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Frank Rattay
Gesellschaft für Biomedical Engineering,
Technische Universität Wien
 
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Atomwaffen: Zerstörung mit Neutrinostrahl möglich  
  In einer aktuellen Publikation vertreten drei japanische Physiker die Aufsehen erregende These, dass man mit dem Ausbau unserer heutigen Technologie in Zukunft Nuklearbomben aufspüren könnte. Doch dem nicht genug: Nach Ansicht der Forscher könnte man sie zudem mit einem energiereichen Neutrinostrahl zerstören - und zwar direkt durch die Erde hindurch.  
Hirotaka Sugawara, Hiroyuki Hagura und Toshiya Sanami behaupten in ihrem Artikel, dass man mit einem ultra-hochenergetischen Neutrinostrahl eine Nuklearbombe, die sich irgendwo auf unsere Erde befindet, zerstören könnte.

Auch das Aufspüren von Nuklearbomben könnte möglich werden, sollte man eine noch nicht verfügbare Zusatztechnologie entwickeln. Allerdings ist der Aufwand erheblich, um einen solchen Neutrinostrahl zu erzeugen. Die möglichen politischen Auswirkungen einer solchen "Gegenwaffe" sind nicht zu unterschätzen.
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Der Artikel "Destruction of Nuclear Bombs Using Ultra-High Energy Neutrino Beam" von Sugawara, Hagura und Sanami wurde auf dem Preprintserver arXiv.org veröffentlicht. Die Studie ist im Volltext kostenfrei zugänglich.
->   Zum Originalartikel
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Wie zerstört man eine Nuklearbombe?
Die Idee: Man baut einen Myonen-Beschleuniger (genauer zwei, um jeden beliebigen Punkt auf der Erdoberfläche ansteuern zu können), der einen hochenergetischen Neutrinostrahl erzeugt. Diesen würde man dann auf ein Gebiet in der Nähe der Bombe richten.

Dort lösen die Neutrinos einen Hadronenschauer aus, der dann das Plutonium oder das Uran trifft. Dadurch wird die Spaltung eingeleitet und die Bombe aufgeheizt, sodass es entweder zur gefährlichen Kettenreaktion oder zum Zusammenschmelzen kommt.
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Neutrinos
Neutrinos sind Teilchen, die nur schwach wechselwirken, das heißt mit der üblichen Materie nur über die schwache Kraft "kommunizieren" können. Die schwache Kraft ist weitaus kleiner als die drei anderen möglichen Kräfte Gravitation, Elektromagnetismus und starke Kraft. Als Hadronen bezeichnet man alle Teilchen, die aus Quarks zusammengesetzt sind, zum Beispiel Protonen und Neutronen. Alle Teilchen, die nicht aus Quarks bestehen, nennt man Leptonen, zu ihnen gehören Elektron, Elektron-Neutrino, Myon und Myon-Neutrino, Tauon und Tauon-Neutrino.
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Wie viel Energie benötigt die Zerstörung der Bombe?
Damit der Neutrinostrahl die Erde durchdringen kann, muss die mittlere freie Weglänge dem Durchmesser der Erde entsprechen, das entspricht der enormen Energie von 1.000 Tera-Elektronenvolt. Der Durchmesser des Strahls bei der Bombe wäre etwa ein Meter.

Die abgegebene Energie pro Quadratmeter entspräche etwa einem Sievert pro Sekunde. Das offizielle Limit der USA liegt bei 1/1.000 Sievert pro Jahr! Das bedeutet, alles wird getötet, das sich in der bestrahlten Zone aufhält.
Wie kommt man an ein Modell einer Nuklearbombe heran?

Um den Effekt des Strahls auf die Bombe bestimmen zu können, muss man ein Modell über die Zusammensetzung der Bombe haben. Da stößt man auf ein großes Problem: Über Modelle von Nuklearbomben gibt es natürlich keine offiziellen Aufzeichnungen, sie sind streng geheim.

Die Autoren nahmen deshalb eine Kugel von zehn kg Plutonium an, das eine kritische Masse von 15 kg hat, bei der die Bombe automatisch zündet. Diese Kugel ist umgeben von explosivem Material.

Bei einer Entzündungstemperatur von etwa 300 Grad schätzen die Autoren, dass die Bombe etwa 100 Sekunden dem Strahl ausgesetzt werden müsste, um das explosive Material zu zünden, und dass etwa 1.000 Sekunden für das Zusammenschmelzen nötig sind. Entscheidend dabei ist, ob es zu der gefährlichen Kettenreaktion oder ob es zu einem "Totlaufen" der Reaktion kommt.
"Totlaufen" sehr wahrscheinlich
Die Wahrscheinlichkeit eines "Totlaufens" hängt im Wesentlichen von der Anzahl der Neutronen ab, die in diesem Fall durch den Neutrinostrahl dominiert wird, und ist fast eins. Das führt aber immer noch zu einem Energieumsatz von drei Prozent der vollen Detonation. Derzeit existieren keine Hinweise, wie diese frei werdende Energie weiter zu minimieren ist.
Weitere Anwendungen
Die Anwendung eines Neutrinostrahls könnte auch zum Detektieren von Nuklearbomben verwendet werden.

Dazu wären niedrigere Energien und viel kleinere Intensitäten ausreichend, allerdings brauchte man eine neue Technologie, um die Spaltungsprodukte aus entsprechender Distanz detektieren zu können. Eine friedliche Anwendung wäre, die Struktur der Erde mit dem Neutrinostrahl zu untersuchen.
Ist die "Gegenwaffe" technisch verwirklichbar?
Die Autoren weisen darauf hin, dass die technische Durchführbarkeit noch viel Forschung und Entwicklung verlangt. Der Myonenring, der solch einen ultra-hochenergetischen Neutrinostrahl erzeugen könnte, müsste entweder eine unrealistische Größe haben oder extrem starke Magnete müssten entwickelt werden.

Stärker als die, die derzeit am LHC (Large Hadron Collider) am CERN bei Genf eingesetzt werden, die bereits mit einer neuen Technologie arbeiten, der Supraleitung.

Die Autoren sprechen auch die politische Auswirkung ihrer Idee an. Der Leser ist herzlich eingeladen, den einigermaßen verständlichen Originaltext zu lesen und sich selbst darüber Gedanken zu machen. Übrigens gibt es bereits 20 offiziell dokumentierte Fälle, wo es beinahe zu einem unbeabsichtigten Auslösen einer Nuklearbombe gekommen wäre.
->   Weitere Infos dazu (www.teilchen.at)
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