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Nikotin und Cotinin können Merkfähigkeit verbessern  
  Normalerweise sorgt Nikotin nur für negative Schlagzeilen: Die Substanz hat ein äußerst hohes Suchtpotenzial und gilt daher als Hauptursache der Tabakabhängigkeit - mit allen desaströsen Folgen für die Gesundheit. Aktuelle Forschungen ergeben, dass Nikotin unter bestimmten Bedingungen auch positive Effekte haben kann: Etwa bei der Behandlung von Gedächtnisschwäche.  
Wie ebenfalls beim Jahrestreffen der Society for Neuroscience berichtet wurde, könnte insbesondere eine mit dem Niktotin verwandte Substanz in Zukunft zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden. Der ungefährlichere Stoff "Cotinin" wirkte im Tierversuch gedächtnisfördernd und antipsychotisch. Zudem scheint er auch eine Schutzfunktion auf Nervenzellen auszuüben.
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Der Vortrag "The potential role of cotinine in the cognitive and neuroprotective actions of nicotine" von J.J. Buccafusco et al. wurde am 33. Jahrestreffen der Society for Neuroscience in New Orleans präsentiert.
->   The Society for Neuroscience 33rd Annual Meeting
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Cotinin bislang bei Urintests eingesetzt
Bekannt ist die Substanz Cotinin schon lange: Das Alkaloid kommt natürlicher Weise in der Tabakpflanze vor und wurde im medizinischen Bereich daher als Marker für Tabakgenuss bei Urintests verwendet.

In therapeutischer Hinsicht wurde es bisher allerdings nur in Bezug auf die Raucherentwöhnung untersucht.
Gedächtniseffekt irrtümlich nur Nikotin zugeschrieben?
Jerry J. Buccafusco vom Medical College of Georgia begann sich für Cotinin zu interessieren, als er feststellte, dass ein gewisser gedächtnisunterstützender Effekt, der nach Nikotinkonsum auftritt, auch dann noch anhielt, wenn Nikotin schon längst aus dem Körper ausgeschieden wurde.
Cotinin verbessert Merkfähigkeit von Affen
Um seine Hypothese, dass der Nikotin-Metabolit Cotinin dafür verantwortlich sein könnte, zu testen, behandelte er Affen mit dem Wirkstoff (0,1 bis 1 mg/kg Körpergewicht) und unterzog sie einem Gedächtnistest.

Das Ergebnis: Die Substanz steigerte das Merkvermögen nachweislich - und zwar unabhängig vom Alter der Tiere.
Schutzfunktion im Reagenzglas nachgewiesen
Außerdem konnte Buccafusco feststellen, dass der Wirkstoff offensichtlich auch eine Schutzfunktion auf Nervenzellen ausübt. Im In-vitro-Versuch mit neuronenähnlichen Zellen entfernte der Forscher so genannte Wachstumsfaktoren aus der Nährlösung, was normalerweise zum Absterben der Zelle führt.

In Anwesenheit von Cotinin war dies nicht der Fall. Das führt zu der Hoffnung, dass es in Zukunft auch gegen neurodegenerative Krankheiten - wie etwa Alzheimer - eingesetzt werden könnte.
Substanz wirkt bei Ratten antipsychotisch
Schließlich überprüften Buccafusco und sein Team noch das antipsychotische Potenzial der Substanz. Hierbei verwendeten die amerikanischen Forscher das in dieser Hinsicht übliche Standardmodell:

Sie verabreichten Ratten Schizophrenie-auslösende Medikamente und untersuchten, inwieweit Cotiningaben dies rückgängig machen konnten. Das Ergebnis war erstaunlich:

"Unsere Substanz Cotinin war genau so wirksam wie die Standard-Medikamente, die im klinischen Bereich eingesetzt werden", betont Buccafusco. "Dies stellt eine große Hoffnung für Schizophrenie-Patienten dar, da gegenwärtig eingesetzten Medikamente schwere neurologische Nebenwirkungen aufweisen."
Selbst Nikotin kann positive Effekte haben
Ein weiteres Ergebnis, das am Jahrestreffen der Society for Neuroscience präsentiert wurde, betrifft eine Substanz, die sich in ihrer Struktur vom Cotinin lediglich durch ein Sauerstoffatom unterscheidet: das Nikotin.
Gedächtnisstörungen bei Ratten behandelt
Wie Karim Alkadhi von der University of Houston berichtete, konnten auch für die vielgescholtene Substanz einige positive Effekte im Gehirn nachgewiesen werden.

Nikotingaben von 1mg/kg Körpergewicht konnten bei Ratten Gedächtnisstörungen merkbar lindern. Und zwar sowohl bei Stress-induzierten Störungen als auch, wenn diese von einer Schilddrüsenunterfunktion ausgelöst wurden.
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Die Vorträge "Chronic Nicotine Treatment prevents stress-induced short term memory impairment" und "Chronic nicotine treatment reverses hypothyroidism-induced impairment of hippocampus-dependent learning and memory" von Karim Alkadhi et al. wurden am 33. Jahrestreffen der Society for Neuroscience in New Orleans präsentiert.
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Wie bewertet man solche Ergebnisse moralisch?
Neben dem rein akademischen Interesse an der Pharmakologie des Nikotins ist hier vor allem auch der Aspekt der moralischen Bewertung der Versuchsergebnisse interessant, ist doch Nikotin bekanntlich eine sehr problematische Substanz.

Die University of Houston versucht dem offensichtlich humoristisch zu begegnen. In einer Aussendung zu Alkadhis Vorträgen titelt die Presseabteilung der Universität: "An apple a day keeps the doctor away . . . but so may a cigarette".
->   Medical College of Georgia
->   University of Houston
Mehr zum Stichwort Nikotin im science.ORF.at-Archiv:
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01.01.2010