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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Keine Gesichts-Transplantationen - bis auf weiteres  
  Vor knapp einem Jahr kündigten britische Chirurgen an, bis Ende 2003 die erste komplette Gesichts-Transplantation durchführen zu wollen. Nun haben sie von ihrem Vorhaben abgelassen: die Zeit dafür sei noch nicht reif.  
Zwar existiere das nötige Wissen und die nötigen Techniken, um eine derartige Operation durchzuführen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre es aber "nicht weise" sie durchzuführen, schreiben die Fachleute des Royal College of Surgeons in einem Arbeitspapier.
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Das Arbeitspapier wurde unter dem Titel "Facial Transplantation" vom britischen Royal College of Surgeons am 19. November 2003 veröffentlicht.
->   Das Arbeitspapier (pdf-Datei)
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Medizinische und psychologische Bedenken
Peter Morris, der Präsident der britischen Chirurgen-Vereinigung, verwies in einer Aussendung auf zwei Aspekte, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt gegen die Transplantation kompletter Gesichter bei - durch Krankheit, Verbrennungen oder andere Unfälle besonders stark entstellten - Betroffenen sprechen.

Erstens die psychologischen Konsequenzen für den Gesichts-Empfänger wie für die Familie des Gesichts-Spenders. Zweitens die Langzeit-Risiken für die Patienten, die durch die lebenslange Einnahme von - die Immunreaktion unterdrückenden - Medikamenten entstehen.
->   Mehr über die Technik der Transplantation: Von der Utopie zur Realität? (27.11.02)
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Öffentliche Debatte im Science Museum London
Parallel zu der Veröffentlichung des Working Paper findet im neu errichten "Dana Centre" in Londons Science Museum eine öffentliche Debatte zu dem Thema statt, an der man sowohl vor Ort als auch online teilnehmen kann.
->   Dana Centre
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Hollywood-Film prägt Vorstellungen ...
Wenn man von Gesichtstransplantationen spricht, kommt man kaum am Film des amerikanischen Regisseurs John Woo "Face Off" aus dem Jahr 1997 vorbei. Dabei wurde gezeigt, wie die kompletten Gesichter von zwei Personen "ausgetauscht" wurden. Diese Bilder sind mit dem Prädikat "bloß Hollywood" nicht zu begegnen, sondern prägen die gesellschaftlichen Vorstellungen zutiefst.
... falsch: Empfänger sehen nicht aus wie Spender
Und führen zu falschen Vorstellungen, wie John Barker, ein weiterer plastischer Chirurg des Treffens in London, beklagt. So würden die ersten Gesichts-Empfänger nicht notwendigerweise wie ihre Spender aussehen, meinte er gegenüber der BBC.

Studien mit menschlichen Leichen hätten gezeigt, dass die Transplantation von Haut und darunterliegendem Gewebe von einer Person auf die Knochenstruktur einer anderen Person zu einem völlig unterschiedlichen Aussehen führt.
Einmal ausprobieren!
Zwar räumt auch er etwaige psychologische Probleme ein, in pragmatischer Weise lassen sich diese Frage aber nur auf eine Art beantworten - indem die Operation einmal von Menschen ausprobiert wird. Der Nutzen für Menschen mit entstelltem Gesicht würde die Risiken jedenfalls überwiegen, meint Barker.

Während sich die britischen Chirurgen nun aber von den Transplantationsideen vorläufig verabschiedet haben, warten laut BBC Ärzteteams aus Frankreich und den USA unterdessen die Erlaubnis ihrer Behörden ab, um die Operationen durchzuführen.
Das Gesicht - ein Hinweis auf den "ganzen Menschen"
Dass die Frage "nach dem eigenen Gesicht" keine bloß medizinische oder psychologische ist, darauf verweist die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) in einem Artikel vom Mittwoch. Darin geht Alex Rühle der "metonymischen Kraft" des Gesichtes nach, also seinem übertragenen Gebrauch in der Sprache.

Und dabei sei der "ganze Mensch" betroffen und nicht bloß die "envelope" - also die Hülle oder den Umschlag -, wie das die britischen Chirurgen in ihrem Arbeitspapier bezeichnen.

Das Gesicht, so zitiert Rühle den französischen Philosophen Emanuel Levinas, sei "Bedeutung ohne Kontext" sowie "Sinn an sich, das, was sich nicht auf die Merkmale dieses Gesichts und dieser Person reduzieren lässt".

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Alex Rühle: Punkt, Punkt, Komma, Stich (SZ, 19.11.03)
->   The Royal College of Surgeons
 
 
 
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01.01.2010