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Sensationelle Herz-"Reparatur"  
  Einem Wiener Chirurgen ist eine medizinische Sensation gelungen: Im Tierversuch gelang es ihm, die Pumpleistung von Herzen nach einem Infarkt zu verbessern: durch die Verabreichung von menschlichen Stammzellen in das Blut der Tiere.  
Die Forschungsergebnisse des Wiener Herzchirurgen Alfred Kocher von der Abteilung für Herz- und Thoraxchirurgie der Wiener Universitätskliniken am AKH machen im Augenblick weltweit Schlagzeilen. Erschienen sind sie in der April-Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature Medicine".
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Entdeckung ist ein "US-Hit"
In den USA gilt die wissenschaftliche Arbeit des Wiener Arztes derzeit als "Hit". Mehrere Fernsehstationen berichteten darüber, auch die "New York Times" und das "Wall Street Journal". Die Studie wird allerdings allgemein als US-Entdeckung vermarktet. Der Haken: Der Wiener Arzt hat die wissenschaftlichen Studien während eines zweijährigen Studienaufenthalts an der Columbia-University zwischen 1998 und dem vergangenen Jahr in New York durchgeführt.
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Stammzellen-Therapie fürs Herz
Dem Ärzteteam um Alfred Kocher gelang es im Tierversuch, Herzschäden nach einem Infarkt zu einem großen Teil zu reparieren: "Wir haben eine bestimmte Art von Stammzellen im menschlichen Blut identifiziert, die man für die Behandlung von Schäden am Herzen nach einem Infarkt einsetzen kann", so Kocher. Es handelt sich um die so genannten Angioblasten.
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Details der Forschungsarbeit
In schier endlosen Versuchsreihen fand Kocher unter den Stammzellen, die sich im Knochenmark bzw. in extrem geringen Mengen auch im Blutstrom des Menschen befinden, eine "Unter-Population", die sich für "Reparaturmaßnahmen" am Herzen
eignet: die so genannten Angioblasten. Diese Zellen, so der Mediziner, seien Vorläufer für Zellen, die für die Neubildung von Blutgefäßen benötigt werden. Die Wissenschaftler identifizierten diese Zellen zunächst einmal über den Oberflächenbestandteil CD34. Dann sortierten sie die Zellen noch zusätzlich auf das Vorhandensein des Oberflächenbestandteils CD117 "bright". Im Endeffekt fanden sich in den hoch gereinigten Proben 95 Prozent der begehrten Angioblasten. "Wir mobilisierten bei Menschen zunächst einmal durch die Gabe von G-CSF (Granulozyten-Kolonie-Stimulierender Faktor) die Stammzellen aus dem Knochenmark. Dann gewannen wir die Angioblasten aus dem Blutstrom", erklärt der Mediziner.
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Leistung des Herzens verbessert
Zweitens habe man gezeigt, dass mit diesen Zellen durch bloße systemische Injektion (einfache Injektion in den Blutstrom) die Leistung eines geschädigten Herzens wieder verbessert werden könne. "Das ist bisher mit keiner medizinischen Therapie
möglich", erklärt der Mediziner.
Beschränkte Behandlungsmöglichkeiten nach Infarkt
Der Hintergrund der Studie: Noch immer stehen der Medizin nur beschränkte Behandlungsmöglichkeiten nach einem Herzinfarkt zur Verfügung: Der dabei auftretende Schaden in der Durchblutung des Herzens führt zum Absterben eines Teils des Muskels.

Zwar überleben immer mehr Infarktpatienten Dank der modernen Behandlungsmöglichkeiten. Doch der Muskelschaden wird mit der Zeit durch eine Art "Remodelling" größer. Herzinsuffizienz (Herzschwäche) entwickelt sich. Medikamente und selbst ein Bypass können das nur bremsen, niemals rückgängig machen.
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Herz-Bypass
Bypass
So wird eine chirurgische Technik zur Umgehung eines bestimmten Abschnitts von Blutgefäßen (Kreislaufbahnen) oder von Teilen des Verdauungskanals (Dünndarm-, Magenbypass) bezeichnet. In der Gefäßchirurgie dienen Bypassoperationen dazu, die Blutversorgung der betroffenen Organe oder Körperteile zu verbessern bzw. aufrechtzuerhalten. In der Koronarchirurgie hat sich der aortokoronare Bypass zwischen der Aorta und den betroffenen Kranzgefäßen besonders bewährt. Als Gefäßprothese kann ein körpereigenes Stück Vene aus dem Unterschenkel oder eine der inneren Brustwandarterien dienen.
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Test im Tierversuch
Kocher gewann seine Studienergebnisse durch Versuche an Ratten: die von Menschen stammenden Angioblasten wurden als Stammzell-Therapeutikum bei Tieren ohne eigenes Immunsystem eingesetzt.
Herzleistung im Tierversuch gesenkt
Bei den Versuchstieren wurde ein massiver Infarkt samt Herzmuskelschaden verursacht: Das Wissenschaftler-Team blockierte den Blutstrom in einer der Herzkranzarterien. Damit sei die Auswurfleistung (Pumpleistung) des Herzens von 68 Prozent auf 30 bis 45 Prozent gesunken.
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Auswurfleistung
Unter Auswurfleistung wird jener Anteil des Blutes bezeichnet, der mit einem "Schlag" aus dem Organ gepumpt wird.
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Reparatur erfolgreich
Zwei Tage nach dem künstlich verursachten Infarkt erhielten die Ratten dann die menschlichen "Angioblasten". Laut Studie wanderten diese als "Reparaturmaterial" in das Herz der Tiere ein.

In regelmäßigen Untersuchungen über Monate hinweg - für Ratten Jahre - wurde der Effekt gemessen. "Wir konnten die Auswurfleistung des Herzens der Tiere um rund 35 Prozent verbessern. Die Wirkung hielt monatelang an", erklärt Kocher.
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Erfolgs-Details
Die offenbaren Gründe für den Erfolg: Einerseits bildeten sich in dem nach dem Infarkt abgestorbenen Teil des Herzens der Tiere neue Blutgefäße (Vaskulogenese), andererseits sprossen aus der noch gesunden Umgebung Blutgefäße in das Infarktareal ein (Angiogenese). Kocher: "Normalerweise werden die Zellen in der Umgebung eines Infarktareals hypertroph (d.i. größer) und sterben schließlich ab. Bei den Versuchstieren gewährleisteten die neuen Blutgefäße das Überleben dieser Zellen. Der Infarktschaden wurde nicht noch größer."
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Erfolg lässt Mediziner hoffen
Der Erfolg im Tierversuch lässt die Wiener Wissenschafter an die Erprobung der Methode an Patienten denken. Sie wollen dieses Projekt möglichst schnell vorantreiben.

Für Herz-Patienten sind vor allem zwei Zukunftsaspekte von Interesse: Beispielsweise könnten Patienten mit einem Infarktrisiko vorsorglich ein Depot an eigenen "Angioblasten" anlegen lassen, um im Bedarfsfall die rettenden Zellen verfügbar zu haben.

Zweitens wollen die Wiener Wissenschaftler klären, ob die Methode auch bei Patienten mit chronischer Herzschwäche einen positiven Effekt hat.

Die Stammzellen aus dem Blut haben jedenfalls nichts mit den ethisch manchmal umstrittenen embryonalen Stammzellen zu tun. Das dürfte auch die weitere Entwicklung der Methode erleichtern.

(APA/red)
->   Nature Medicine
 
 
 
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01.01.2010