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Wenn Männer keine sind  
  Wissenschaftler haben ein Gen entdeckt, das während der Embryonalentwicklung einen großen Einfluss auf die Entstehung des Geschlechts hat. Mäuse mit dem Y-Chromosom, denen das Gen fehlt, entwickeln sich nicht zu männlichen Tieren.  
Dieser neue "Player" in der geschlechtlichen Ausdifferenzierung könnte erklären helfen, warum manche Tiere, die mit einem (männlichen) Y-Chromosom ausgestattet sind, bisweilen eine weibliche Anatomie aufweisen, meinen David Ornitz und seine Kollegen von der Washington University in St. Louis, die das Gen durch Zufall entdeckten.

Es handelt sich bei dem Gen um einen Wachstumsfaktor, den "Fibroblast Growth Factor 9" (Fgf9). Er findet sich in Variationen in der gesamten Tierwelt.
Missbildungen bei der Geburt
Schätzungen zufolge müssen ein bis zwei von tausend Säuglingen bei der Geburt operiert werden, um genitale Abweichungen zu korrigieren, die auf Grund einer fehlerhaften Entwicklung des reproduktiven Systems entstanden sind.

Nur ein kleiner Teil der Fehlbildungen dieser Art kann derzeit bekannten genetischen Defekten zugeschrieben werden. Möglicherweise hat die Wissenschaft mit diesen neuen Arbeiten Hinweise darauf erhalten, welche weiteren Faktoren bei derartigen Missbildungen eine Rolle spielen.
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Wachstumsfaktoren sind körpereigene Botenstoffe, die auf Zellen eine aktivierende Wirkung ausüben und sie zu Teilung und Vermehrung anregen können. Sie regeln einen Großteil der Entwicklung des Embryos.
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Entdeckung durch Zufall
Das Team um Ornitz entdeckte eher durch Zufall jenes Gen. Sie untersuchten eigentlich den Einfluss des Wachstumsfaktors auf die Entwicklung der Organe der Tiere. Als sie das Wachstumsgen bei Mäuse-Embryonen unterdrückten, funktionierten die Lungen der Tiere nicht und sie starben bei der Geburt.

Bei näherer Untersuchung stellte sich heraus, dass beinahe alle Mäuse - selbst diejenigen mit einem Y-Chromosom - eine weibliche Anatomie hatten. Nur wenige waren nicht weiblich, und die hatten missgebildete Hoden, in welchen sich auch Eierstocksgewebe befand.
Gen greift in frühem Stadium ein
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Wachstumsfaktor in verschiedenen Stadien der Entwicklung des Geschlechts eingreift, etwa beim Anstoß zur Zellteilung bei Zellen, die sich zu Hodengewebe ausdifferenzieren werden. Das Gen ist das erste Molekül mit Signalwirkung, das in einer sehr frühen Phase der geschlechtlichen Bestimmung involviert ist.

Wo und wann genau das Wachstumsgen eingreift, ist immer noch unklar, meint Robin Lovell-Badge, der sich mit der Geschlechterdeterminierung am "National Institute for Medical Research" in London beschäftigt. Auch die Tatsache, dass die Mäuse, bei denen die Aktivität des Gens unterdrückt wurde, sich unterschiedlich weiterentwickeln, zeigt, dass der Wachstumsfaktor zwar eine wichtige Rolle spielt. Doch ist nicht er allein für diese Wirkung verantwortlich.
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Bei den meisten Säugetieren setzt die Aktivierung eines bestimmten Gens auf dem Y-Chromosom den Weg zur Männlichkeit in Gang - die so genannte SRY-Region (SRY= Sex determining Region on the Y-chromosome). Ornitz und Kollegen fanden heraus, dass der Wachstumsfaktor schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Entwicklung der männlichen Geschlechtsmerkmale eingreift - schon kurz nachdem die SRY-Region aktiv wurde. Wie die beiden Gene zusammenspielen, ist unbekannt.
->   SRY
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Viele Faktoren bestimmen das Geschlecht
Viele Faktoren sind an der Entwicklung des Geschlechts beteiligt. Bei den verschiedenen Tieren sind es auch durchaus unterschiedliche. Zusätzlich zu genetischen Faktoren können auch Umweltbedingungen eine Rolle spielen, etwa die Temperatur und die Bevölkerungsdichte.

Den Wachstumsfaktor Fgf9 allerdings findet man bei vielen Tierarten: bei Mäusen, Menschen und bestimmten Fröschen sowie in ähnlicher Form bei Fruchtfliegen und Rundwürmern.

Daraus schließt Ornitz, dass Fgf9 das erste Beispiel für ein Gen ist, das sich während der Evolution kaum veränderte, zumindest nicht bei den Wirbeltieren. "Wir glauben, dass alle anderen Signale zur geschlechtlichen Ausdifferenzierung auf dem Fgf9 aufbauen", meint er.

(red)
Der Artikel erschien in der Zeitschrift "Cell" (Nr. 104, 875¿889, 2001) unter dem Titel: Colvin, J. S., Green, R. P., Schmahl, J., Capel, B. & Ornitz, D. M. Male-to-female sex reversal in mice lacking Fibroblast growth factor 9.
->   Cell
 
 
 
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01.01.2010