Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Gesellschaft 
 
Ronald Reagan - ein Nachruf  
  Recherchen haben mich kürzlich in die USA geführt - gerade zu dem Zeitpunkt, als die Nachricht von Ronald Reagans Ableben die Öffentlichkeit erreichte. Einige Gedanken zur Bedeutung dieses wohl einflussreichsten konservativen Politikers der letzten Dekaden.  
Heldenehrung
Bekannte hatten mich zu einer Wahlveranstaltung in einem Außenbezirk Chicagos eingeladen - der charismatische Hoffnungsträger der Demokraten, Barack Obama, war auf Fund-Raising-Tour für die Senatswahlen im November.

In die Veranstaltung platzte die Todesnachricht. Obama reagierte druckreif: Ich habe zwar viele seiner politischen Entscheidungen abgelehnt, bewunderte Reagan aber wegen seiner Eloquenz, seines Optimismus und seines unerschütterlichen Vertrauens in ein Amerika der Hoffnung und Freiheit.

Soviel Respekt aus dem Mund eines Demokraten, der klarer als die meisten seiner Parteikollegen den Kurs der gegenwärtigen Administration ablehnt, überrascht. In den folgenden Tagen bekomme ich allerdings nur noch Ehrenreden zu hören. Allein in der "New York Times" kommen mir auch kritische Analysen unter. Der verstorbene Präsident wird als nationaler Held verehrt - kaum Gegenstimmen.
Das Übertönende des guten Tons
Und das in einem "post 9/11 America", das mitten im Präsidentschaftswahlkampf steht und - so wird mir in zahlreichen Unterhaltungen mit Medienexperten, Sozialwissenschaftlern und Intellektuellen gesagt - politisch tief gespalten ist.

Doch diese Spaltung scheint nicht so recht zum Ausdruck zu gelangen. Das durchwegs positive Image Reagans als jener Mann, der einem von Selbstzweifeln geplagten Amerika seinen Mut wiedergegeben hat, entspricht dem guten Ton. Alles andere wären Misstöne, die man - so wie etwa eine Infragestellung der weit in das Alltagsleben reichenden Sicherheitspolitik - heute eher vermeidet.
Bedeutung für den "Rest der Welt"
Als Europäer hat man es hier etwas leichter und hat naturgemäß eine andere Perspektive. Man fragt dann nicht danach, was Reagan für "uns Amerikaner" sondern eher, was er für den "Rest der Welt" , insbesondere einen kleinen Teil dieses Rests, nämlich Europa, war.

Zumeist wird man dann auf das Ende des Kalten Krieges verwiesen, die Selbstabschaffung des autoritären Staatssozialismus, des "evil empire" in Reagans Diktion. Doch ist die These eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Reagans nuklearer Aufrüstung und dem Zerfall des Sowjetimperiums mit Vorsicht zu genießen.

Vor allem dürfte sie die Bedeutung innerer Entwicklungen unterschätzen: Gorbatschows Liberalisierungspläne angesichts eines maroden Wirtschaftssystems und der unterschätzte Nationalitätenfaktor setzten eine unkontrollierbare Zerfallsdynamik in Gang, die Anfang der 1980er Jahre niemand für möglich gehalten hatte und die mit oder auch ohne US-Aufrüstung abgelaufen wäre.
Zäsur im Globalisierungsprozess
Seltener wird auf die internationale Vorbildwirkung von Reagans Politik hingewiesen. Die Ära Reagan/Thatcher läutete eine wirtschaftspolitische Revolution globaler Reichweite ein. Nach dem Motto "Government is not the solution to our problem; government is the problem" gerieten staatliche Kompensations- und Steuerungsleistungen in Misskredit, marktwirtschaftliche Mechanismen erhielten den Nimbus der Omnipotenz.

Gewiss, was heute als Globalisierung in aller Munde ist, hat tiefer reichende Ursachen: die technische Mobilitätssteigerung von Kapital, Information und Produktion, der wachsende Einfluss internationaler Finanz- und Regelungsorganisationen, der Aufstieg neuer Wirtschaftsblöcke.

Doch lieferte das vordergründig minimalistische Staatsverständnis Reagans und Thatchers die Blaupause für Globalisierung auf nationaler Ebene: Um ihre krisengeschüttelten Volkswirtschaften im globalen Wettbewerb wieder in Führung zu bringen, sollte der Staat den Rückzug antreten. Die Verschärfung sozialer Unsicherheit und Ungleichheit wurde dafür in Kauf genommen.
Das zweite Gesicht der Globalisierung
Dabei zieht sich der Staat allerdings nur aus Ökonomie und Sozialpolitik zurück. Reagans Politik stärkte - mittels erheblicher Rüstungsausgaben - seine Gewaltfunktionen, die militärische Schlagkraft der USA. Er legte so den Grundstein für deren heute uneinholbare militärische Vormachtstellung.

In Diskussionen um Globalisierung wird diese Gewaltkomponente meist vernachlässigt. Man konzentriert sich gewöhnlich auf Ungleichheiten am "global marketplace", mitunter die Verfolgung nationaler Eigeninteressen im internationalen Handel. Doch spielen, wie der Irak-Krieg zeigte, militärisches Vormachtstreben und Geopolitik nach wie vor eine zentrale Rolle.
Das Dilemma der Demokratie
Der Aufstieg dieser Komponente, die Verfolgung "nationaler Größe" über den Ausbau militärischer Kapazitäten, mutet in einer immer enger zusammenwachsenden Welt anachronistisch an. Bemerkenswert ist auch, dass dieser Aufstieg im Rahmen der ältesten und (nach Indien) größten Demokratie der Welt stattfand.

Der "große Kommunikator" konnte seine Rüstungspolitik durchsetzen, indem er den Patriotismus seiner Landsleute mobilisierte. Diese nachhaltige Stärkung des nationalen Selbstbewusstseins ist es auch, für welche Reagan heute in erster Linie verehrt wird.

Man ist mit einem Dilemma des universalistischen Wertes Demokratie konfrontiert. Demokratie, die Selbstbestimmung des Volkes, erfordert ein "Wir". Damit aber ist sie zwangsläufig exklusiv und steht einem "anderen" in potenzieller Feindseligkeit gegenüber.
Europas graue Alternative
Europa wird in absehbarer Zukunft niemandem dafür dankbar sein können, ihm eine optimistische, kraftvolle Identität vermittelt zu haben. Für Europa wird es keinen Ronald Reagan geben. Soviel ist sicher. Dazu fehlen die Institutionen. Und selbst wenn es sie gäbe: Europas linguistische und kulturelle Landschaft ist zu zerklüftet, als dass eine ähnlich vertrauensstiftende Integrationsfigur zustande kommen könnte.

Auch nach "seinem" Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, sofern dieses über eine bessere Freihandelszone hinausgehen soll, wird Europa noch eine ganze Weile suchen. Jedenfalls schuf die neoliberale Revolution Tatsachen, hinter welche bis heute weder US-Demokraten noch die europäische Linke "zurück" können.

Bislang und wohl auch auf Weiteres ist Europas Utopie, um mit Peter Sloterdijk zu sprechen, grau. Nun ist man vielleicht ohne Illusionen und ohne Helden handlungsschwächer. Aber wenigstens richtet man weniger Schaden an und vielleicht sieht man klarer. Und das wäre doch auch schon etwas.
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