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HIV-Resistenz als Erbe der Pockenepidemien  
  Etwa zehn Prozent aller Europäer müssen AIDS nicht fürchten - sie sind dank einer Genmutation schlicht resistent gegen eine Infektion. Bislang hat man diesen Schutz als Überbleibsel der großen Pestepidemien angesehen, die Europa vor allem im Mittelalter heimsuchten. Zwei US-Forscher meinen nun, dass der "Schwarze Tod" zwar tödlich, aber nicht lange genug gewütet hat. Ihre Alternative: die Pocken, die zwar weniger gefährlich waren, dafür aber kontinuierlicher für Erkrankungen sorgten.  
Die HIV-Resistenzen innerhalb der europäischen Bevölkerung sind auf eine Mutation des CCR5-Gens zurück zu führen.

Ob nun die Pest oder doch die Pocken diese Variante "erzeugt" haben, untersuchten Alison Galvani und Montgomery Slatkin von der University of California in Berkeley.
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Der Artikel "Do we owe HIV resistance to smallpox"? von Alison P. Galvani und Montgomery Slatkin erscheint diese Woche als Online-Vorabpublikation in den PNAS (doi:10.1073/pnas.2435085100).
->   PNAS
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HIV-Resistent: Schlüsselprotein fehlt
Die Immunschwächekrankheit AIDS ist derzeit nicht heilbar, einige Menschen sind allerdings dank ihres Erbguts gegen eine Infektion mit dem HI-Virus gefeit. Den Zellen ihres Immunsystems fehlt ein bestimmtes Protein, das der Erreger braucht, um an die Zellen anzudocken und einzudringen.
Relativ neuer Bestandteil des Genpools
Die überwiegende Zahl der Menschen mit jener schützenden CCR5-Variante im Erbgut stammen aus Europa - rund zehn Prozent der Bevölkerung sind Studien zufolge Träger der Mutation.

In Afrika, Asien, dem Mittleren Osten und der indianischen Bevölkerung Amerikas fehlt sie dagegen fast völlig. Die Mutation gilt daher als "relativ neue" Hinzufügung zum Genpool. Sie soll etwa 700 Jahre alt sein - und entstand sehr wahrscheinlich in Europa.
Was begünstigte die Ausbreitung der Mutation?
Um sich so stark zu verbreiten, muss eine Mutation wie die CCR5-Variante ihrem jeweiligen Träger einen besonderen Vorteil verschafft haben, etwa was die Überlebenschancen angesichts einer spezifischen Erkrankung angeht. AIDS scheidet hier aus, da die Immunschwäche erst Mitte der 1980er Jahre auftrat.

Die Wissenschaft blickte also in die Vergangenheit - und wurde schnell fündig: Die Pest sollte verantwortlich sein.
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Millionen Pesttote in Europa
Auf den ersten Blick scheinen die Fakten tatsächlich zu passen: Der Erreger des gefürchteten "Schwarzen Todes", das Bakterium Yersinia pestis hat im 14. Jahrhundert in Europa Millionen von Menschen getötet. Schätzungen zufolge starben zwischen 1346 und 1352 25 bis 40 Prozent der damaligen Bevölkerung Europas. Alleine im Sommer 1349 zählte man in Wien rund 40.000 Opfer. Der immense Vorteil für Träger einer schützdenden Genvariante liegt also auf der Hand.
->   Mehr zur Geschichte der Pest in Europa (welt-jahrtausend.de)
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Genaue Analyse: Die Zahlen passen nicht
Diese Hypothese habe weitreichende Akzeptanz gefunden, schreiben die Forscher in den PNAS. Man habe gar das Pest-Bakterium als möglichen Bestandteil einer HIV-Impfung vorgeschlagen. Doch spezifische Berechnungen fehlen nach Angaben von Galvani und Slatkin.

Die beiden Wissenschaftler wollten es also genau wissen - und fütterten ihren Computer mit Daten, Zahlen und Fakten rund um die großen Pestepidemien. Die Ergebnisse ihrer Analyse stimmten allerdings nicht mit der heutigen Häufigkeit und Verteilung der CCR5-Variante überein.

Der Selektionsdruck durch die Pest war - obwohl diese extrem viele Opfer forderte - nicht groß bzw. dauerhaft genug, so das Ergebnis.
Neue Berechnung mit Pocken als Ursache
Ganz anders sah die Sache aus, als sie die Analyse erneut durchführten - diesmal allerdings statt der Pest mit den Pocken als möglichem Selektionsvorteil für Träger jener Genmutation:

Denn zum einen sind die Blattern, wie die Krankheit auch genannt wurde, sehr viel älter als die Pest. Und ihre Wirkung war zwar weniger tödlich - doch die Selektion sei kontinuierlicher gewesen, heißt es in der Studie.

Zudem starben an der Pest zwar während der Epidemien mehr Menschen, insgesamt aber habe der Pockenvirus über die vergangenen 700 Jahre mehr Opfer gefordert. Für die Forscher war die Krankheit damit der viel wahrscheinlichere Kandidat in puncto "Resistenz-Erbe".
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Pocken: Jahrtausende alte Infektionskrankheit
Pocken gelten als eine Jahrtausende alte Erkrankung, durch die typischen Pusteln hervorgerufene Narben fanden sich etwa bei ägyptischen Mumien. In China und Indien war die Infektion schon um 1.000 vor Christus bekannt. Die erste historisch belegte Epidemie suchte Europa im 6. Jahrhundert heim. Vor allem im 18. Jahrhundert war die Krankheit weit verbreitet.
->   Mehr zu der Infektionserkrankung (www.medicine-worldwide.de)
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Die Pocken-Ergebnisse passen
Die Ergebnisse der Untersuchung gaben dem Forscherteam letztlich recht: Ihr mathematisches Modell ergab, dass die Selektion durch die Pocken sehr wohl zu den heute durch die Mutation geschützten zehn Prozent geführt haben könnten.
Gemeinsamer biologischer Schutzmechanismus
Zudem spricht auch ein weiterer Faktor dafür, meinen die beiden Wissenschaftler: Im Gegensatz zum "Schwarzen Tod", der durch ein Bakterium verursacht wird, ist ein Virus Auslöser der Pocken.

Damit scheint eine Verbindung zu HIV wahrscheinlicher - ein gemeinsamer biologischer Mechanismus, durch den die CCR5-Mutation Infektionen verhindert.
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Proteingruppe als Ursache für AIDS-Immunität? (26.9.02)
->   Erbgut schützt vor HIV - begünstigt aber Hepatitis (17.7.02)
 
 
 
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01.01.2010