News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Die Öl-Industrie in der Habsburger-Monarchie  
  War es ein gelobtes Land oder war es die Hölle? Jedenfalls war Galizien der Schauplatz einer regelrechten Öl-Industrie in der Habsburger-Monarchie. Die Historikerin Alison Frank, derzeit am IFK in Wien, stellt in einem Gastbeitrag dieses beinahe vergessene Kapitel der Geschichte der Habsburger-Monarchie vor.  
Eine fast vergessene Geschichte

von Alison Frank

Forschung über die Öl-Industrie tendiert dazu, sich - nach Daniel Yergin - auf die "epische Jagd nach Öl, Geld und Macht" zu konzentrieren. Sie hat ihre Aufmerksamkeit vor allem auf Regionen mit Öl-Produktion gerichtet und konzentriert, die im 20. Jahrhundert für den internationalen Handel und für die Politik bedeutend blieben.

Die Öl-Industrie der Donau-Monarchie war am Beginn des 20. Jahrhunderts die drittgrößte der Welt; sie ist jedoch nur noch in Archiven und historischen Dokumenten erhalten.
...
Vortrag zu diesem Thema am IFK
Alison Frank hält zu diesem Thema am 20. November 2003 um 13 Uhr am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften (Reichsratsstraße 17, 1010 Wien) einen Vortrag in englischer Sprache.
->   IFK
...
Galizien: Arm aber ölreich
Bohrtürme, Raffinerien, Tanks, Pipelines haben in unserer Vorstellung der Landschaft von Galizien keinen Platz; Galizien war zwar die größte Provinz des österreichischen Kaiserreichs, aber auch eine seiner ärmsten.

Heutzutage markieren Schlagworte wie "galizische Hölle" und "galizisches Sodom" die Beschreibungen von Mangelernährung, Analphabetismus und der Eintönigkeit des Lebens auf dem Land, doch im Diskurs um 1900 waren Begriffe wie "Österreichs Baku", "das osteuropäische Pennsylvanien", "Galizisches Kalifornien" sehr viel präsenter.
Internationale Dimension der Öl-Industrie
Solche Schlagworte vergleichen Galizien mit anderen Regionen, die ebenso von der Begeisterung über den plötzlichen Boom und den rasenden Fortschritt geprägt waren; sie weisen auch auf die internationale Dimension, die typisch ist für die Öl-Industrie - auch in ihren entlegensten Schauplätzen.

Während eine Analyse der Öl-Industrie unserem Bild vom agrarischen Galizien Tiefe gibt, so verleiht ein tieferes Verständnis von Galizien unserem Bild vom österreichischen Kaiserreich mehr Breite - gerade auch im Hinblick auf die finanziellen, intellektuellen und persönlichen Beziehungen, die die verschiedenen Regionen Zentraleuropas verbanden.
Eine Geschichte des Scheiterns
Als die internationale Nachfrage nach Öl in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg geradezu explodierte, implodierte die Produktion im galizischen Öl-Becken - das damals schon ein Teil der Zweiten Polnischen Republik war.

Die Geschichte der österreichischen Öl-Industrie ist also keine Geschichte von Erfolg, von ungehindertem Fortschritt und von der Anhäufung unermesslicher Reichtümer. Sie ist vielmehr die Geschichte eines Scheiterns, die noch nicht das ihr gebührende Maß an Aufmerksamkeit gefunden hat.
Internationale Hoffnungen in Öl-Industrie
Über 70 Jahre lang beeinflusste die Öl-Industrie das kulturelle, soziale und physische Umfeld von Arbeitern (und ganz wenigen Arbeiterinnen), Bauern und Adel in Galizien, von Ingenieuren, Bürokraten und Gesetzgebern in Wien - und von Kunden und Investoren in ganz Europa.

Polnische, ukrainische und deutschsprachige Österreicher, belgische, französische und britische Investoren und sogar der kanadische Gelegenheitsbohrer setzten ihre Hoffnung und ihr Vermögen auf galizisches Öl.
...
Ö1-Programmhinweis: Österreich-Ungarn - ein Kolonialreich?
Die Ö1-Dimensionen widmen sich am Mittwoch, 19. November 2003, 19:05 Uhr, der Frage "Österreich-Ungarn - ein Kolonialreich?".
->   Mehr dazu in oe1.ORF.at
...
Bewegte Geschichte der Bewegung
Die Transportmittel für diese transregionale Kommunikation waren Pipelines, Flüsse, Eisenbahn-Linien; die Einrichtungen reichten von Erziehungsanstalten und Handelsjournalen zu regionalen Messen und internationalen Ausstellungen. In vielerlei Hinsicht ist die Geschichte der galizischen Öl-Industrie eine Geschichte der Bewegung: Das Öl fuhr nach 30 Millionen Jahren aus seiner Eozän-Schicht an die Erdoberfläche; Männer und Frauen legten weitere Strecken zurück - wenn auch mit weniger Aufwand.

Die Wege waren nicht nur international, sondern wurden auch von lokalen Migranten genutzt: Arbeiter und Kleinbauern verdingten sich in der Öl-Industrie, wenn sie Geld brauchten und es die bäuerliche Saison zuließ.
Gesellschaftliche Auswirkungen
Eine Auseinandersetzung mit der galizischen Öl-Industrie zeigt auch, in welcher Beziehung geographische Hindernisse menschlicher Aktivität mit der Fähigkeit der Gesellschaft standen, eine Naturlandschaft zu verändern: Im Boom wurden Städte gegründet zur Unterstützung der Öl-Industrie, Gesetze zu ihrer Regulierung erlassen, Geld investiert, um von ihr zu profitieren, das Land verändert, um es ihr anzupassen.

Dabei sind die verschiedenen Arten und Weisen in Betracht zu ziehen, in denen die Entdeckung dieser neuen Energiequelle - wenn auch nur kurz - die physische und soziale Landschaft einer Region veränderte.

Eine Umweltgeschichte im weitesten Sinn fragt nach dem sozialen Gewebe der Region, nach der zeitgenössischen Auffassung von seinem Wert oder Unwert für die Donau-Monarchie im ganzen, nach der Weise, wie die Öl-Industrie die materiellen Lebensbedingungen derer veränderte, die das ölhaltige Land bewohnten, und nach der kulturellen Konstruktion einer lokalen Identität.
...
Über die Autorin
Alison Frank, Professorin für Geschichte an der Universität Wisconsin-Madison, arbeitet derzeit als Fulbright/IFK_Visiting Fellow in Wien.
->   Universität Wisconsin-Madison
...
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010