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Hormonersatz: Fachleute bezweifeln britische Studie  
  Eine britische Studie hat Anfang August ein dramatisch erhöhtes Brustkrebsrisiko bei Frauen festgestellt, die mit einer kombinierten Hormonersatztherapie gegen Wechseljahresbeschwerden behandelt wurden. Heimische Fachleute kritisieren nun die Untersuchung.  
Auch Monate nach ihrer Veröffentlichung sorgt die britische "Million Women Study" für Aufmerksamkeit. Als Beobachtungsstudie konzipiert, hatte sie ergeben, dass eine Hormonersatztherapie bei Frauen zu einem deutlich vermehrten Auftreten von Brustkrebs führt.
->   Mehr dazu: Kombinierte Hormontherapie erhöht Brustkrebsrisiko (8.8.03)
Heimische Experten bezweifeln Aussagen
Doch österreichische Fachleute bezweifeln die Aussagen. "Es gibt auf jeden Fall Kritikpunkte, welche die Validität (Wertigkeit, Anm.) dieser Untersuchung betreffen", erklärte der Chef der Grazer Universitäts-Frauenklinik, Wolfgang Urdl, gegenüber der APA.

Vergangene Woche war die britische Studie, am 9. August, im "Lancet" erschienen, Gegenstand einer Sitzung der Österreichischen Gesellschaft für Sterilität, Fertilität und Endokrinologie.
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Vor allem Hormon-Kombinationen laut Studie gefährlich
Die Hauptaussagen der britischen Wissenschaftler: Eine aktuell durchgeführte Hormonersatztherapie lässt bei Frauen das Brustkrebsrisiko um 66 Prozent steigen. Östrogen allein führt zu einer 30-prozentigen Erhöhung der Gefahr, Östrogen-Gestagen-Kombinationen bewirken eine Verdoppelung der Gefährdung. Die künstliche und hormonähnliche Substanz Tibolon führt auch zu einer Steigerung des Mammakarzinom-Risikos um 45 Prozent.
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Diverse Kritikpunkte
Statistische und sachliche Analysen lassen Urdl an den Aussagen zweifeln. Die wichtigsten Punkte:

- Bisher haben alle Studien gezeigt, dass die Sterblichkeit von Frauen unter einer Hormonersatztherapie geringer als ohne eine solche Behandlung ist. Das negative Ergebnis im "Lancet" sei statistisch nur grenzwertig signifikant.

- Urdl: "Nicht plausibel ist, dass die Dosis der Hormone laut der Studie im 'Lancet' offenbar keine Rolle spielt. Das ist einfach nicht verständlich."

- Ebenso nicht plausibel sei, dass Frauen nach der Menopause laut den britischen Wissenschaftlern ein geringeres Brustkrebsrisiko haben sollten als Frauen vor der Menopause. Der Grazer Experte: "Das widerspricht vielen wissenschaftlichen Untersuchungen."

- Eine Überraschung sei auch, dass es bei Verwendung von Tibolon ebenfalls zu mehr Fällen von Brustkrebs gekommen sei. Dies hätte man gerade von dieser Substanz nicht erwartet.

- Auch das Ergebnis, wonach Frauen mit einem geringeren Gewicht gar ein größeres Brustkrebsrisiko als dickere hätten, sei völlig unerwartet. Auf Grund von zahlreichen Untersuchungen sei man bisher vom Gegenteil ausgegangen.
"Hochrechnung der Brustkrebsfälle ist Spekulation"
Urdl: "Schließlich ist die Hochrechnung, wonach es in Großbritannien binnen zehn Jahren zu 20.000 Brustkrebsfällen mehr in Folge der Hormonersatztherapie gekommen sei, eine Spekulation. Adipositas hätte in diesem Zeitraum zu 50.000 zusätzlichen Erkrankungen, Alkoholkonsum zu 60.000 mehr Erkrankungen geführt.
Keine Hormontherapie für symptomlose Frauen
Der Experte: "Eine Hormonersatztherapie nach der Menopause sollte nur bei einer gegebenen Indikation (schwere Wechselbeschwerden, Anm.) erfolgen. Wenn sie aber indiziert ist, gibt es keine zeitliche Begrenzung."

Eine Behandlung bis zu vier Jahren sei wahrscheinlich unbedenklich. Alle sechs bis zwölf Monate sollte die Indikation überprüft werden, so Urdl.

"Symptomlose Frauen sollten keine solche Therapie erhalten." In jedem Fall sollte schließlich individualisiert und mit der niedrigst möglichen Hormondosis behandelt werden. Urdl: "Keinen Platz hat der Hormonersatz für 'Anti-Aging'."
->   Alle Beiträge zum Stichwort Hormonersatztherapie in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010