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Digitale Fußnoten: Wenn Informationen verschwinden  
  Sie sind ein Merkmal für die Seriosität wissenschaftlicher Artikel: Literaturnachweise und Fußnoten. Immer öfter verweisen sie nicht nur auf andere Publikationen in gedruckter Form, sondern auf Quellen im Internet. Und das wirft zunehmend Probleme auf, denn "Ortsangaben" im WWW ändern sich oft schneller, als es den Autoren lieb ist. Eine aktuelle Studie hat sich nun der "verschwundenen Fußnoten" angenommen - und schlägt neue Wege vor, um diesem Informationsverlust zu begegnen.  
Nach zwei Jahren 13 Prozent nicht mehr aktiv
Für ihre Studie untersuchten der Mediziner Robert P. Dellavalle von der University of Colorado und sein Team Literaturnachweise von mehr als 1.000 Artikeln des "New England Journal of Medicine" (NEJM), des "Journal of the American Medical Association" (JAMA) und von "Science", die zwischen 2000 und 2003 veröffentlicht wurden.

Die Resultate, die sie nun in "Science" vorgestellt haben: 2,6 Prozent aller Fußnoten bezogen sich auf das Internet, gut 13 Prozent davon waren knapp zwei Jahre nach der Veröffentlichung nicht mehr aktiv - waren also nicht mehr nachzuvollziehen und führten zu Fehlermeldungen aller Art.
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Die Studie ist unter dem Titel "Going, Going, Gone: Lost Internet References" in "Science" (Bd. 302, S.787, Ausgabe vom 31. Oktober 2003) erschienen.
->   Zum Original-Artikel (kostenpflichtig)
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Internet-Dynamik mit Vor- und Nachteilen
Das von Dellavalle und Kollegen untersuchte Phänomen betrifft ein Hauptmerkmal des Internet als dynamisches Medium: Einerseits werden nach neuesten Schätzungen täglich sieben Millionen neue Webseiten geschaffen, andererseits verschwinden oder verändern sich auch andauernd ihre eindeutig zuordenbaren Adressen. Literaturhinweise, die dadurch unauffindbar werden, bedrohen die Seriosität wissenschaftlicher Arbeit.

Eine sehr grobe Methode, dem zu begegnen, wäre ein komplettes Verbot von Internet-Fußnoten - wie das einige wenige Wissenschaftsjournale (Dellavalle zitiert "Cancer Research") vorexerzieren.

In Zeiten, in denen E-Publishing - nicht selten aufgrund der ökonomischen Vorteile, aber auch aufgrund größerer demokratischer Partizipationsmöglichkeiten, Stichwort "Open Access" - immer wichtiger wird, verfolgen die meisten aber ein anderes Konzept. Und akzeptieren reine Internet-Fußnoten genau wie ihre Artgenossen aus Papier.
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Aufruf zu Open Access
Vor rund zehn Tagen ist nach einer Konferenz die "Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen" von namhaften Experten und Wissenschaftsvereinigungen unterzeichnet worden.
->   Offener Informationszugang für alle gefordert (22.10.03)
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Fast ein Drittel aller Artikel mit Web-Verweisen
Um das wahre Ausmaß des Informationsverlustes zu erheben, haben Dellavalle und sein Team ihre umfangreiche empirische Studie vorgenommen. 30 Prozent aller untersuchten Artikel enthielten ihr zu Folge mindestens einen Internet-Verweis, insgesamt bezogen sich 2,6 Prozent aller Fußnoten auf das WWW.

Während die Rate an Internet-Literaturnachweisen im 27-monatigen Untersuchungszeitraum beim "NEJM" (von 0,6 auf drei Prozent) und beim "JAMA" (von 2,1 auf 3,2 Prozent) anstieg, war bei "Science" ein Rückgang (von 4,2 auf 1,7 Prozent) zu verzeichnen. Das Journal mit dem höchsten Anteil an Artikeln mit mindestens einer Internet-Fußnote war das "JAMA" - zuletzt waren es 42 Prozent.
Je älter, desto fehleranfälliger
Wie die Forscher errechneten, waren drei Monate nach der Veröffentlichung eines Artikels durchschnittlich 3,8 Prozent von den Internet-Verweisen nicht mehr aktiv, nach 15 Monaten zehn Prozent und nach 27 Monaten bereits 13 Prozent. Auch hier war das "JAMA" mit 21 Prozent nicht-auffindbaren Verweisen am stärksten betroffen.
Wieder herstellbare und verlorene Information
Die nicht mehr aktiven Internet-Verweise unterteilten die Forscher in zwei Untergruppen: erstens in wiederherstellbare und zweitens in unwiderruflich verlorene Information. Wiederherstellbare Internet-Verweise konnten mit den Archiv-Diensten von www.archive.org and www.google.com wieder gefunden werden.
->   Internet Archive
->   Google
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Fast jeder zweite .com-Verweis verschwand
Bei einem Ranking der inaktiven Web-Fußnoten hinsichtlich ihrer Top-Domains lagen die ".com"-Adressen ganz vorne: 46 Prozent von ihnen waren nach 27 Monaten verschwunden. Die weitere Reihenfolge: ".edu"-Adressen mit 30, "andere" mit 20, ".gov" mit zehn und ".org" mit fünf Prozent.
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Warum URLs verschwinden
Warum eindeutig zuordenbare Internet Adressen - die so genannten URLs (Uniform Resource Locators) - verschwinden, kann mehrere Ursachen haben. Etwa dass Server abgedreht wurden, weil das entsprechende Unternehmen nicht mehr existiert, oder dass sich die URL geändert hat, weil der Inhalt einer Seite nach einer neuen Logik geordnet wurde.
DOI: Code zur eindeutigen Identifizierung
Eine Möglichkeit, um Online-Quellen nicht zu verlieren, ist die Verwendung von Systemen wie dem "Digital Object Identifier" (DOI), die einen Code zur eindeutigen Identifizierung elektronischer Objekte liefern.

Viele Wissenschaftsverlage verwenden über die Nonprofit-Agentur "Cross Ref" bereits DOI - darunter auch "Nature" und "PNAS" - dennoch würden für viele kleine Verleger und individuelle Autoren die Barrieren der Kosten bestehen bleiben, schreiben Dellavalle und Kollegen in "Science".
->   DOI
->   Cross Ref
Was tun? Archiv-Nutzung ...
Um die verschwundenen Informationen des WWW wieder zu erlangen, schlagen die Autoren mehrere Strategien vor. Einerseits den verstärkten Einsatz von archivarischen Diensten wie das erwähnte "Internet Archive" und die direkte Korrespondenz des Studienautors mit den Autoren der zitierten Internet-Quellen.
... und Mit-Einreichung von Web-Content
Als "momentan beste Lösung" schlagen sie jedoch vor, dass die Verleger von ihren Autoren zum Zeitpunkt des Einreichens der Manuskripte verlangen sollen, die gesamte aus dem Internet bezogene Information mitzuschicken. Damit könne zwar die Änderung von URLs nicht verhindert werden, aber zumindest der Verlust an Informationen.

Außerdem soll bei den Literaturverweisen die genau Zeitangabe des Seitenaufrufs beinhaltet sein, so die Forscher abschließend.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Das richtige Zitieren elektronischer Dokumente (Harvard Citation Guide)
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Neue Wege beim wissenschaftlichen Publizieren (11.8.03)
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01.01.2010