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Blumen locken Käfer mit "Blüten-Sauna"  
  Dass Bienen wegen des Pollens von Blüte zu Blüte fliegen - und damit auch für die Bestäubung der Pflanze sorgen, lernt man bereits in der Schule. Neuere Untersuchungen zeigen, dass Pflanzen auch ganz andere Geschenke für ihre Bestäuber anbieten. Ein tropisches Aronstabgewächs etwa lockt einen offensichtlich kälteempfindlichen Käfer mit einem wohlig warmen Kämmerchen in seine Blüte.  
Wie Roger S. Seymour und seine Kollegen von der University of Adelaide berichten, haben die Pflanze und das Insekt offenbar den evolutionären Tauschhandel "Bestäubung gegen Wärmeenergie" abgeschlossen.
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Der Artikel "Heat reward for insect pollinators" von Roger S. Seymour, Craig R. White und Marc Gibernau erschien im Fachblatt "Nature" (Band 426, S.243-4, Ausgabe vom 20.11.03).
->   "Nature"
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Wie Pflanzen ihre Bestäuber animieren
Um die Fortpflanzung der Organismen zu optimieren, lässt sich die Natur mitunter recht überraschende Tricks einfallen. Bekannt ist beispielsweise, dass sich viele Pflanzen bei ihrer Bestäubung auf tierische Helfer verlassen und so die sexuelle Reproduktion sichern.

Freilich gibt es in der Evolution selten etwas umsonst, und so haben die Blütenpflanzen einige Attraktionen entwickelt, um ihrer Einladung zur Bestäubung etwas Nachdruck zu verleihen.
Grelle Werbung ...
In diesem Sinn sind also alle bunten Blüten, die zufälligerweise auch den ästhetischen Sinn des Menschen ansprechen, eigentlich große Reklametafeln, die sich an potenzielle Bestäuber richten.

Werbung alleine ist allerdings nicht genug, es muss auch etwas geboten werden, damit die Insekten, Vögel oder Fledermäuse genau das tun, was den Pflanzen nützt.
... und wertvolle Geschenke
Damit der Bestäuber also auch die Pollen genau dorthin bringt, wo sie sein sollen (nämlich auf die Fruchtblätter), bedarf es des einen oder anderen Geschenks.

Klassischerweise produziert die Pflanze einfach Pollen im Übermaß, sodass sich der gebetene Gast an dieser eiweißreichen Mahlzeit gütlich tun kann und - gewissermaßen als Nebeneffekt - auch gleich die Bestäubung vollzieht.
->   Mehr zu Bestäubung und Symbiose in www.uni-vechta.de
... sowie der nicht ganz so wertvolle Nektar
Nun gehören eiweißreiche Substanzen nicht gerade zu den Dingen, die es in der Natur im Sonderangebot gibt. Ganz im Gegenteil - gerade Pflanzen haben oft mit einem Mangel an verfügbarem Stickstoff zu kämpfen. Und Eiweiße sind wiederum sehr stickstoffreiche Verbindungen.

Was liegt also näher, als das teure Geschenk gegen ein relativ billiges Substitut einzutauschen? Und tatsächlich haben das viele Blütenpflanzen getan: Sie bieten stattdessen den zuckerreichen Nektar an.
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Sonderanpassung durch Koevolution
Dass in diesem evolutionären Spiel von Angebot und Nachfrage auch wechselseitige Anpassungen entstehen mussten, versteht sich fast von selbst. Ein Klassiker unter diesen Spezialbildungen ist etwa der Saugrüssel der Schmetterlinge: Im Prinzip handelt es sich dabei um einen einrollbaren Strohhalm, der für lange und schmale Nektarreservoirs ausgebildet wurde.
->   Mehr zu Koevolution und Bestäubung (University of Cincinnati)
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Pollen, Nektar und Öl: Ende der Liste?
In seltenen Fällen bieten Pflanzen auch Öl als Nahrung oder Markierungssubstanz an. Damit scheint allerdings die Liste der Pflanzengeschenke auch schon erschöpft.

Wie Roger S. Seymour und seine Kollegen von der University of Adelaide nun jedoch berichten, muss die Liste um ein Element erweitert werden: Sie untersuchten die Wechselbeziehung, die sich zwischen zwei tropischen Vertretern der Blatthornkäfer bzw. der Aronstabgewächse entwickelt hat.
Pflanze besitzt Temperaturzentrum
Konkret war von der Pflanze Philodendron solimoesense schon seit längerem bekannt, dass sie ein wärmebildendes Zentrum besitzt.

Dessen Funktion wurde bisher dahingehend begründet, dass die höhere Temperatur zur Verbreitung von Lockstoffen eingesetzt werde. Wie die australischen Forscher in ihrem Artikel ausführen, sei diese Erklärung zwar durchaus richtig, aber keineswegs erschöpfend.
Käfer profitiert vom Wärmeplus
Sie fanden heraus, dass der Käfer Cyclocephala colasi von der Wärmeproduktion der Pflanze direkt profitiert. Das mag auf den ersten Blick überraschend klingen, denn der natürliche Lebensraum von Tier und Pflanze liegt auf Französisch Guiana. Ein Land, das nicht gerade für herbe Witterung bekannt ist.
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Der Grund: Kleine Tiere strahlen viel Wärme ab
Dass die 3,4 bis fünf Grad Celsius, welche die Pflanze als Temperaturplus anzubieten hat, trotzdem sehr wichtig sein können, begründen die Forscher mit der geringen Körpergröße des Insekts. Denn je kleiner ein Lebewesen ist, desto größer wird dessen relativer Energieverlust durch Wärmeabstrahlung:

Dass diese Regel über einige Größenordnungen stimmt, kann man etwa an den pleistozänen Riesenformen ersehen, die sich während der letzten Eiszeit entwickelt haben.
->   Mehr dazu: Warum kleine Tiere nicht so alt werden wie große (23.4.03)
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Energie-Einsparung um Faktor 4,8
Jedenfalls gab den australischen Biologen auch das Experiment recht: Sie konnten zeigen, dass Cyclocephala colasi 2,4 bis 4,8 mal mehr Energie verbrauchte, wenn er die selben Aktivitäten außerhalb statt innerhalb der Pflanze setzte.

Wie die Autoren in ihrem Artikel betonen, kenne man etwa 900 Pflanzenarten in sechs verschiedenen Familien, in denen diese Thermogenese - so der Fachbegriff - vorkomme. Daher sei der Handel "Wärme gegen Bestäubung" vermutlich ein wichtiger Faktor in der Koevolution von Pflanzen und ihren Bestäubern.
->   University of Adelaide
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
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->   Mehr rund um die Bestäubung im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010