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Molekularer Klettverschluss macht Holz formbar  
  Holz ist ein wahrer Wunderstoff: Es ist nämlich nicht nur besonders stabil, sondern kann - ähnlich wie Metall - auch ohne Beschädigungen gedehnt werden. Warum das so ist, haben nun österreichische Forscher gemeinsam mit deutschen und französischen Kollegen herausgefunden. Eine Art molekularer Klettverschluss verleiht dem Naturprodukt seine außergewöhnlichen Eigenschaften.  
Wie ein Team um Jozef Keckes von der Montanuniversität Leoben und Ingo Burgert von der BOKU Wien in einer aktuellen Publikation berichten, beruht die plastische Verformbarkeit auf der Reaktion von Holzzellen, die sich unter Krafteinwirkung ähnlich wie Spiralfedern verhalten.
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Die Studie "Cell-wall recovery after irreversible deformation of wood" von Jozef Keckes, Ingo Burgert et al. wurde am 16.11.03 online bei "Nature Materials" veröffentlicht (doi:10.1038/nmat1019).
->   "Nature Materials"
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Holz als evolutionärer Kompromiss
Bäume haben ihre innere Struktur und äußere Gestalt über Jahrmillionen an die Umweltbedingungen angepasst. Ihr Holz muss zwei Anforderungen gleichzeitig erfüllen:

Mechanische Stabilität und effizienter Wassertransport. Nur wenn beides in einem optimalen Kompromiss gewährleistet ist, können Bäume bis zu 120 Meter hoch in den Himmel wachsen.
Verbundstoff im Nanobereich
Mikroskopisch betrachtet ist Holz ein komplex aufgebautes Material, ein Verbundstoff ("Nanokomposit"), der komplett aus Polymeren besteht und dennoch bemerkenswert fest ist.

Holz kann sich nicht nur die äußere Form eines Stamms oder Asts, sondern auch seine molekulare Struktur an die natürlichen Anforderungen anpassen.

Es besteht im Wesentlichen aus parallelen Röhren, den Holzzellen. Deren Zellwände sind wiederum aus Zellulosefibrillen sowie einer Matrix aus Hemizellulose und Lignin aufgebaut.
->   Mehr zum Holzaufbau (proholz.at)
Wodurch sind Materialeigenschaften bestimmt?
Die nur wenige Nanometer dicken Zellulosefibrillen sind wiederum spiralförmig um den zylindrischen Hohlraum der Holzzelle gewickelt.

Bisher war wenig darüber bekannt, ob die Steifigkeit und Dehnbarkeit des Holzes eher durch diese Fibrillen in der Zellwand oder durch Interaktionen zwischen den Holzzellen selbst beeinflusst wird.
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Analyse mit Synchrotronstrahlung
Um hinter die molekularen Details der Verformungen innerhalb der Zellwand zu kommen, haben die Wissenschaftler unterschiedliche Holzproben an der Europäischen Synchrotronstrahlungsquelle in Grenoble mit Röntgenstrahlung untersucht. Dazu hatten der Physiker Jozef Keckes und der Holzbiologe Ingo Burgert gemeinsam mit ihrem Team dünne Holzfolien bzw. einzelne -zellen präpariert.
->   European Synchrotron Radiation Facility
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Holzellen reagieren wir Spiralfedern
Bild: Max-Planck-Institut f¿r Kolloid- und Grenzfl¿chenforschung
Die Holzzellen mit einem Durchmesser von 25 Mikrometern - also deutlich dünner als ein menschliches Haar - wurden dann gedehnt und mit der Streuung von Synchrotronstrahlung analysiert.

Die Forscher stellten fest, dass Holzzellen ähnlich wie Spiralfedern reagieren, denn auch im Holz wurde der Winkel der Spiralen mit zunehmender Dehnung immer steiler. Damit war klar, dass der Verformungsmechanismus nicht durch Zell-Zell-Interaktionen, sondern innerhalb der Zellwand vermittelt wird.

Bild rechts: Einzelne Holzfaser in polarisiertem Licht und schematische Darstellung des "Klettverschlusses" in der Zellwand von Holzzellen.
Plastizität bisher nur von Metallen bekannt
Die Wissenschaftler konnten genau klären, wieso Holz stark verformt werden kann, ohne dass es beschädigt wird. Diese Eigenschaft kennt man eigentlich nur von Metallen:

Diese kann man walzen oder schmieden und sie sind danach genauso steif wie zuvor. Doch die Metalle haben dafür einen speziellen Mechanismus, bei dem so genannte Versetzungen durch das Kristallgitter gleiten, ohne das Metallgitter zu schädigen. Etwas Vergleichbares aber war bisher für Polymer-Verbund-Materialien nicht bekannt.
Molekularer Klettverschluss
Die neuen Untersuchungen zeigen jetzt, dass sich die Matrix, welche die Nanofasern aus Zellulose verbindet, ähnlich wie ein Klettverschluss öffnen und dann in einer neuen Position wieder einrasten kann. Welche molekularen Bindungen bei diesem Öffnen und Schließen tatsächlich beteiligt sind, ist noch nicht klar.
Chemische Bindungen lösen und schließen sich

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich bei der Verformung eine größere Zahl unspezifischer chemischer Bindungen vorübergehend löst.

Sobald der äußere Stress aufhört, gleiten die Nanofibrillen nicht zurück, sondern rasten gewissermaßen an einer anderen Stelle wieder ein, indem sich dort die zuvor geöffneten chemischen Bindungen wieder schließen. Das ist der tiefere Grund, warum sich Holz zerstörungsfrei verformen lässt.
->   Montanuniversität Leoben
->   BOKU Wien
->   MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung
->   www.innovatives-oesterreich.at
->   Alles zum Stichwort Holz im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010