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Politisches Handeln in der Mediengesellschaft  
  Die politischen Strategien einer postmodernen Gesellschaft, in der Emotionen immer wichtiger als Ideologien werden und Bilder sprachlich vermitteltes Wissen zunehmend verdrängen, stehen im Mittelpunkt einer Diskussion im Rahmen der Wiener Wissenschaftstage. Die Podiumsteilnehmerin und Historikerin Heidemarie Uhl stellt vorab einige zentrale Thesen zur Diskussion - vor allem wie sich das zeitgemäße "policy making" auf den Integrationsprozess in Europa auswirken kann.  
"Zwischen Bezirk und Europa"
Von Heidemarie Uhl

Die postmoderne Medien- und Kommunikationsgesellschaft stellt eine neue demokratiepolitische Herausforderung für die europäische BürgerInnengesellschaft dar. Stand in den 70er und 80er Jahren noch die Forderung nach einer Demokratisierung des Zugangs zu Wissen und Information als Voraussetzung für politische Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit im Vordergrund, so sind mittlerweile Klagen über die mediale Informationsflut und die daraus resultierende "Unübersichtlichkeit" in den Vordergrund getreten.

Die geläufigen Ordnungen des Wissens - wie sie etwa in der Strukturierung der Berichterstattung in einer Tageszeitung oder im Aufbau einer öffentlich-rechtlichen TV-Nachrichtensendung vermittelt werden - und die daraus entwickelten Lesefähigkeiten, über die wir als MedienkonsumentInnen ganz "selbstverständlich" verfügen, reichen offenkundig nicht mehr aus, um sich in der täglichen Informationsflut und vor allem auch im Labyrinth des Wissensraums Internet zu orientieren.
Wissen und Emotion ...
Gerade angesichts dieser Informationsflut hat die Überzeugung an Raum gewonnen, dass nicht vorrangig sprachlich vermitteltes Wissen, sondern Bilder unsere Vorstellungen über die soziale Wirklichkeit prägen und somit handlungsanleitend werden.

Für die von der Aufklärung geprägte Konzeption der demokratischen Gesellschaftsordnung in der Moderne war es ausreichend, den Zugang zu fundierten Informationen zu gewährleisten, um den BürgerInnen rationales demokratiepolitisches Handeln zu ermöglichen - der Citoyen, die Citoyenne der Postmoderne will darüber hinaus durch emotionale Angebote berührt und bewegt werden. Beides verschränkt sich in den visuell kommunizierten Botschaften der medialen Bilderwelt.
... die Botschaften der medialen Bilderwelt
Denn Bilder sind die medialen Agenturen, in denen diese emotionalen Angebote kommuniziert werden, und gerade aus den Wahlkämpfen der letzten Jahre geht hervor, dass die inhaltlichen Botschaften immer stärker zugunsten von affektiv wirkenden Bildern in den Hintergrund treten.
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Talk im Rathaus
Podiumsdiskussion "Demokratie innovativ - zwischen Bezirk und Europa" am 26. Oktober 2003, 15 Uhr im Rathaus, veranstaltet vom Demokratiezentrum Wien und Europaforum Wien.

Teilnehmer: Georg Kreis (Leiter des Europainstitutes der Universität Basel), Ursula Maier-Rabler (Kommunikationswissenschafterin an der Universität Salzburg), Oliver Rathkolb (Historiker und Wissenschaftlicher Leiter des Demokratiezentrum Wien), Isabella Hager (Redaktionsmitglied des Schülerstandard), Heidemarie Uhl (Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, ÖAW)
Moderation: Martin Bernhofer, ORF
->   Demokratiezentrum Wien
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Wenn Bilder regieren, wer sind Politik-AkteurInnen?
Welche Konsequenzen hat eine zunehmend visuelle Medienkultur für das Feld des Politischen? Im "contested space" des Politikfeldes, geprägt von der Konkurrenz der Parteien, hat die zunehmende Ablösung von ideologischen Inhalten durch emotionale Botschaften eine neue Konstellation der AkteurInnen zur Folge: eine "Diskurskoalition" (Sieglinde Rosenberger in ihrem neuen Buch "Kopf an Kopf. Meinungsforschung im Medienwahlkampf", gemeinsam mit Gilg Seeber) von PolitikerInnen, Medien, Werbeagenturen und Meinungsforschungsinstituten.
"Branding" statt Ideologie
Der Kampf um die Stimmen der WählerInnen wird kaum noch mit den "klassischen" ideologischen Argumenten geführt, sondern durch Werbekampagnen, in denen die SpitzenkandidatInnen wie eine Marke ("branding") beworben werden.

Der erfolgreiche Schwarzenegger-Wahlkampf bei den Gouverneurswahlen in Kalifornien hat gezeigt, dass es nachrangig wird, für welche Inhalte und Programme PolitikerInnen stehen: die medienwirksame Präsentation einer charismatischen Persönlichkeit - beziehungsweise der Versuch der Werbeagenturen, den Politiker, die Politikerin so darzustellen - dominiert.
Strategien des policy making in der Postmoderne ...
Die postmoderne Medien- und Informationsgesellschaft stellt auch eine der wesentlichen Rahmenbedingungen für den Prozess der europäischen Integration und die damit verbundene Transformation des politischen Handlungsraums dar.

Die geringe Wahlbeteilung bei den EU-Wahlgängen und das wenig ausgeprägte Interesse für EU-Themen deuten wohl darauf hin, dass sich viele BürgerInnen ohnmächtig einem bürokratischen "Moloch" Europa gegenüber sehen, in dem es keine nachvollziehbaren "Möglichkeitsräume" für politische Mitbestimmung und Mitentscheidung gibt.
... zwischen Bezirk und Europa
Die Frage, wie das "abstractum" EU-Europa in lokal und regional wirksame demokratiepolitische Handlungsfelder "übersetzt" werden kann, wie Räume für ganz konkretes demokratiepolitisches Agieren - im Bezirk, im Dorf etc. - eröffnet werden können, ist eine der Herausforderungen für eine europäische Integration, die EU-Europa nicht als einen Bund von Nationalstaaten versteht, sondern als das Projekt einer transnationalen Demokratie - als Zivilgesellschaft der europäischen BürgerInnen.
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Demokratiezentrum Wien
Die interdisziplinäre Einrichtung versteht sich als virtuelles Wissenszentrum, das seine Forschungsergebnisse über das Internet öffentlich zugänglich macht. Die WissenschaftlerInnen beschäftigen sich etwa mit Grundfragen der politischen Kultur und des politischen Systems in Österreich im europäischen Kontext, analysieren Demokratisierungsprozesse in ihrer historischen Entwicklung und setzen sich mit aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten auseinander.

Das Wissensportal des Zentrums möchte "Infrastruktur für die gut informierten BürgerInnen" (Claus Leggewie) sein und verschafft so politisch Interessierten Zugang zu aktuellen Diskussionen. Die Themenpalette ist breit gefächert: vom multimedialen Reiseführer durch die politische und kulturelle Landschaft Österreichs "Who is Austria" über das Themenfeld "Demokratie und Medien" arbeitet das Zentrum auch historische Themen wie "Vergessen und Erinnern" in Zusammenhang mit den Benes-Dekreten auf.

Leitung:
Mag. Gertraud Diendorfer ist die geschäftsführende Leiterin und Univ.-Doz. DDr. Oliver Rathkolb der wissenschaftliche Leiter des Instituts.
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->   Heidemarie Uhl: Gedächtnis - Die Karriere eines Begriffs
 
 
 
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01.01.2010