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Bulimie: Nicht nur psychische Ursachen  
  Es ist nicht die psychosoziale Situation allein, die hinter der vor allem bei jungen Frauen auftretenden Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa) steckt. Einem Team von Wiener Wissenschaftlern ist es nun erstmals gelungen, bei Bulimie eine Störung von Botenstoffen im Gehirn nachzuweisen.  
Die Wissenschaftlergruppe um Johannes Tauscher von der Klinischen Abteilung für Allgemeine Psychiatrie am Wiener Allgemeinen Krankenhaus konnte eine molekularbiologische Störung von im Gehirn wirksamen Serotonintransporter-Molekülen bei Bulimia nervosa nachweisen.

Der Hintergrund: Mittels einer nuklearmedizinischen Untersuchung wurde ein Mangel an so genannten "Serotonintransportern" bei Bulimiepatientinnen gefunden. Die Ergebnisse dieser Studie wurden vor kurzem in der renommierten US-Zeitschrift "Biological Psychiatry" veröffentlicht.
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Bulimie
Die Bezeichnung "Bulimia nervosa", kurz auch Bulimie genannt, bedeutet sinngemäß "Ochsenhunger". Umgangssprachlich heißt das Krankheitsbild häufig "Ess-Brech-" oder "Fress-Kotz-Sucht". Neben der Anorexia nervosa (Magersucht) ist die Bulimie das typischste Beispiel für eine Essstörung.

Gemeinsam ist beiden Krankheiten, dass bei den Betroffenen eine extreme Angst vor einer Gewichtszunahme besteht. Während jedoch bei der Anorexie starker Gewichtsverlust durch extreme Diät im Vordergrund steht, ist das Hauptmerkmal der Bulimie das wiederholte Auftreten von Essattacken, die von aktiv herbeigeführtem Erbrechen oder der Einnahme von Abführmitteln bzw. harntreibenden Mitteln gefolgt sind.
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Serotonin: Schlüsselrolle beim menschlichen Essverhalten
Nerven-Botenstoffe wie Serotonin oder Dopamin werden vom menschlichen Gehirn zur Signalübertragung zwischen Nervenzellen verwendet. Serotonin spielt eine Schlüsselrolle bei der Steuerung des menschlichen Essverhaltens.

Frühere Untersuchungen wiesen indirekt auf eine Beteiligung des Serotoninsystems bei der Entstehung von Essstörungen wie Bulimie und Anorexie hin. Die vorliegende Studie beweist nun erstmals direkt, dass es bei Bulimie zu einem Mangel an zentralen Serotonintransportern im Gehirn kommt.
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In Wien leiden 30 Prozent der Mädchen an Essstörungen
Einer Wiener Studie aus dem Jahr 1999/2000 zufolge sind mehr Wiener Jugendliche von Essstörungen betroffen als angenommen. Demnach haben 30 Prozent der 15-jährigen Mädchen schon einmal absichtlich erbrochen oder Medikamente eingenommen, um Gewicht zu verlieren. Sechs Prozent der Mädchen und drei Prozent der Burschen haben bereits eine Therapie oder eine Beratung wegen eines Essproblems in Anspruch genommen. Wer Fragen zu Essstörungen hat oder über Probleme sprechen möchte, kann sich an die Gratis-Hotline wenden: 0800-20 11 20 (montags bis donnerstags von 12.00 bis 17.00 Uhr).
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Bulimie-Patientinnen: Weniger Serotonintransporter
Die Fachleute verwendeten bei ihren Studien die Single-Photon-Emission-Computertomographie (SPECT), mit der Stoffwechselvorgänge im Körper bildlich dargestellt werden können. Mittels Hirn-SPECT und einem radioaktiv markierten Gegenstück (Ligand, Anm.) für im Gehirn vorhandene Serotonin- und Dopamintransporter-Moleküle kann die Dichte dieser Eiweiß-Substanzen bestimmt werden.

Im Rahmen der jetzt veröffentlichten Studie wurde die Transporterdichte von Bulimiepatientinnen gemessen und mit der von gesunden Kontrollpersonen, die niemals an einer Essstörung oder einer anderen psychischen Erkrankung litten, verglichen. Die Patientinnen waren im Durchschnitt fünf Jahre krank gewesen, bevor sie an der Hirn-SPECT-Untersuchung teilnahmen.

Das Ergebnis: Das Defizit an den Serotonintransporter-Substanzen war umso ausgeprägter, je länger die Krankheit bestand. Interessanterweise waren sowohl Serotonin- als auch Dopamintransporter bei den Bulimiepatientinnen vermindert.
Medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung
Essstörungen werden derzeit mit psychotherapeutischen Verfahren und medikamentös behandelt. Für Letzteres werden vor allem Antidepressiva aus der Klasse der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, so genannte SSRI-Antidepressiva, eingesetzt. Diese helfen, einen Mangel im Serotonin-Stoffwechsel zu beheben. Der Mangel an den Substanzen erklärt auch, warum die Antidepressiva bei der Bulimie wirken.

Es ist allerdings laut Tauscher noch nicht klar, ob das Defizit wirklich die biologische Ursache oder eine Folge in der Form eines Adaptationsmechanismus ist. Zusätzliche weitere und vor allem genetische und molekularbiologische Studien sind daher erforderlich, um die tatsächlichen Ursachen von Essstörungen aufzuklären.
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Auch Männer leiden an Essstörungen
Längst sind Magersucht und Bulimie keine reine Frauenkrankheiten mehr. Auch Männer opfern für den Waschbrettbauch und die schmalen Hüften bereitwillig ihre Gesundheit. Vor allem bei 15- bis 35-jährigen Männern sind Essstörungen zu beobachten. Essgestörte Männer sind in allen Gesellschafts- und Berufsgruppen anzutreffen. Besonders gefährdet sind all diejenigen, die beruflich auf ihre Figur achten müssen, etwa Tänzer, Models und Leistungssportler.
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(APA/red)
->   Informationen zu Bulimie, von Betroffenen für Betroffene
->   Informationen zu Magersucht
->   Klinische Abteilung für Allgemeine Psychiatrie am Wiener Allgemeinen Krankenhaus
->   Biological Psychiatry
 
 
 
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01.01.2010