gene" sind bei der Wahl des Partner für den Seitensprung entscheidend: Erbgut also, dass etwa einen stärkeren Körperbau, bessere Konkurrenzfähigkeit, erhöhte Vitalität oder eine bessere Abwehr von Parasiten und Krankheitserregern ermöglicht.

Doch wie finden die Weibchen Paarungspartner mit "guten Genen" bzw. Männchen, die möglichst nicht nah mit ihnen verwandt sind?
Entfernung, Gefieder, Alter und Größe
Zum einen scheint dies schlicht über die geografische Entfernung der verschiedenen Nistplätze zu funktionieren. Laut Studie sind weiter entfernt brütende Männchen mit einem Weibchen meist weniger nah verwandt, als der soziale Partner und die nächsten Nachbarn um das eigene Nest.

Die Männchen signalisieren darüber hinaus ihre genetische Vielfalt über das Gefieder: Je vielfältiger die Genetik, desto stärker reflektiert das Gefieder UV-Licht. Die Vögel können im Gegensatz zum Menschen dieses Licht wahrnehmen. Ein Weibchen tut also im Sinne ihres Nachwuchs gut daran, ein stark im UV-Licht schimmerndes Männchen zu wählen, das weiter entfernt lebt.

Was die "guten Gene" angeht, sind offenbar Alter und Größe wichtig. Paarte sich ein Weibchen mit einem - näher verwandten - Nachbarn, so achtete es laut Studie auf diese Merkmale. Größe ist demnach ein Konkurrenzvorteil, das Alter ein Zeichen für gute Überlebensfähigkeit.
->   Max Planck Forschungsstelle für Ornithologie
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01.01.2010