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Sextricks: Wie Orchideen Wespen übertölpeln  
  Die natürliche Reproduktion geht oft seltsame Wege: Eine Orchideenart etwa verführt männliche Wespen mit einem Sexlockstoff, um sie für ihre Bestäubung auszubeuten. Während die Insekten versuchen, sich mit den Blüten zu paaren, tragen sie die Pollen von einer Orchidee zur anderen - gut für die Reproduktion der Pflanzen, schlecht für jene der Wespen. War die Täuschung schon bisher bekannt, so haben Biologen nun die chemische Zusammensetzung des verwendeten Lockstoffs identifiziert.  
Unter Mitarbeit des österreichischen Zoologen Florian Schiestl, der derzeit am Geobotanischen Institut der ETH Zürich tätig ist, fanden die Forscher laut "Science" eine einzigartige Kohlenwasserstoff-Verbindung für diesen ebenso einzigartigen Trick der Natur.
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Der Artikel "The Chemistry of Sexual Deception in an Orchid-Wasp Pollination System" ist in "Science" erschienen (Bd. 302, S. 437-438, Ausgabe vom 17. Oktober 2003).
->   Science
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"Chiloglotton": Eine einzige Substanz
Bild: Florian Schiestl
Wespenmännchen auf einer Orchidee
Viele Orchideenarten produzieren Sexuallockstoffe, so genannte Pheromone. Dabei stellen sie Düfte her, die auch weibliche Wespen produzieren. Das Besondere bei Chiloglottis trapeziformissei jedoch, dass der Lockstoff aus nur einer einzigen Substanz bestehe und nur diese eine Wespe (Neozeleboria cryptoides) anlocke.

Schiestl und seine Kollegen haben den Kohlenwasserstoff - 2-Ethyl-5-Propylcoclohexan-1,3-Dion - nun "Chiloglotton" genannt. Im Gegensatz zu den anderen Orchideen, die verschiedene Mischungen an täuschenden Stoffen verwenden, scheint sich Chiloglottis trapeziformis ausschließlich auf diese eine Verbindung zu verlassen.
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Pheromone
Als Pheromone bezeichnet man chemische Substanzen, die der Kommunikation zwischen Organismen einer Art dienen - sie werden in äußerst geringen Mengen produziert. Je nach Wirkung unterscheiden man verschiedene Arten - Sexualpheromone etwa beeinflussen das Sexualverhalten von Tieren bzw. locken den Partner an. Am besten untersucht sind die Insektenpheromone. Es wird vermutet, dass Pheromone als "sehr alte Substanzen" funktionelle Vorläufer von Hormonen sind. Chemisch handelt es sich meist um Alkohole, Säuren oder Kohlenwasserstoffe.
->   Mehr über Pheromone
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Bedrohliches Abhängigkeitsverhältnis
"Orchideen produzieren keinen Nektar und die Wespe erhält keine Belohnung. Nachdem, was man zurzeit weiß, betreiben die Orchideen absoluten Sexbetrug", meinte Wittko Francke von Institut für Organische Chemie der Universität Hamburg, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.

Das Abhängigkeitsverhältnis der Orchideen- und Wespenart bezeichnete Francke als "extrem ungewöhnlich. Sollte einer der beiden Partner bedroht sein, zittert das ganze System." Die Orchidee müsse dann nach anderen Wegen suchen, sich bestäuben zu lassen.
Unklarheit über Auswirkungen auf Wespen
Welche Auswirkungen die Täuschung der Wespen-Männchen auf die Paarung und Fortpflanzung der Insekten hat, wird noch untersucht. Über Ergebnisse der Forschung hatte Florian Schiestl von der ETH Zürich in den "Proceedings (B)" der Londoner Royal Society (Bd. 269, S. 1529) bereits im Juli 2002 berichtet.

"Weibchen könnten in Regionen, wo viele Orchideen stehen, leer ausgehen", sagte sein Hamburger Kollege Francke. "Aber vielleicht sind sie auch gar nicht interessiert an Männchen, die einfach alles anfliegen, was nach Weibchen riecht, und dann nicht mehr stark genug sind, sich richtig zu paaren."
->   Mehr zur Studie von Florian Schiestl (11.07.02)
Doppelt parasitäres Verhalten ...
In einer zweiten Studie, die diese Woche in "Science" erschienen ist, haben französische Forscher einen weiteren Organismus ausfindig gemacht, der Vorteile aus Wespen zieht: ein Virus-ähnlicher Mikroparasit, der das parasitäre Verhalten der Wespen ihrerseits beeinflusst.

Die Wespenart Leptopilina boulardi legt seine (normalerweise einzelnen) Eier in die Larven der Fruchtfliegen Drosophila. Wenn es davon zu wenige gibt, könnten Wespen aufgrund der natürlichen Selektion theoretisch gezwungen sein, ihre Eier in bereits "belegte" Larven zu legen.
... mit gegenseitiger Beeinflussung
Julien Varaldi von der Universität Lyon I in Villeurbanne haben nun aber einen anderen Grund dafür entdeckt, warum manche der Insekten mehrere Eier in einen Wirt legen. Sie sind von einem Mikroparasiten befallen, der ihr Verhalten in diesem Sinne verändert.

Die Erklärung der französischen Forscher: Wenn in den Larven der Fruchtfliegen mehrere Wespeneier vorhanden sind, steigt die Chance der kleinen Parasiten, weitere Wespen zu infizieren, und somit die Quote der eigenen Vermehrung.
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Der Artikel "Infectious Behavior in a Parasitoid" ist online in "ScienceExpress" (17. Oktober 2003) erschienen.
->   Zum Artikel (kostenpflichtig)
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->   Geobotanisches Institut, ETH Zürich
->   Hintergründe Wespenforschung (ETH Zürich)
->   Institut für Organische Chemie der Universität Hamburg
Mehr aus der Welt der Wespen in science.ORF.at:
->   Partnersuche: Wespen verändern Pflanzenchemie (20.11.02)
->   Auch Wespen brauchen ihren Schlaf (12.8.02)
->   Wespen erkennen einander - am Gesicht (15.7.02)
 
 
 
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01.01.2010