Host-Info
Renee Schroeder
Institut für Mikrobiologie und Genetik, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Renée Schroeder :  Medizin und Gesundheit 
 
Probandensicherheit in klinischen Studien
Autoren: Karoline Abadir, Nicole Amberg und Carolin Besenböck
 
  Ein halbes Jahr ist es nun her, dass ein Medikamententest in London zu unvorhergesehenen Komplikationen führte und in einer Katastrophe endete. Laut Zeitungsberichten dürfte einer der Probanden an Lymphdrüsenkrebs leiden. Drei Studentinnen der Molekularbiologie an der Universität Wien beleuchten diesen Fall nun aus einer allgemeinen Perspektive: Wie ist es eigentlich um die Probandensicherheit in Studien bestellt? Eine Analyse.  
Rückblick: Der fatale Versuch
Am 13. März 2006 startete die Firma "Parexel" eine Studie im Londoner Northwick Park Hospital. Dabei der vom Pharmaunternehmen "TeGenero" entwickelter Wirkstoff namens TGN1412 an acht Probanden getestet werden. Die Probanden erhielten für ihre Teilnahme an der klinischen Studie eine Zahlung in der Höhe von ca. 3.000 Euro.

Zwei Testpersonen wurden zur Kontrolle mit Placebos behandelt, den restlichen Versuchsteilnehmern wurde TGN1412 in Abständen von nur Minuten verabreicht. Es zeigten sich innerhalb kürzester Zeit gravierende, lebensgefährliche Nebenwirkungen: Kopfschmerzen, Fieber, Entzündungen, später Bewusstlosigkeit und mehrfaches Organversagen. Die Betroffenen wurden daraufhin auf die Intensivstation verlegt.
->   Medikamententest: Zwei Männer in Lebensgefahr (16.3.06)
Was ist TGN1412?
Bei TGN1412 handelt es sich um einen monoklonalen, humanisierten Antikörper. Solche Antikörper werden von einer Zelllinie produziert, die auf einen einzigen B-Lymphozyten zurückgeht und richten sich gegen ein einzelnes Epitop (dies ist ein Teil eines Makromoleküls, der vom Immunsystem, speziell von Antikörpern und B-Zellen, erkannt wird).

TGN1412 bindet an den T-Zell-spezifischen Rezeptor CD28. Dadurch soll eine Immunantwort ausgelöst werden, indem vermehrt T-Zellen vom Körper hergestellt werden, um gewisse Krankheiten bekämpfen zu können. Therapeutisch sollte TGN1412 gegen rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose und Leukämie wirksam sein.
->   TGN1412 - Wikipedia
Wodurch wurden die Nebenwirkungen hervorgerufen?
Als Stimulator der Immunabwehr des Körpers regt TGN1412 die Produktion von T-Zellen an. Somit dient TGN1412 als Helfer eines geschwächten und überforderten Immunsystems wie dem von Krebspatienten.

Allerdings wurde das Medikament in der Studie zuerst an gesunde Probanden und nicht sofort an Krebskranke verabreicht. Bei den Probanden kam es folglich zu einer Überproduktion von T-Zellen, die für die oben genannten Nebenwirkungen der Testpersonen verantwortlich ist.

Die Immunzellen sammelten sich in den Lungen, im Weiteren kam es zu einer Entzündung der Blutgefäße, wodurch im gesamten Körper massive Entzündungserscheinungen auftraten.
Drohen den betroffenen Probanden Langzeitschäden?
Laut Medienberichten dürfte einer der sechs Probanden nun an einer agressiven Form von Lymphdrüsenkrebs leiden. Bei dem 35jährigen besteht zudem die Gefahr, an Multipler Sklerose, rheumatoider Arthritis und Lupus erythematodes zu erkranken, berichtet etwa Spiegel-Online.

Bei vier der freiwilligen Probanden wurde ein geringerer Anteil an regulatorischen T-Lymphozyten als bei gesunden Menschen festgestellt. Diese Zellen dienen der Übertragung der Toleranz des Immunsystems gegenüber körpereigenem Gewebe. Mit einer verminderten Anzahl an regulatorischen T-Lymphozyten steigt die Gefahr auf Autoimmunerkrankungen und Krebs.
->   Die Zeit: Auf eigene Gefahr
Waren die Nebenwirkungen vorhersehbar?
Es ist weithin bekannt, dass es gerade bei Medikamenten auf Basis monoklonaler Antikörper in den klinischen Studien zu Nebenwirkungen kommen kann, die im Tierversuch noch nicht aufgetreten sind.

Zusätzlich ist TGN1412 als so genannter Superagonist auch unter derartigen Präparaten etwas Besonderes, was den Umgang mit dem Wirkstoff erschwert und zu erhöhter Vorsicht anmahnen sollte.

Fehler und Verunreinigungen in der Herstellung des Medikaments durch die Boehringer Ingelheim GmbH als Ursache für die Effekte von TGN1412 auf die Probanden wurden durch Nachprüfungen ausgeschlossen.
Gab es Fehler bei der Durchführung der Studie?
Mit der Ausführung der klinischen Phase 1 wurde die "Contract Research Organisation" (CRO) "Parexel" beauftragt, eine auf klinische Studien spezialisierte Firma, die in 39 Ländern operiert und mehrere tausend Mitarbeiter beschäftigt.

Trotz der großen Erfahrung mit klinischen Tests wurde TGN1412 fast simultan an die Probanden verabreicht. Obwohl es bei Wirkstoffen mit unvorhersehbarem Verhalten wie diesem üblich ist, bei der Verabreichung des Medikaments Abstände im Bereich von Tagen oder sogar Wochen einzuhalten.

Laut Parexel liegt - trotz Vermutungen außen stehender Experten - keine Verabreichung einer Überdosis von TGN1412 an die Probanden vor, so dass die starken Nebenwirkungen nicht hiervon abzuhängen scheinen.
Hat Parexel alle rechtlichen Bestimmungen eingehalten?
Nach Angaben des Schweizer Magazins "Facts" hat Parexel zumindest mit der Zahlung von knapp 3.000 Euro an die Testteilnehmer die Richtlinien übertreten, die die finanzielle Entschädigung von Probanden bei klinischen Studien regeln.

Parexel warb Freiwillige für die Studie auf der Firmen-Website explizit mit einer finanziellen Prämie, obwohl dies nach Bestimmungen der Vereinigung der britischen Pharmaindustrie verboten ist.

Inwiefern es weitere Übertretungen von Richtlinien und Gesetzen gab, ist nicht bekannt, obwohl die internationale Vereinigung der CROs, der Parexel angehört, bei manchen Bioethikern bezüglich des Probandenschutzes stark in der Kritik steht.
->   Facts: Schauerliches Experiment
Was ist eine CRO?
Eine "Contract Research Organisation" ist ein Auftragsforschungsinstitut zur Planung und Durchführung klinischer Studien. Es handelt sich hierbei um ein Dienstleistungsunternehmen für medizinische und pharmazeutische Produkte.

Oft unterliegen CROs der Auflage des Auftraggebers, Ergebnisse bis zum Stichtag zu liefern ohne öffentliche Anfragen zu den Tests zu beantworten. Die internationale Vereinigung der CROs rühmt sich damit, dass ihre Mitglieder klinische Studien bis zu 30 Prozent schneller durchführen als ein Pharmakonzern dies könnte.

Hieraus begründet sich der Verdacht von Bioethikern, die CROs kümmerten sich nicht ausreichend um den Schutz der Testpersonen.
->   Contract research organization - Wikipedia
Wie erfolgt die Entwicklung neuer Arzneimittel?
Es gibt verschiedene Phasen beginnend mit der Isolierung und Synthese potentieller Wirkstoffe. Es folgt eine präklinische Prüfung (Dauer zwei bis drei Jahre), in der der Wirkstoff an verschiedenen Modellen getestet wird.

Ist dies erfolgreich, erfolgt die klinische Prüfung, die in 4 Phasen gegliedert ist und den strengen Auflagen gemäß der "Good Clinical Practice" (GCP) unterliegt, welche dem Schutz der Testpersonen dienen. Die Probanden müssen ihre Teilnahme durch eine Einwilligungserklärung bestätigen.
->   EU - Good Clinical Practice (pdf-File)
Klinische Phase 1 und 2
Sie dauert zwei bis drei Jahre, rund 50 gesunde Probanden werden untersucht; besonders geachtet wird auf Verträglichkeit, sicheren Dosierungsbereich und Wirkung auf Körperfunktionen.

Phase 2 dauert ebenfalls zwei bis drei Jahre, eine homogene Gruppe aus ca. 500 Probanden mit leichten Krankheitssymptomen wird kontrolliert. Die Wirksamkeit, therapeutische Dosierung und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten werden hauptsächlich untersucht. Sowohl in Phase 1 als auch in Phase 2 wird die Pharmakokinetik betrachtet, da sie sich beim Gesunden und beim Kranken unterscheiden kann.
Klinische Phase 3 und 4
Wenn die Phase 2 entsprechende Ergebnisse liefert, wird Phase 3 begonnen: sie dauert 2-4 Jahre, man arbeitet mit bis zu 2000 Probanden mit unterschiedlicher Symptomatik. Es wird die Wirksamkeit im Vergleich zu Placebos sowie die Wirkung bei anhaltender Dauer, Nebenwirkungen und Interaktionen mit anderen Arzneien, sowie der Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten untersucht.

Wenn die Sicherheit und Wirksamkeit einer Substanz nachweisbar sind, kann ein Antrag auf Zulassung gestellt werden. Nach der Zulassung erfolgt Phase 4, in der der Wirkstoff noch weiter vertiefend untersucht wird, während er im Vertrieb ist.
Wie aufwendig ist die Medikamentenforschung?
Herstellung und Prüfung von Medikamenten sind sehr arbeits- und kostenintensiv: von 10.000 Substanzen werden nur 10 nach der präklinischen Prüfung tatsächlich klinisch untersucht. Von diesen 10 werden wiederum acht oder neun ausselektiert.

Von 10.000 potenziellen Wirkstoffen werden also gerade einmal ein oder zwei zur Zulassung eingereicht. Bei einer Produktionsdauer von bis zu 12 Jahren und immensen Kosten (ca. 1 Mio. US-Dollar für Entwicklung, Herstellung und Marketing pro Medikament) sind die Unternehmen bestrebt, die Entwicklungsdauer gering zu halten und die Patentlaufzeit möglichst lange zu nutzen.

Die Patentzeit beginnt mit der Entdeckung eines potenziellen Wirkstoffs und ist auf 20 Jahre befristet.
Welche Konsequenzen bringt der Vorfall?
Mit einer Verschärfung der Regulation der ersten Tests von Wirkstoffen an Menschen ist gerade im Bereich der Antikörper zu rechnen, vor allem was die Abstände zwischen den Verabreichungen der Substanzen an die Probanden angeht.


Des weiteren soll ein neues Testverfahren entwickelt werden, demzufolge am Arm der Probanden eine kleine Blase erzeugt wird. Nur in diese Blase hinein sollen die zu testenden Wirkstoffe gegeben werden, so dass sich auch nur dort Immunzellen und Entzündungsflüssigkeit ansammeln können.

Somit ist einerseits eine höhere Probandensicherheit gegeben, andererseits können sich in der Blase ansammelnde Zellen und Flüssigkeiten leicht entnommen und untersucht werden.

Dennoch bleibt die Frage, ob die Standards für klinische Prüfverfahren nicht auch generell bei der Good Clinical Practice bezüglich der CROs erneuert und verschärft werden sollten.

[26.9.06]
->   TeGenero
->   Parexel
->   Das Stichwort Medikamententest im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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