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"Empowerment": Hilfe zur Selbsthilfe mit Nebenwirkungen  
  Empowerment steht zur Zeit hoch im Kurs: Als Metapher und Symbol für Hilfe zu Selbsthilfe findet sich der Begriff in der Sozial- und Gesundheitspolitik ebenso wie in der Unternehmensberatung oder einschlägigen UNO-Entwicklungsprogrammen. Das dahinter stehende Konzept "Ermutigen und fördern Sie Ihre Stärken selbst" hat jedoch seine Tücken, wie die Wiener Erziehungswissenschaftlerin Agnieszka Dzierzbicka in einem Gastbeitrag berichtet.  
Catchword mit Widersprüchen
von Agnieszka Dzierzbicka

Empowerment, ein Catchword, das höchst Widersprüchliches vereint? Der deutsche Soziologe Ulrich Bröckling problematisierte Empowerment-Konzepte im Rahmen der Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften, die an diesem Wochenende von der Universität Dortmund veranstaltet wurde.

Titel der Tagung: "Nach Foucault. Diskurs- und machtanalytische Perspektiven in der Pädagogik".
->   Das Tagungsprogramm
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Ulrich Bröckling
Ulrich Bröckling ist Soziologe in Freiburg. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Soziologie und Geschichte der Sozialtechnologien, Kriegs- und Militärsoziologie. Veröffentlichung u.a. "Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen" 2000, "Anthropologie der Arbeit" 2002.

Die vollständige Fassung des Vortrages ist erschienen unter dem Titel "You are not responsible for being down, but you are responsible for getting up. Über Empowerment" in "Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft" (31. Jahrgang-2003, Heft 3).
->   Leviathan (Westdeutscher Verlag)
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Motivierung ist Programm
Empowerment-Konzepte sind durchwegs unterschiedlich und schillernd. Gemeinsam ist Ihnen ein Motivierungsprogramm, das ein Mehr an demokratischem Partizipationsvermögen und politischer Entscheidungsmacht für den Einzelnen verspricht. Zuvor muss allerdings der bedürftige Einzelne erst identifiziert werden.

"Damit die 'Ohnmächtigen' aus ihrer Lethargie erwachen bzw. geweckt werden können, müssen sie als Zielgruppe 'bemächtigender' Programme konstruiert, sozialwissenschaftlich durchleuchtet, pädagogisch angeleitet und psychologisch unterstützt werden", kritisiert Bröckling die Definitionsmacht von Empowerment-Experten.
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Empowerment und Machttheorie
Die machttheoretische Fundierung von Empowermentkonzepten erfasst Macht als eine soziale Ressource, die grundsätzlich allen zugänglich, tatsächlich aber höchst ungleich verteilt ist. Im Vordergrund stehen dabei nicht die Machtverhältnisse selbst, sondern das Gefühl der Ohnmacht, der so genannte "sense of powerlessness".
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Hilf dir selbst zu helfen!
So sieht Empowerment im Bereich der Unternehmensberatung die Ermutigung und Förderung von Mitarbeitern vor. Ungenutzte Stärken und Förderung eigener Potenziale der Selbstgestaltung sind das Ziel und sollen den Weg aus der allgemein proklamierten Stagnationsfalle weisen.

In der sozialen Arbeit wiederum ist das Hauptaugenmerk auf professionelles Handeln gerichtet, das "Ohnmächtigen" die Erfahrung gemeinsamer Handlungsmächtigkeit vermitteln soll. Ziel ist eine schrittweise Aneignung von Kontrolle und Gestaltung eigener Lebenszusammenhänge.
Patentrezept gegen gesellschaftliches Übel
Die hohe Attraktivität des Konzepts steht für Bröckling außer Zweifel: "Empowerment firmiert als Patentrezept gegen gesellschaftliche Übel aller Art."

Darüber hinaus beanspruche es über politische Fraktionierungen und soziale Milieus, über Disziplinargrenzen und fachliche Zuständigkeiten hinweg eine fraglose Plausibilität: "Wer wollte nicht sein Leben besser in den Griff bekommen?", so Bröckling weiter.
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Zum Empowerment-Begriff
Die Wurzeln von Empowerment liegen in den Vereinigten Staaten, wo in den 1970ern auch der Begriff geprägt wurde. Mit Bryant S. Solomons Handbuch "Black Empowerment. Social Work in Oppressed Communities" taucht der Begriff 1976 zum ersten Mal (als Buchtitel) auf. Ein Jahr später erschient Peter L. Bergers und John Neuhasu's Manifest "To Empower People", ein konservativ-kommunitaristisches Plädoyer für die Stärkung von Nachbarschaft, Familie, die den überstrapazierten Wohlfahrtsstaat entlasten sollten.
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Schluss mit Kritik?
"Kann man ernstlich etwas gegen Programme haben, die dazu verhelfen, eigenes Machtpotenzial zu erweitern, statt über Ohnmacht zu klagen?", fragt Bröckling und beantwortet sie sogleich: "zweifellos".

Denn vertrackt an den Empowerment-Konzeptionen sei, dass ausgerechnet jene Instanzen, von denen man sich einst zu emanzipieren hoffte, nun "die Fluchtpunkte emanzipatorischer Anstrengungen auf ihre Fahnen schreiben".

So kann einem Staat, der bürgerschaftliches Engagement fördert und fordert oder einem Unternehmen, das enthusiastische, kreative und eigenverantwortliche Mitarbeiter sucht, kaum etwas entgegen gesetzt werden, solange die dabei geübte Kritik Herrschaft mit Reglementierung und Ausbeutung mit Fremdbestimmung gleichsetzt.
Empowerment auf den Plan gerufen
So liefern Wissensformen, Praktiken und Zielvorstellungen von Empowerment laut Ulrich Bröckling Bausteine dessen, was Michel Foucault die "Gouvernementalität der Gegenwart" genannt hat: Das planmäßige Einwirken auf andere ("to empower people") wie auf sich selbst ("self-empowerment").

Empowerment ist demnach eine Technologie des Regierens, die sich dadurch definiert, dass ihre Interventionen die Fähigkeit zur Selbstregierung steigern sollen. "Autonomie, Freiheit und Eigenverantwortung stellen dabei nicht länger die Antithese von Herrschaft dar, sondern den avanciertesten Modus ihrer Ausübung", pointiert Ulrich Bröckling seine These abschließend.
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Agnieszka Dzierzbicka ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaften an der Universität Wien.
->   Mehr über Agnieszka Dzierzbicka
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01.01.2010